Vor wenigen Jahrzehnten wurde der Name «Kodak» noch mit Fotografie gleichgesetzt. Jetzt hat sich der Konzern aus dem Geschäft verabschiedet und all seine Patente verkauft. Die Basler Fotografen-Legende Kurt Wyss erinnert sich an die Hochzeiten der Marke.
Es gibt Marken, die prägen Generationen. Und es gibt Markennamen, die zum Synonym eines Produkts werden. Wie etwa Kleenex, Xerox oder, in jüngster Zeit, Google. «Mein Schwiegervater», erklärt der Basler Fotograf Kurt Wyss, «sprach nie von einem Fotoapparat. Er nannte Kameras grundsätzlich einfach Kodak.»
Dass diese Gleichstellung mit einer ganzen Produktkategorie einen Konzern nicht vor dem Untergang schützt, beweist die Fotomarke dieser Tage. Eben hat die vom Pleitegeier geplagte Kodak all ihre Patente an ein Konsortium von Technologiefirmen von der andern Seite des US-Kontinents verkauft. Der Eastman-Kodak-Konzern wird künftig nur noch im Drucker-Bereich tätig sein.
Als Kameras einfach «Kodak» hiessen
Wehmütig? Kurt Wyss winkt ab: «Wehmütig waren wir schon lange. Das ist jetzt einfach der Endpunkt.» Über hundert Jahre stand Kodak für Innovation und Fortschritt in der Fotografie. «Mein Grossvater hatte ein Fotogeschäft, und meine Eltern haben es übernommen. Kodak war ein Teil ihres Alltags.»
Wyss wurde Profifotograf und vom Namen der Firma aus Rochester, New York, fast sein ganzes Berufsleben begleitet. «Ich habe ein paar Semester in den USA an der Michigan State University studiert. Danach habe ich ein Auto gekauft und bin nach Rochester gefahren, nur um den Hauptsitz von Kodak zu besuchen.» So, wie die Geeks heute nach San Francisco fliegen, um im Silicon Valley auf dem Googleplex und am Infinite Loop bei Apple zu flanieren – zwei der Firmen, die sich am Aufkauf der Kodak-Patente beteiligt haben.
Das Rockefeller-Prinzip
Kodak (übrigens ein reines Kunstwort ohne Bedeutung), gegründet 1892 vom Fotoplatten-Hersteller George Eastman, machte die Fotografie in den USA und in der ganzen Welt zum erschwinglichen Hobby für Amateure: Mit Rollfilmen und Billigst-Kameras wie der «Box» und der Instamatic.
Werbesprüche wie «Sie drücken ab, wir erledigen den Rest» bringen dabei das geniale Geschäftsmodell des Konzerns auf den Punkt, der zu seinen besten Zeiten 20 Milliarden Dollar Umsatz schrieb: «Es war das Rockefeller-Prinzip, der Petroleumlampen verschenkte, um den Leuten sein Öl zu verkaufen – Kodak gab preiswerte Kameras heraus, um das Geschäft mit Film und Fotopapier anzukurbeln», erklärt Kurt Wyss.
Selbst die Profis waren davon betroffen: «Kodachrome war der beste Farbfilm, den es gab. Aber im Gegensatz zum Ektachrome durfte man diese Filme nicht selber verarbeiten. Beim Kauf bezahlte man die Entwicklung durch Kodak gleich mit. Die einzige Besserstellung von uns Profi-Fotografen bestand darin, dass wir die Filme per Express in die Westschweizer Kodak-Labors schicken und auf dem gleichen Weg wieder empfangen durften.» Dafür war die Qualität gleichbleibend gut. Die Ektachrome-Aufnahmen dagegen, die er vor dreissig Jahren gemacht hatte, seien heute alle braun, sagt Wyss.
Bei aller Genialität ist die Geschichte von Kodak aber auch die von vielen Fehleinschätzungen. «Als ich die Firma besuchte, war ihr Hauptproblem der Nachschub an Silber: Man berechnete laufend, dass der steigende Absatz der silberhaltigen Fotomaterialien irgendwann zu einem Engpass führen müsste.»
Dass die Entwicklung ganz woanders hinging, verstand das Management nicht. Die Firma war zwar Vorreiterin in vielen technischen Weiterentwicklungen und stellte in den 80er Jahren auch die erste digitale Spiegelreflexkamera her. Doch dann entschied das Management, dass man diese Technologie nicht weiter verfolgen werde, um das Filmgeschäft nicht zu kannibalisieren. «Ich glaube, das Management war ziemlich blind», kommentiert Kurt Wyss lakonisch. «Die sind wie ein Dinosaurier stehen geblieben. Und als solcher gehen sie jetzt unter.»
Die Verdienste der Firma um die Fotografie sind unbestritten. Aber jetzt sei ein Endpunkt erreicht. Andere, wie Leica, haben die Digitalisierung mit Mühe überlebt – Kodak ist dagegen wohl, wie Polaroid, ein Stück Fotogeschichte.
Ein Bild kostete 60 Rappen
Kurt Wyss hängt ihr dennoch an. «Klar, ich habe eine Digitalausrüstung.» Aber es gebe Dinge, die er immer noch analog fotografiere. «Die Art Basel begleite ich von Beginn an. Und das mache ich auch jetzt noch mit der analogen Kamera, um die Kontinuität der Dokumentation zu wahren.»
Natürlich habe die Digitalisierung die Fotografie verändert: «Bei den Kodakfilmen kostete ein Abzug den Fotografen 60 Rappen – da schaute man hin, bevor man abdrückte.» Heute seien die Aufnahmen sozusagen gratis, wenn die Ausrüstung oder das Handy mal bezahlt seien.
«Für viele Leute ist ein scharfes, korrekt belichtetes Bild heute bereits eine gute Fotografie.» Es fehle die Schulung im Lesen von Bildern, sagt Wyss. Es sei durchaus ein bisschen ironisch, dass Kodak, der Wegbereiter der Alltagsfotografie, an der nächsten Stufe der Verbreitung der Fotografie scheitere.
«Und dabei ist den wenigsten Leute bewusst, dass eine wirklich gut aufbereitete Digitalfotografie noch immer sehr viel Aufwand und Nachbearbeitung voraussetzt.» Nur stammen Werkzeuge und Rohmaterial dafür nicht mehr von Kodak, sondern von Adobe und anderen Softwareherstellern.