«Culturescapes» lockt 2015 mit dem hohen Norden: Rund 100 isländische Kunstschaffende bringen uns Schweizern ihre Kultur näher. Darunter sind einige Highlights, die man nicht verpassen sollte.
Am Ende der Medienkonferenz wiederholte Jurriaan Cooiman noch einmal, was er schon 2014 angekündigt hatte: Ab sofort wird «Culturescapes», das seit 2003 jeden Herbst den Festivalkalender bereicherte, nur noch alle zwei Jahre stattfinden. «Dieser Entscheid entspringt der Einsicht, dass es nicht möglich ist, ein Festival durchzuführen, während man schon ein neues plant», sagte Cooiman, dessen kleines Team in manchen Monaten im Jahr auf seine Person zusammenschrumpft.
Und: «Einerseits gibt es in Basel inzwischen genug Festivals, die die Lücke füllen können», erklärt Cooiman. Andererseits wolle er sich künftig noch intensiver einlassen auf ein Land und Thema, um ihm wirklich gerecht zu werden und auch genügend finanzielle Mittel zur Verfügung zu haben, um das Programm wirklich hochkarätig zu gestalten. Mehr als einmal stand das Festival in der Vergangenheit aus finanziellen Gründen vor dem Aus.
Nun sucht man vernünftigerweise die Rettung in der neuen Form. Dies nicht nur in Bezug auf die künftige Durchführung als Biennale, sondern auch inhaltlich. So wird dem jeweiligen Festivalland ein zweites zur Seite gestellt – eines, dem bereits eine Ausgabe von «Culturescapes» gewidmet war. So sollen Entwicklungen sichtbar gemacht werden. 2017 wird «Culturescapes» deshalb der Ukraine einen Besuch abstatten, deren kulturelles Schaffen man 2004 in der Schweiz vorgestellt hatte.
Die Griechen kommen, doch zunächst: Island
Der Hauptteil von «Culturescapes» wird in zwei Jahren aber Griechenland gewidmet. Dann wird man möglicherweise hautnah miterleben können, was jenes Land schon durchgemacht hat, das im laufenden Herbst den Festivalinhalt stellt: Island.
Sieben Jahre ist es her, da stand der nördlichste Staat Europas vor dem wirschaftlichen Bankrott. In der Finanzkrise besann man sich auf andere Werte. Die Kultur wurde zum zentralen Identifikationsmittel – und wurde dementsprechend vom Staat gefördert. Das Land, in dem die Bewohner auch heute noch an Feen glauben – was jeder nachvollziehen kann, der es einmal bereist hat –, setzte unglaubliche Kräfte frei, um seine Kultur im eigenen Land, aber auch im Ausland populär zu machen.
Kultur als Lebensinhalt
Rund 320’000 Einwohner zählt Island; daran gemessen ist der kulturelle Output unvergleichlich hoch. Die Kultur gehört für einen Isländer wie die Natur zum Leben, nicht nur, weil in jedem noch so kleinen Dorf das Musikmachen gelehrt wird und das Erzählen ein fester Bestandteil ist. Man lebe im Jetzt und geniesse es, war eine der Antworten, die Cooiman auf die Frage hörte, weshalb Island eine derartige grosse Kulturproduktion habe. Schliesslich könne jederzeit irgendwo ein Vulkan ausbrechen und dem Leben ein Ende setzen.
«Culturescapes» konnte aus dem reichhaltigen Potenzial schöpfen, um die Vielfältigkeit in einer Auswahl von über 100 Veranstaltungen nun an verschiedene Orte in der Schweiz, aber vor allem nach Basel, zu bringen – einige Highlights inklusive.
Die Fixsterne
Und wo fangen wir nun an? Vielleicht bei den grossen Abwesenden? Wahrscheinlich denkt der kulturell Interessierte, wenn er Island hört, zunächst an Björk. Anderen werden die Hymnen von Sigur Rós im Kopf erklingen. Die Aushängeschilder der isländischen Popkultur sind am «Culturescapes» jedoch nur am Rande vertreten: Im Parterre wird der Sigur Rós-Film «Heima» gezeigt, im Stadtkino der Film «Björk: Biophilia live».
