Nach 15 Jahren Pause kehrt Neo-Soul-Star D’Angelo mit «Black Messiah» zurück, schmückt seinen bisherigen Womanizer-Sound mit einem Hauch politischem Anspruch und hat im Zürcher Kaufleuten eine Lehrstunde in Funk gegeben.
Vom Waschbrettbauch zum Heilsbringer? «Black Messiah» tituliert D’Angelo sein neues Werk – und das nach einer fünfzehnjährigen Pause. Man sollte deshalb einer halben Generation nochmals erklären, was es mit dem Phänomen Michael D’Angelo auf sich hat. Seit dem Erscheinen seines Debüts «Brown Sugar» vor fast 20 Jahren hat der Mann aus Richmond, Virginia, nie ganz das Potenzial entfaltet, das Kritiker in ihm sahen.
Sein Erstling schlug mit coolen Grooves eine Schneise in den damals sterilen Hip-Hop, und auch auf dem Nachfolger «Voodoo» pflegte er einen minimalistischen R&B ohne ein Gramm zuviel vokaler Verzierung und technischen Schnickschnacks. Was über all die Jahre Abstinenz – besonders bei den Frauen – in Erinnerung blieb, war jedoch sein Coverbild mit dem berühmtesten Sixpack des Soul. Denn in den Folgejahren war er eher durch Drogen und einen Autounfall in den Schlagzeilen. Mit etlichen Gastauftritten und einer Tour 2012 hievte er sich zurück ins Business.
Alle Welt wusste: Er arbeitet seit Ewigkeiten an einem neuen Album. «Black Messiah» ist ein disparates Werk geworden. In fast drei Vierteln der Songs dominiert noch immer der smarte Womanizer-Sound. Sehr fleischliche Liebesballaden, in denen er sich als generöser «Sugah Daddy» gibt. Mit vernuschelter Falsettstimme, die er wie eine Horn Section in einer Bigband schichtet.
Dazu kommt ein bisschen politischer Anspruch, der im martialischen Titelstück «1000 Deaths» gipfelt: D’Angelo beruft sich auf die Rassenunruhen in Ferguson und New York, fordert eine neue, schwarze Deutungshoheit des Messias. «Es geht nicht darum, einen charismatischen Führer zu loben, sondern Tausende von ihnen. Wir alle sollten danach streben, ein schwarzer Messias zu werden», liess er verbreiten.
In den Tagen des IS-Terrors hinterlässt D’Angelos Spagat zwischen Gotteskrieger und Zuckervater einen üblen Beigeschmack.
Der Text allerdings spricht nicht von einem Heilsbringer der Milde, sondern ist alttestamentarisch: «Gott will keine Feiglinge, ein Feigling stirbt 1000 Tode, ein Soldat nur einen. Ich wurde geboren, um zu töten», skandiert er zu Rhythmen wie MG-Salven. Maulheldentum, ja freilich, aber in den Tagen des IS-Terrors hinterlässt D’Angelos Spagat zwischen Gotteskrieger und Zuckervater einen üblen Beigeschmack.
Erstklassige Funk-Lehrstunde
Kann das, was auf dem Album irritiert, auf der Bühne funktionieren? Es kann, an seinem 41. Geburtstag. Trotz «Happy Birthday»-Chören aus dem knallvollen Saal lässt sich der Protagonist erst mit 50 Minuten Verspätung auf die Kaufleuten-Bühne locken. Breitbeinig, mit schwarzem Hut und Lederjacke steht er da, zaubert mit betörendem Knabensopran den «Soul Prayer» aus seiner Kehle, während seine neue Band The Vanguard eintrudelt. Lauter Hochkaräter: Drummer Chris Dave schwingt sonst bei Robert Glasper die Stöcke, Jesse Johnson mit Trenchcoat an der silberglitzernden Gitarre hat lange mit Prince gespielt, Pino Palladino am Bass ist mit seinem melodischen Überfluss in einer Liga für sich.
Die nächsten zwei Stunden werden kein Ausflug in den – ohnehin abgehalfterten – Neo-Soul, sondern in den besten Momenten eine atemberaubende Lehrstunde des Funk in all seinen Spielarten. Im Gegensatz zum Album vernuschelt D’Angelo seine Vocals nicht, kraftvoll und sehr präsent explodiert er immer wieder in feurigem Röhren, hitzigem Krächzen.
Das Publikum hat D’Angelo sofort kassiert, lässt es auf einen Fingerwink hin toben, schüttelt Hände. Und das, obwohl sein fast knielanges Muscle Shirt den Bauchansatz unvorteilhaft betont. Er trägt es – respektive ihn – mit Selbstironie, so scheint’s. Mit seinen drei Backgroundsängern, eine davon George Clintons Leihgabe Kendra Foster, die Ko-Autorin vieler Stücke, webt er einen grandiosen, dichten Satz, der mal swingt wie die Horn Section einer Bigband, auch mal ins Gospelige geht.
Dass Funk nicht einfach funky music ist, sondern immer wieder im Hardrock andockt, demonstriert Jesse Johnson mit gewaltigen Stromgitarrensoli.
Dementsprechend donnernd auch das erste Set mit «1000 Deaths», das mit der Latinlover-Ballade «Really Love» konterkariert. Isaiah Sharkey, für die smootheren Gitarrenparts zuständig, legt da ein wenig Don Juan-Romantik unter die Stimme. D’Angelo, jetzt in eine Art roten Poncho gewandet, scattet sich aus dem Stück hinaus wie eine säuselnde Trompete.
Doch immer dann, wenn er auf Songs vor dem «Black Messiah» zurückgreift, gewinnt die Show an Konturen. Grandios das episch gestreckte «One Mo’gin», das der Leader selbst vom Piano aus steuert. Marimbasounds kommen vom Keyboarder Pookie Sample. Alles schaukelt in einem synkopisch verschleppten Glissando-Groove, bauscht sich dann über einem simplen Wechselakkord auf. D’Angelo kommandiert die Band zu schroffen Breaks und liefert immer wieder neue, flauschige Falsettphrasen. In «Alright» kann man sich ausschliesslich auf die flüssigen Basslinien von Palladino konzentrieren, während der frühe Hit «Brown Sugar» mit den «Shu-hu-gah»-Chören aus dem Auditorium und dem Slowmotion-Tremolo der Wah-Wah-Gitarre zum Kollektiverlebnis wird.
Ein Grosser geblieben
Der ganze Saal wippt. Und im anderen Zuckerstückchen, dem «Sugah Daddy», schleicht D’Angelo wie ein frivol schnurrender Kater durch die Vokallinien, brüstet sich damit, er lasse die Muschi des Mädels furzen, das auch mal einen Klaps auf den Hintern verträgt. Wenn selbst der Papst die Prügelstrafe schön findet, darf das der Black Messiah schon lange. Meisterklasse, wie die Band dieses Stück kaum merklich in einen beinharten Funkjam à la James Brown hineinführt.
Und der Funk regiert bis zum Ende durch ein langes Zugaben-Set hindurch: Wie die Drums haarscharf auf die Eins peitschen, und sich dazwischen diese verzahnten Gebilde aufbauen mit schaufelnder Bassmelodik und mümmelnder Gitarre: eine Offenbarung, die das Publikum in einen unentrinnbaren Sog zieht. Ganz zum Schluss zelebriert D’Angelo mit «How Does It Feel» nochmals seine Womanizer-Ära. Er ist ein Grosser, ohne Zweifel. Den Heilsbringerquatsch hätte er sich komplett sparen können.