Tommy Ramone ist tot – es lebe Tommy Ramone: Wir haben im privaten Archiv gewühlt und ein Interview, das wir 2005 mit dem Punkrock-Pionier führten, ausgegraben: Darin erklärt er, warum er, der Manager, auf einmal als Drummer den Takt angab, wie die Ramones funktionierten und wie ihr Erfolg zu erklären ist.
Mit Tommy Ramone starb vor wenigen Tagen das letzte Gründungsmitglied der Ramones. Er wurde 65 Jahre alt. Was die legendäre Punkrockband aus New York richtig gemacht hatte, das haben wir ihn noch zu Lebzeiten, vor knapp zehn Jahren, fragen können. Und zwar im Vorfeld einer Musicalaufführung in der Kaserne Basel. Tommy Ramone war letztes überlebendes Gründungsmitglied und hatte dieses Musical mitinitiiert. Musical, Ramones, Punk? Das schrie förmlich nach einer ersten Frage. Hier ein Auszug unseres Gesprächs, für die Ewigkeit.
Tommy Ramone, wie hätten Sie reagiert, wenn ich Ihnen 1975 vorgeschlagen hätte, ein Ramones-Musical zu realisieren?
Tommy Ramone: 1975? (lacht) Oh, ich hätte mir den Kopf darüber zerbrochen. Das wäre mir nie in den Sinn und wäre damals auch nicht in Frage gekommen, wir waren zu beschäftigt mit uns. «Ramones-Musical», das hört sich ja heute noch seltsam an. Wenn die Leute davon erfahren, sagen sie meistens: «Wie bitte?!» Es klingt nicht nach einer Sache, die Sinn macht. Die Skepsis der Leute aber verfliegt jeweils nach ein, zwei Minuten. Denn das hier ist nicht zu vergleichen mit Musicals wie «Cats» oder «A Chorus Line».
Sie sehen darin keinen Widerspruch zur Punkrock-Philosophie?
Nein, es hat viele Elemente drin, viele authentische Augenblicke, in denen durchdringt, was die Ramones ausmachte: Drama, Comedy, Horror, Gewalt. Ich habe sehr darauf geachtet, dass unser Kulturverständnis glaubwürdig wiedergegeben wird.
Warum wurde das Musical just dann realisiert, da nach Joey und Dee Dee auch Johnny Ramone tot ist? Fürchteten Sie, dass die alten Kumpels die Idee verworfen hätten?
Nein. Johnny lebte noch, als die Idee entstand. Er sagte: «Sicher, macht das!», und gab grünes Licht. Es spricht ja grundsätzlich nichts dagegen. Das Musical ist eine ideale Möglichkeit für die Fans, Ramones-Songs live zu hören. Die Radios spielen doch immer nur die gleichen zwei Hits, und auch Coverversionen gibts stets von den gleichen Gassenhauern. Das Musical aber beinhaltet 18 Ramones-Songs aus allen Phasen. Johnny fand das völlig in Ordnung.
Die Ramones waren wunderbar talentiert. Aber da war so viel Wettbewerb und Eifersucht im Spiel. Ich wurde nicht sehr gut behandelt.
Trotzdem: Naiv, wer da nicht sofort an Leichenfledderei denkt.
Ich weiss, dass es danach aussehen kann. Johnny und ich empfanden es aber nicht so. Wir sagten uns: Die Ramones gibts nicht mehr, die Songs aber schon. Die Fans brauchen immer wieder mal ihren Ramones-Fix. Also geben wir ihnen doch mit dem Musical die Chance, eine komplette Show live zu erleben. Wichtig ist natürlich die Differenzierung: Das sind nicht The Ramones, es sind Ramones-Songs.
Es fällt auf, dass Sie nie «wir» sagen, wenn Sie von den Ramones sprechen, sondern immer «sie». Haben Sie sich so stark von der Band distanziert?
Nein, es gab keine Separierung: Die Ramones waren mein Baby und werden es immer sein. Es ist vergleichbar mit einer Familie. Wir waren Brüder. Und wie in einer Familie gab es viele Auseinandersetzungen und Konflikte.
