Wie sieht die Art Basel aus der Sicht der Menschen aus, die so gar nichts mit Kunst zu tun haben? Tag 1 einer etwas anderen Berichterstattung.
Nachdem uns diverse Akteure erzählt haben, was ihrer Meinung nach an der Art Basel falsch läuft, und wir uns gefragt haben, wie viel Basel eigentlich noch in dieser Messe steckt, beschlossen wir, uns für einmal von der anderen Seite zu nähern: Was macht diese Messe mit der Stadt? Wie gehen die Bewohner mit dem Kunstzirkus um? Die Nicht-Galeristen, Nicht-Sammler, Nicht-Kuratoren, Nicht-Kunstis? Diejenigen, über die während der Art kein Wort verloren wird?
Wir beobachten, belauschen und begleiten sie fünf Tage lang.
Unlustige Funfair, unzüchtiges Schuhwerk, unwurstiger Damien Hirst
Um halb elf stöckeln die ersten Hostessen über den Messeplatz. Sechs schwarze Mercedes-Limousinen fahren vor dem Messeturm vor, direkt hinter einem kleinen Ikea-Lieferwagen, aus dem ein muskulöser Mann steigt. Er schaut kurz zu den Hostessen und öffnet dann die Wagentür. Es riecht ein bisschen nach Mist, vom Zirkus nebenan.
Die «Funfair» – ein riesiger Schriftzug auf einem künstlich angelegten Hügel ragt ein paar Meter weiter vorne in die Höhe. Ein kleines Kind will raufklettern, die Mutter ruft: «Komm sofort runter, da darf man nicht rauf!» Funfair my ass, denkt sich das Kind.
«Gsehsch Conny, dasch jetz ebe Kunscht.»
Ein paar Minuten später schlendert ein Mann in dunklem Poloshirt mit seiner Frau an der Skulptur vorbei: «Schau Conny, das ist jetzt eben Kunst.»
An der Tramhaltestelle wartet ein Ehepaar mit Kinderwagen. Eine auffällig gekleidete Frau in goldenen Plateauschuhen stellt sich neben sie und tippt auf ihrem Handy herum. Die Frau sagt leise etwas zu ihrem Mann. Er entgegnet: «Ach was! So was sieht man auch in der Webergasse!»
«So was siehst du auch in der Webergasse!»
Weiter hinten wedelt eine Frau vor ihrem Begleiter in weissem Poloshirt mit einem Zettel herum. «I know this fantastic noodle place!»
Am Claraplatz stehen zwei Inderinnen mit Kickboards. Sie tragen bunte Kleider und unterhalten sich. Zwei Frauen mit um den Hals gehängten Kärtchen laufen an ihnen vorbei, die eine sagt: «I love your outfit!» Die Inderin schaut kurz irritiert und wendet sich wieder ihrer Freundin zu.
«I LOVE that outfit»
Am Art Parcours stehen ein paar Kunstinteressierte in einem Hinterhof am Geländer zur Strasse. Belustigt schauen sie über die Brüstung. «This is very good», sagt einer und meint damit die Polizistin, die gerade für eine grellgrüne Kawasaki einen Busszettel ausstellt. Sie ist sehr konzentriert. Die Kunstinteressierten auch.
Links von ihnen steht das eigentlich ausgestellte Werk – eine Brunnenskulptur in Form eines Welses, der Wasser über die Brüstung auf die Strasse speit. Als sie fertig ist, ruft die Polizistin ihren Kollegen und zeigt auf den Wels. Beide lächeln anerkennend die Skulptur an. Die Kunstinteressierten lächeln zurück.
Ist das etwa… ah nein, stimmt so.
Im Bischofshof steht Parcours-Kurator Samuel Leuenberger und erklärt ein paar Gästen eine Arbeit mit dunkel gefärbten Kleidungsstücken, die über weissen Stellwänden hängen. Etwas weiter vorne im Raum versucht eine Lehrerin, ihre Schüler zum Zuhören zu bewegen. «Lauft jetzt mal ein bisschen rum und schaut, was ihr davon mitnehmen könnt», sagt sie schliesslich. Die Schüler verteilen sich schwatzend, die Lehrerin greift sich an den Kopf.