Ist aber egal, denn so lässt das Programm Möglichkeiten für Entdeckungen offen. Und grosse Namen sind trotzdem dabei. Da ist beispielweise – um im Musikbereich zu bleiben – die Band Gus Gus, die Basel bereits 2013 im Rahmen des Open Air Basel beehrte. Ihr Konzert Ende November wird eröffnet von der Multiinstrumentalistin Sóley, deren verträumte Songs perfekt das märchenhafte Island verkörpern.
Ein weiteres Konzert-Highlight wird von einem der bekanntesten Performancekünstler Islands bestritten, der auch als Musiker unterwegs ist: Ragnar Kjartansson wird die Fondation Beyeler mit seiner All Star Band beehren. Und all jene, die den Weg nach Zürich nicht scheuen, können sich dort die sechsstündige Videoinstallation «A Lot of Sorrow» zu Gemüte führen. Dafür hat Kjartansson im Jahr 2013 die US-Band The National aufgefordert, ihren Song «Sorrow» sechs Stunden lang ununterbrochen vor Publikum zu spielen. Gänsehautfaktor garantiert!
Krimiautorinnen und Ex-Bürgermeister…
Wie üblich legt «Culturescapes» auch einen Akzent auf die Literatur. Und diese geht in Bezug auf Island weit über die Sagen hinaus, obwohl diese natürlich auch Thema sind – in einer Saga-Nacht beispielsweise oder im Roxy, wo sich die Theaterkollektive vorschlag:hammer und yuri500 mit dem Verhältnis von Geschichte und Geschichten auseinandersetzen. Die zeitgenössische Literatur jedoch ist sehr prominent vertreten: Steinunn Sigurdardóttir ist da, ebenso wie Hallgrímur Helgason, dessen Roman «101 Reykjavík» erfolgreich verfilmt wurde. Auch die Krimis dürfen nicht fehlen, vertreten durch Yrsa Sigurdardóttir, und dann ist da noch Jón Gnarr – jener Allround-Künstler, der es mit seiner eigens kreierten Partei bis zum Bürgermeister von Reykjavík gebracht hat.
Der Umbau der Kaserne stellt die Organisatoren von «Culturescapes» im Bereich des Theaters vor Herausforderungen: Die meisten regionalen Aufführungen finden deshalb im Roxy in Birsfelden statt, aber auch die beiden Lecture-Performances von Fridgeir Einarsson und Erna Ómarsdóttir im Theater Basel sind sicher ihr Ticket wert.
…und auch noch etwas Kunst!
Hui, wer mag noch? Neben einigen Jazzgrössen wie Skúli Sverrisson und Óskar Guðjónsson gäbe es auch noch ein paar nennenswerte Ausstellungen – eine veritable Tour-de-Vernissage kommt da zum Beispiel am 16. Oktober zustande, die bei einer Gruppenausstellung im Ausstellungsraum Klingental startet, dann zu Werken des Konzeptkünstlers Kristján Guðmundsson im Rappaz-Museum und ins Naturhistorische Museum führt, wo Ragna Róbertsdóttir aus natürlichen Materialien eine Lava-Landschaft anfertigt und Egill Sæbjörnsson Steine sprechen lässt. Weiter geht es zu den Galerien Eulenspiegel und Stampa, wo Basler Kunstschaffende ihren Blick auf Island offenbaren und schliesslich in die Markthalle, wo sich eine Gruppe experimenteller Künstler aus Reykjavík zwei Wochen lang einnisten.
Und zum Schluss noch – sollten Sie mit Letzteren Kontakt aufnehmen wollen, so bietet sich folgender Einstieg an: «Góður dagur» – was nichts anderes heisst als «Guten Tag». Und eines nicht vergessen: Isländer duzen sich. Immer.
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«Culturescapes» Island, 2. Oktober bis 28. November 2015. Diverse Orte. Detailprogramm unter www.culturescapes.ch.