Cristina Branco sprengt die Fesseln des Fado

Das Cristina Branco Quartett und das Duo Paier-Valcic begeisterten in der Basler Martinskirche. Ihr freier Umgang mit Fado und Tango ist wagemutig und wegweisend.

Cristina Branco ist im Fado verwurzelt, hat aber auch andere Genres im Blick.

(Bild: Vera Marmelo)

Das Cristina Branco Quartett und das Duo Paier-Valcic begeisterten in der Basler Martinskirche. Ihr freier Umgang mit Fado und Tango ist wagemutig und wegweisend.

«Es gibt in Portugal zwei Lager von Fado-Theoretikern», erklärt Cristina Branco ihrem Publikum. «Das eine möchte den Fado so ursprünglich und rein wie möglich erhalten, und das andere ist überzeugt davon, dass er sich weiterentwickeln muss.» Welchem Lager sie angehört, daraus hat sie nie einen Hehl gemacht. Die Mittvierzigerin startete vor zwanzig Jahren aus der Liebe zur grossen Ikone Amália Rodrigues fast traditionell, hat sich aber schrittweise in ein modernes Songwriting hineingetastet, in dem der Fado Nährboden ist, aber nicht mehr Ernte.

Brancos überwältigendes Basler Konzert vom Dienstagabend in der vollbesetzten Martinskirche war dafür eine eindrückliche und ergreifende Demonstration. Mit ihrem Quartett zelebrierte sie grosse zeitgenössische Liedkunst aus Lusitanien und feierte in ihren Texten die Weiblichkeit – Texte, die sie fürs aktuelle Album «Menina» ganz gezielt fast ausschliesslich von jungen Männer schreiben liess.

Verschmelzen mit dem Schicksal

Cristina Branco ist keine Bilderstürmerin, Vieles in ihrer Show gründet in den Wurzeln. Seitlich der Bühne bekreuzigt sie sich und stimmt dann das mitreissende «As Vezes Me Dou Pro Mim» an, das fast einen martialischen Rhythmus hat.

Ihre stolze Haltung am Mikrofon mag aus dem Fado kommen, der Text jedoch berichtet von einer gebrochenen Frau, die sich wegen der wirtschaftlichen Misere im Land keine Existenz aufbauen kann, noch bei ihren Eltern wohnt. Ein aktuelles Thema, das im herkömmlichen Fado mit seiner eher abstrahierten Gefühlswelt undenkbar wäre. Brancos Lyrik ist individualisiert, die Sängerin verschmilzt so sehr mit diesem Schicksal, dass sie am Schluss des Liedes den Schmerz schwer atmend herauspresst.

Dass ihr die Lösung aus den Fesseln des Nationalgenres so überzeugend gelingt, geht auch aufs Konto ihrer im Jazz beheimateten Mitmusiker. Bassist Bernardo Moreira führt die ansonsten so rigiden Begleitmuster in einen lebhaften Swing hinein, Luis Figueiredo pflegt während seiner minimalistischen Spielfiguren eine fast zärtliche Beziehung zum Piano, kriecht förmlich in die Tasten. Und bei Bernardo Couto changiert die Guitarra Portuguesa  zwischen rockiger Schlaggitarre und virtuos perlenden Girlanden. Da werden auch Ausflüge ins Popfach nie süsslich oder gefällig – auch nicht, wenn Branco in «Alvorada» den Liebestaumel eines jungen Paares besingt, untermalt durch eine Art Kirmes-Orgel.

Klarheit und dunkle Schattierungen

Über die Jahre hat ihre Stimme ungeheuer an Bandbreite gewonnen. Die Klarheit ist noch da, schwerelos kann sie sich aufschwingen, aber auch dunkle, bedrohliche Schattierungen beherrscht Branco jetzt. Aus all diesen Timbres kann sie schöpfen, wenn sie etwa das melancholische Lied von «Laurindinha» anstimmt, der einsamen Frau auf dem Land, deren Fenster zur Welt Facebook ist, oder die raffiniert lautmalerische «Bomba Relógio», das ein zeitaufwendiges Werben um eine resistente Verehrte porträtiert.

Fast folkloristisch geht es in «Boatos» zu, mit hüpfenden Orgelsynkopen erfahren wir von der Geschichte einer hübschen Frau, die Opfer der dörflichen Gerüchteküche wird. Vielleicht mag es paradox erscheinen, dass der umjubelte Höhepunkt dann doch ein Fado ist: «Ai, Esta Pena De Mim» aus dem Repertoire Amálias. Doch Branco und ihre Männer geben ihm das Gesicht eines intensiven Jazz-Rezitals, am Anfang nur begleitet durch den aufmerksamen Bass von Moreira.

Silbriges Pfeifen, verwehte Obertöne

Vor Brancos Auftritt schon hatten die Cellistin Asja Valcic und Akkordeonist Klaus Paier vorgemacht, dass auch der Tango eine völlig andere Dynamik entwickeln kann, wenn er mit Klassik und Jazz aufs Parkett geht. Das Wiener Duo malte hochvirtuos Klangfarben: Paier mit einer Palette von aggressiver Chromatik bis zu silbrigem Pfeifen, Valcic mit harsch galoppierendem Springbogen bis zu rauchigen, verwehten Obertönen.



Auch Asja Valcic und Klaus Paier greifen weit aus, ohne vom Tango ganz zu lassen.

Auch Asja Valcic und Klaus Paier greifen weit aus, ohne vom Tango ganz zu lassen. (Bild: Michael Reidinger)

Da entstanden Szenen aus einem mediterranem Strassencafé vor den Augen der Hörer oder von einer imaginären Seidenstrasse. Strawinskys «Pucinella», per se schon eine verfremdete Barock-Adaption, durchlief einen zweiten Filter, kehrte zurück ins Volkstümliche, Bukolische. Und immer wenn der Tango angesteuert wurde, gab es Überraschungen: Einmal glaubte man, in ihm Reminiszenzen an den Soundtrack zu Hitchcocks «Psycho» zu entdecken, ein anderes Mal wurde er zu einer wilden Achterbahn, zerfiel fast in rhythmische Fragmente.

Dieser wunderbare Abend zeigte: Fado und Tango sind keine übermächtigen Gestirne. In ihrer Sphäre bleiben, aber gleichzeitig mit genügend kreativer Schubkraft auch auf andere Umlaufbahnen einschwenken – das ist ihre Zukunft.

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