Leuenberger verlässt den Raum. Eine Schülerin meint: «Also ich finde diese Kleider hier alle mega hässlich.»
Ihre Kollegin sagt: «Darf man das touchen?»
Ein anderer Mitschüler: «Sicher nicht!»
Sie: «Es steht nirgends, dass mans nicht touchen darf!»
Er: «Im Metropolitan Museum of Art steht auch nicht, dass mans nicht touchen darf, aber man toucht es halt einfach nicht!»
Sein Kollege: «Ja, Mann. Das ist Kunst, Mann.»
«Es stoot nit, dass mes nit touche dörf!»
In einem Raum im Gymnasium am Münsterplatz stehen Knetfiguren auf einem tiefen Podest. Dazwischen liegen gezeichnete Sprechblasen mit «Is it shameful?» und «Leave this old game behind». Die Besucher drängen sich ums Podest. Aus einem alten Plattenspieler dringt freundliche Musik. Ein paar Schüler laufen aus einem anderen Zimmer in die Mittagspause. Sie sehen die vielen Leute im Knetfigurenraum und lachen. «Oh mein Gott! Da drin haben wir manchmal Schule!»
Weiter unten, am Rheinsprung, sitzen zwei Damen in Gesundheitsschuhen in einem wohnzimmerähnlichen Raum mit Videoinstallation neben dem Club de Bâle und lassen es sich gut gehen. Neben ihnen steht ein Tischchen mit einer Flasche Armagnac und ein paar Gläsern. Davor ein Schild: Bitte bedienen Sie sich.
Sie: «Nimmst du noch ein bisschen?»
Ihre Freundin: «Gern.»
«Noch etwas mehr?»
«Aber ja doch.»
«Gell, sonst wirkts nicht richtig.»
«Diese Videoporträts sind aber schön.»
Und Prost.
Im Sutter unten bei der Schifflände stehen zwei Damen und zeigen auf eine Schokokugel. «What is this?», fragen sie höflich. «This is… ähm…» Der Verkäufer schaut Hilfe suchend zu seinem Kollegen. Der lehnt sich nach vorne und schreit: «This is a PUNSCHKUGEL, madam! A PUNSCHKUGEL!» Die Frau weicht zurück.
Ein bisschen später an der Vernissage der Liste: Ein Herr in hellgrauem Jackett kommt die Treppe hinauf, auf die Terrasse der Kulturbeiz 113, und schaut in den Sonnenuntergang. Er ruft fröhlich: «Das ist Qualität!»
Derweil warten ein paar Mädchen aufgeregt vor dem «Drei Könige». Justin Bieber kommt bald, versichert eine. Grad erst war er in Zürich und heute Abend kommt er nach Basel! Sie schaut sehnsüchtig zum Eingang des Hotels. Aber dort kommen nur ein paar schön geföhnte Damen raus.
Wen kümmert schon die Art Basel? Justin Bieber taucht hier gleich auf!
Unten am Burgweg läuft ein Künstler über die Strasse, der gerne von Damien Hirst verklagt werden würde. Er tritt zum Bratwurststand. Im Bademantel.
Der Verkäufer fragt: «Bist du jetzt dieser Damien Hirst?»
Der Künstler verneint und erklärt ihm sein Projekt.
Der Verkäufer meint, das sei ein gutes Investment. Und: «Kein Wunder willst du aussehen wie er.»
«Bist du jetzt dieser Damien Hirst?»
Der Künstler schüttelt energisch den Kopf. «Nein, eben nicht!» Er lacht ziemlich laut.
Der Verkäufer darauf: «Aha. Und was soll das dann?»
Es geht noch ein bisschen hin und her und irgendwann kommt der Nicht-Hirst auf den Punkt und verlangt ein Messer. «Aber gleich zurückbringen, gell?» ruft der Verkäufer. «Aber ja!», ruft Nicht-Hirst, «Ich bin sofort wieder bei euch!» Der Bratwurstverkäufer nickt und wendet sich wieder seinen Klöpfern zu. Dabei sagt er etwas zu seinem Mitarbeiter, wir stehen aber zu weit weg und hören es nicht.