Mit «Deadpool» bringt Marvel einen Helden wider Willen aus den Reihen der unteren 10’000 ins Kino. Er bietet splatterigen Spass für Freunde des vulgären Humors.
Über die letzten Jahre hat sich die Anzahl der Superheldenfilme von Marvel immer mehr aufgebläht. Um ein möglichst breites Publikum anzuziehen (sprich: um möglichst viel Gewinn zu machen), werden diese Filme meistens entschärft und die Figuren weichgespült. Die modernen Nerds sollen sich das Draufgänger-Gaudi auf der Leinwand mit Kind und Kegel geben können. Das Ergebnis sind Filme, die zwar seicht unterhalten, aber meistens nach demselben Schema F ablaufen:
Superheld: gut, attraktiv, cool
Bösewicht: böse, hässlich
Meitli: heiss, muss gerettet werden
Happy End: vorprogrammiert. Und wenn sie nicht gestorben sind, werden wir alle in den Fortsetzungen 2 bis 27 nochmals sehen.
Aus den Nischen gezaubert
Damit ist nun hoffentlich bald Schluss. Marvel orientiert sich immer mehr an Nischencharakteren der eigenen Marke. Spiderman und Captain America erhalten Gesellschaft von abgefuckten Figuren wie Jessica Jones, eine latent alkoholkranke Privatdetektivin, oder wie Daredevil, ein jähzorniger Anwalt auf einem Selbstjustiz-Trip.
Beide Figuren haben bereits letztes Jahr ihre eigene Netflix-Serie bekommen, die beide für Marvel-Produktionen untypisch rau und siffig daherkommen. In die gleiche Kerbe schlägt auch der neueste Streich des Comic-Imperiums: «Deadpool».
Mit dem Streifen widmet sich Marvel einer relativ jungen Comicfigur. Vor 25 Jahren hatte der eigenwillige Mutant seinen ersten Auftritt in der amerikanischen Comic-Serie «New Mutants», danach terrorisierte er unter anderem abwechselnd Spiderman (*1962), die X-Men (*1963) und Daredevil (*1964), bevor er 1993 seine eigene Comicreihe erhielt.
Meh Dräck!
«Deadpool» könnte der erste Film einer neuen Generation von Super(Anti)helden-Verfilmungen werden. Statt auf doofe Perücken und lahme Pointen setzt Marvel auf Selbstironie und primitive Sprüche. Im Zentrum der elfjährigen Zitterpartie um den Film stand vor allem eine Frage: Wie vermarktet man ein durchgeknalltes, massenmordendes, vulgäres Arschloch an 13-Jährige?
Die einzig richtige Antwort darauf ist klar: gar nicht, denn «Deadpool» ist kein kindergerechter Charakter. Er ist ein Proll. Er hat keine Skrupel. Er trinkt zu viel, verkehrt mit Prostituierten, raucht (er ist trotzdem mega!) und treibt sich auf dem Bodensatz der Gesellschaft rum. Das einzige, was grösser ist als sein Ego, ist sein loses Mundwerk.
So passt es denn auch, dass «Deadpool» im Angesicht des maximalen Clusterfucks eben nicht das englische Äquivalent zu «Gopferglemmi» über die Lippen rutscht. Nein! Wenn es «Deadpool» nach einem anstrengenden Tag den Töff abstellt, gibts auf einen blöden Spruch an seine Adresse ein herzhaftes «Go suck a cock!» zu hören. Nichts für ganz junge Ohren und Zartbesaitete, dafür sympathisch menschlich. Dem Streifen gelingt, woran mancher Comic-Stoff scheitert, wenn er ins Medium Film wechselt: Der Film bleibt dem Charakter seines Protagonisten treu.
Wade Wilson alias Deadpool ist der Prolo-Antiheld der unteren 10’000. (Bild: © 2015 Twentieth Century Fox Film Corporation.)
«Deadpool» ist zwar immer noch mainstreamig genug, um nicht zum Splatterfilm zu werden, aber die Produzenten haben mit der Umsetzung des Stoffes einen Schritt in die richtige Richtung gemacht. Weg vom Gutmenschenheldentum, hin zu «meh Dräck». Für einmal geht es nicht darum, die Welt vor irgendeiner ominösen Organisation oder irren Wissenschaftlern zu retten, sondern einzig um die Entstehungsgeschichte des «Merc with a mouth» (grossschnäuziger Sprücheklopfer) und dessen persönlichen Rachefeldzug gegen den Mann, der ihn zum Mutanten und somit sein Leben zur Hölle gemacht hat. Mit viel Blut und Peniswitzen.
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Deadpool, ab 11. Februar im Kino.