Sie verliessen die Band Jahre vor der Auflösung 1996. Im Dokfilm «End Of The Century» sagen Dee Dee und Joey Ramone, dass das kein Verlust war. Das klingt nicht nach Freundschaft. Haben sie sich gehasst?
Ich weiss nicht, warum diese Aussage in diesen Film eingebaut wurde. Ich war selber überrascht, finde es eine irreführende Situation. Die beiden über unser Verhältnis zu befragen, war zu diesem Zeitpunkt heikel, denn es war gerade ein Buch erschienen: Darin wurde betont, dass ich grossen Anteil am Erfolg der Ramones hatte. Ich glaube, die Ramones waren bei diesem Punkt sehr paranoid. Sie fürchteten, dass ich die ganze Anerkennung erhalten würde. Das ist Nonsens. Alle waren gleichermassen involviert. Die Filmemacher nutzten diese Aussage meiner Meinung nach, um aufzuzeigen, wie schlecht mich die anderen behandelt hatten. Aber es ist nicht klar definiert.
Wie schlecht haben Sie die anderen Ramones denn behandelt?
Der Umgang mit ihnen war schwierig. Sie waren wunderbar talentiert. Aber da war so viel Wettbewerb und Eifersucht im Spiel. Ich wurde nicht sehr gut behandelt.
Eifersucht wohl auch, weil Sie die Band zu Ihrer Blütezeit gemanagt und produziert haben. Sie waren der Mann, der den Ramones-Sound kreierte. Was macht diesen Sound aus?
Die Liedstrukturen, die Texte, die Inhalte, das Spiel, der Klang. Auch das Drumming. Wir waren so innovativ, so eigen, kreierten eine neue Art, Musik zu machen.
Sie gelten auch als erster Drummer der Musikgeschichte, der die Songs nicht selber einzählte, sondern es an den Bassisten abtrat. Warum?
Wir liebten es, wenn Dee Dee «1, 2, 3, 4» schrie. Gerade auch, weil sein Einzählen absolut nichts mit den Rhythmen der Songs zu tun hatte – wirklich gar nichts.
Hat Sie die Feststellung erstaunt, dass dieses «1, 2, 3, 4» zu einem veritablen Markenzeichen der Ramones wurde?
Wir genossen es einfach, wenn er das sagte, fanden es amüsant. Es ist natürlich grossartig, dass das Kult wurde, ebenso unsere Kleider und Frisuren. Ich erfuhr im Laufe der Zeit, dass die Leute uns so erkannten, unseren Stil mochten, also behielten wir ihn. Wir hatten nie daran gedacht, zu einem Klassiker zu werden. Ich wusste aber von Beginn weg, dass das, was wir machten, revolutionär und innovativ war.
Marketing? Oh nein, wir fanden uns einfach cool und grossartig, machten das, was wir gerne machen wollten.
Sie haben die Gruppe ja auch verkauft.
Ja, das stimmt. Ich war der Manager. Ich wurde nur zufällig auch noch ihr erster Schlagzeuger – wir konnten keinen passenden finden.
Dachten die Ramones von Beginn an Marketing?
(erstaunt) Marketing? Oh nein, wir fanden uns einfach cool und grossartig, machten das, was wir gerne machen würden, wollten gut aussehen und gut klingen.
Und was dachten Sie, als Sie hörten, dass britische Bands auf ihren Spuren zu wandeln beginnen?
Nun, wir dachten uns: Wir sind nicht der einzige Fisch in diesem Teich. So ist das Leben. Gute Ideen werden übernommen.
Die ersten europäischen Kritiken beschrieben die Ramones als brutal nihilistisch. Debbie Harry von Blondie sagt, dass ihr genau gewusst hättet, was ihr macht. Euer Glaube an die Band hatte für sie einen religiösen Touch. Was stimmt?
Ich glaube, was Debbie verwirrt hat, ist, dass wir so diszipliniert waren. Disziplinierter als Blondie oder auch die Sex Pistols, sie waren liederlich und schlampig. Wir waren ehrgeizig und arbeiteten sehr hart.
Musikalische Erinnerungen an die Ramones finden Sie in unserer Listomania: Sieben Ramones-Songs, die ihre Urheber überleben werden.