Mit Claudio Abbado verliert die Welt einen einzigartigen Musiker, Dirigenten und Orchesterleiter, der auch in der Schweiz viel bewegt hat. Am Montag erlag der Italiener in Bologna im Alter von 80 Jahren seinem Krebsleiden. Ein Nachruf.
Nur wenige Monate ist es her, dass Claudio Abbado in der Schweiz auftrat: Mit einem umjubelten Konzert eröffnete er das sommerliche Lucerne Festival. Schon damals wirkte der 80-jährige zart und zerbrechlich, doch die Musik, die sein Taktstock lenkte und leitete, strömte ungemein kraftvoll, klar und luzide durch den Saal. Abbado vermochte sich gerade in seinen späten Jahren auf das fokussieren, was ihm das Wichtigste war: Nicht die Leitung eines grossen Klangkörpers, nicht die Intendanz eines grossen Hauses, sondern schlicht die Musik jener Komponisten, die ihm besonders am Herzen lagen.
Musik kannte er von Kindesbeinen an. 1933 wurde er in Mailand geboren, als Sohn eines Violinisten und einer Klavierlehrerin. Als Initialzündung beschreibt er eine Aufführung an der Mailänder Scala: Als Siebenjähriger hörte er dort die «Nocturnes» von Claude Debussy, und die Magie des Musizierens, die er dort erlebte, die wollte er immer wieder erleben.
Mit 16 begann er in Mailand ein Klavier- und Kompositionsstudium; lange verfolgte er die Pianistenkarriere. Erst später studierte er Dirigieren bei Hans Swarowsky in Wien. Damals war Wien das Mekka der Musik, alle grossen Dirigenten gastierten beim Wiener Musikverein. Doch selbst für Dirigierstudenten war es verboten, bei den Proben zuzuhören und von den Meistern zu lernen. Da entschied sich Abbado, in den Chor des Wieder Musikvereins einzutreten. So lernte er die grossen Chorwerke von innen heraus, und konnte die grössten Dirigenten seiner Zeit bei den Orchesterproben erleben.
Der Demokrat unter den Dirigenten
Abbados Karriere entwickelte sich vergleichsweise langsam; das grosse Rampenlicht suchte er nie. Er galt als Demokrat, der sich von den autoritären Dirigenten seiner Zeit deutlich absetzte. Er empfand sich nicht als Orchesterdompteur, sondern als primus inter pares. Er lehrte die Orchestermusiker, aufeinander zu hören, wie Kammermusiker miteinander zu agieren – und erreichte damit erstaunliche musikalische Ergebnisse.
Fast zwei Jahrzehnte leitete er die Mailänder Scala, bevor er das London Symphonic Orchestra, die Wiener Oper und auch die Berliner Philharmoniker dirigierte. Dennoch galt seine Ernennung als Nachfolger von Herbert von Karajan bei den Berliner Philharmonikern im Jahr 1989 als grosse Überraschung. Seine Amtszeit war äusserst erfolgreich, endete aber jäh, als Abbado im Jahr 2000 an Magenkrebs erkrankte.
Besinnung aufs Wesentliche
Es folgten zahlreiche Operationen, worauf Abbado seine Ernährung auf zahlreiche Mini-Mahlzeiten pro Tag umstellen musste und sich zurückzog, in seinen Garten auf Sardinien und auf die wenigen Musikerfreunde und Musikprojekte, die ihm wirklich wichtig waren. Etwa das 2003 gegründete Lucerne Festival Orchestra: «sein» Orchester aus berühmten Solisten und befreundeten Musikern, mit dem er ein ums andere Mal musikalische Höhenflüge absolvierte und wesentlich zum Erfolg des Lucerne Festivals beitrug.
Sein Dirigieren zeugte von einer Magie, die sich nur ganz selten einstellt – und die Kritiker regelmässig zu Superlativen greifen liess: Von der «besonderen Aura des ganz und gar Ausseralltäglichen» (Julia Spinola, FAZ) war anlässlich seiner Konzerte immer wieder zu lesen, von «erschütternden Begegnungen mit dem Transzendenten» (Peter Hagmann, NZZ), von Momenten, in denen die Musik abzuheben, zu fliegen scheint (Roland Wächter, SRF).
Sein Tod wird die Dichter unter den Musikjournalisten abermals beflügeln. Auch für sie war Abbado ein grosser Inspirator, für dessen aussergewöhnliche musikalische Interpretationen das gängige sprachliche Repertoire immer wieder neu erfunden werden musste.
Still wird es um Abbado auch mit seinem Tod nicht. Sein Lebenswerk wird ihn uns lange im Gedächtnis halten.