Am fünften Tag unserer Art-Reise durch Basel gehts rauf auf die Dächer, noch weiter rauf aufs Bruderholz und nach einem wunderbaren Performance-Trip zurück auf den (Torten-)Boden der Pappteller-Aktivisten, die dieses Dauerthema nun ad acta legen.
«Open your eyes», sagt die Führerin mit einem charmant klingenden leichten französischen Einschlag. Kurz darauf dann aber gleich die Aufforderung, sie zu schliessen. Für einen kurzen Moment blicke ich unvorbereitet und von ganz nahe auf eine mit Efeu bewachsene Wand. Wie ein Bild prägt sich dieser Moment ein – der Augenblick ist zu kurz, um auch noch die Umgebung aufzunehmen und gewahr zu werden, wo ich mich gerade befinde.
Also eigentlich weiss ich es ja. Ich nehme am Performance-Spaziergang «Walk, Hands, Eyes (a city)» von Myriam Lefkowitz teil. Yasmine heisst meine Führerin, die mich zu Beginn auffordert, die Augen zu schliessen. Zu Beginn des rund eine Dreiviertelstunde dauernden Spaziergangs ist die Situation noch etwas unangenehm und ich muss mich überwinden, nicht zu blinzeln. Sehr rasch aber fasse ich Vertrauen und komme dadurch zu einem nachhaltigen Kunsterlebnis.
Eine Performance, die alle Sinne anregt
Es ist eine wunderbare Performance, die alle Sinne anregt. Das Gehör, das die Umgebung aufnimmt, die Motorengeräusche der Autos, die Stimmen der Passanten, der Wind, der durch die Blätter rauscht, die Vögel, die überraschend laut zwitschern, das Plätschern der vielen Brunnen und des Rheins. Die Füsse und Beine, mit denen ich die verschiedenen Böden wahrnehme: den Asphalt, Kieswege, Gras.
Und plötzlich erscheint vor Deinen Augen ein Efeu-Bild. (Bild: Dominique Spirgi)
Und dann immer wieder diese kurzen Augenblicke: Yasmine richtet meinen Kopf in einer engen Gasse nach unten. Augen auf, und ich blicke auf einen friedlich am Boden liegenden Hund. Dann ein kurzer Schreckensmoment, als ich mich plötzlich einem Menschen in einem riesigen bunten Birnenkostüm gegenübersehe. Später das Bild einer spiralförmigen Auffahrt in einer Garage. Keine Ahnung, wo sich im Wettsteinquartier so eine Garage befindet. Am Schluss gibts ein Geissen-Bild im Waisenhaus.
Es ist also eine junge Frau aus Paris, die mir die zumeist geschlossenen Augen öffnet für die speziellen Momente der Stadt, die ich so gut zu kennen glaube. Eine tolle Erfahrung.
Auf die Dächer
Treffpunkt für den Rundgang ist die Messe Liste im Werkraum Warteck pp – die Performance ist Teil des Programms der Liste. Dort herrscht eine gelöste Stimmung an diesem Nachmittag. Also rein und gleich rauf aufs Dach. Genauer in die Kulturbeiz 113, die so heisst, weil 113 Treppenstufen zu überwinden sind. Oben angekommen schweift der Blick jetzt völlig offenen Auges über den Rhein rüber ins Grossbasel. Zum Gegenwartsmuseum, das jetzt neu Kunstmuseum Basel | Gegenwart heisst.
Blick von der Messedachbar (Liste) rüber auf die Museumsdachbar (Kunstmuseum Basel – Gegenwart). (Bild: Dominique Spirgi)
Und siehe da: Da drüben gibts auch eine Dachbar. Also schnell über den Rhein und die Treppen rauf. Billig sind die Getränke dort nicht. Der gespritzte Weisswein («sauer» – aber, warum fragt das überhaupt noch jemand, gibt es Menschen, die «süss» möchten?) kostet zehn Franken. Den in der teuren Campari-Bar gibts für acht. Aber die Aussicht ist schön. Zum Beispiel rüber ins Kleinbasel, zur Kulturbeiz 113, wo ich eben war.
Blick zurück von der Museumsdachbar auf die Messedachbar. (Bild: Dominique Spirgi)
Kunst-Herz-Stillstand
Wer so viel oben ist, bekommt Lust auf noch mehr oben. Im Filter 4 hoch oben auf dem Bruderholz gibts ein spezielles Kunstwerk, wurde mir gesagt. Als ab aufs Velo und rauf. Oben mit Herzklopfen angekommen, heisst es, dass das Herz stillstehe.
Also nicht meines zum Glück, sondern das der Berliner Künstlerin Johanna Keimeyer, das während der Art in den wunderbaren Räumen der ehemaligen Wasserfilteranlagen hoch oben über der Stadt eingerichtet wurde. «BREATH ing HEART» heisst die Installation. Ein Riesenherz mit zehn Metern Durchmesser, in das man wie ein Blutkörper eintauchen kann, um bei Atemgeräuschen und sphärischen Gesängen alles Drumherum zu vergessen – oder zumindest sollte, wie einem vor dem Eintritt die Stimme über Kopfhörer suggeriert.
Und hinein ins Herz: «Breath ing Heart» von Johanna Keimeyer. (Bild: Dominique Spirgi)
Aber eben: Das mit dem Strom scheint Schwierigkeiten zu bereiten. Die junge, sehr aufmerksame Künstlerin hetzt wie wild umher, klagt, dass ihr Herz wie ein Donut aussehe und nicht wie es sollte und ruft ihren Helfern immer wieder «Luft ablassen» zu. Aber die Elektriker seien unterwegs. Eindrücklich ist die Installation dennoch. Und beruhigend ist der Aufenthalt auf den aufblasbaren Liegen im aufgeblasenen Herz. Art, Kunst kann so schön entspannend sein.
Wieder auf dem (Torten-)Boden
Blick vom Brunderholz runter af die Kunst- und Kunstmessestadt Basel. (Bild: Dominique Spirgi)
Noch einen Blick vom Bruderholz runter auf die Stadt. Ein toller Blick. Aber so gerne man ja noch oben geblieben wäre, die Pflicht des Reporters ruft. Enrique Fontanilles und Renato Zürcher haben zur Pappteller-Prozession aufgerufen. Beginn um 18 Uhr auf dem Messeplatz.
Pappteller? Da war doch etwas? Vor drei Jahren an der Art, gedacht als künstlerische Antwort auf die Art-Favela-Auseinandersetzung vor vier Jahren, hatten einige Dozenten und Studenten der Schule für Gestaltung versucht, mit Papptellern ein stilisiertes Reenactment der wüsten Szenen zwischen den Aktivisten und der Polizei durchzuführen. Die Polizei hatte vor drei Jahren kurzen Prozess gemacht, alle irgendwie verdächtig Aussehenden eingesammelt und abgeführt. Ein unrühmliches Kapitel Basler Polizeigeschichte.
Initiant der Pappteller-Aktion – eigentlich waren es ja Tortenböden – war Enrique Fontanilles, Künstler und Dozent an der Schule für Gestaltung. Die harsche Reaktion auf seine Aktion liess ihn seitdem nicht mehr los. Vor zwei Jahren rief er zur spontanen Frisbee-Aktion auf dem Messeplatz auf. Und nun die Prozession.
Solidarität mit Sans-Papiers
Kurz nach 18 Uhr versammeln sich also auf dem Messeplatz rund 30 Menschen mit Papptellern und zumeist schwarzen Kleidern zur Prozession. In Absprache mit der Messe und deshalb auch ohne polizeiliche Intervention. In Einerkolonne marschierte die kleine Schar meist älterer Menschen dann über die Wettsteinbrücke zur Elisabethenkirche.
Elisabethenkirche deshalb, weil die Prozession nicht nur als Gedenkveranstaltung an den Polizeieinsatz vor drei Jahren gedacht war, sondern auch als Solidaritätskundgebung mit Sans-Papiers in Basel. Laut Angaben des Vereins Soldaritätsnetz Region Basel soll das Basler Migrationsamt Anzeigen gegen Sans-Papiers erstattet haben, die kürzlich erst über Härtefallgesuche eine Aufenthaltserlaubnis erhalten haben.
«Instrumente des Protestes»
Fontanilles hatte in der Talk-Sendung von «Telebasel» versucht, eine inhaltliche Brücke von der Art zu den Sans-Papiers in Basel zu schlagen. An der Art würden die Reichsten der Welt willkommen geheissen, während gleichzeitig die Ärmsten der Welt, die um ihre Existenz beziehungsweise Aufenthaltsstatus kämpfen müssten, mit saftigen Bussen und Strafen eingedeckt würden.
In der Elisabethenkirche zeigte sich dann, warum so wenige Studenten an der Prozession teilgenommen hatten. Sie hatten einen Apéro – oder «Abendmahl», wie gesagt wurde – vorbereitet. In der Kirche begrüsste Menschenrechtsaktivistin Anni Lanz die Prozessionsteilnehmer und rief sie dazu auf, einen offenen Brief an Justiz- und Sicherheitsdirektor Baschi Dürr («Stoppen Sie die Anzeige von Personen, die sich im Rahmen von Härtefallverfahren geoutet haben.») zu unterzeichnen.
Frank Lorenz, Pfarrer und Co-Leiter der Offenen Kirche Elisabethen, erteilte den Anwesenden schliesslich rückwirkend die offizielle kirchliche Erlaubnis, ihren Protestmarsch als Prozession zu betiteln.