Bernd Begemann war einst ein Ahnherr der Hamburger Schule, aus der Tocotronic und Blumfeld erwuchsen. 2013 steht er auf der Bühne in halbleeren Beizensälen und nölt so herzerweichend wie kaum ein Zweiter.
Er sei hierher gekommen, um Heimatlieder und kommunistische Propaganda zu singen, sagt Bernd Begemann, als er sich die Gitarre umschlingt. Aber dann werden es doch eher Lieder darüber, was man alles verlieren kann in diesem Leben. Nicht zuletzt die Liebe. «Wir sind gut im Bett, leider nirgendwo sonst», klagt er in bitterbösem Selbstmitleid. Oder kippt die Waagschale knapp auf die optimistische Seite: «Ich hab nichts erreicht ausser Dir». Dazu schrammelt er die Twang-Gitarre, wirft sich Hall und Verzerrer auf die Stimme, klappert mit Perkussionsinstrumenten zu seiner voluminösen, soulschlagergezuckerten Stimme und verlost zwischendurch sein Merchandise-Sortiment. Etwa eine Raritäten-Kompilation aus 25 Jahren Bernd Begemann, «zu schlecht, dass sie es je auf ein anderes Album geschafft hätten», oder einen Bildband zu Cocteaus Schwarzweissfilm «La Belle et la Bête».
Das ist die Kurzfassung.
Geburtshelfer von Tocotronic
Das Konzert von Bernd Begemann im nur zu einem Drittel gefüllten «Sääli» des Goldenen Fass bietet aber auch Anschauungsunterricht darüber, was einen wie ihn, kürzlich Fünfzig geworden, auf den langen Strassen zwischen den kleinen Bühnen hält und wie er das weiter durchsteht, während frühere Weggefährten und Nachkömmlinge in die Arenen der Hochkultur eingetreten sind. Denn Begemann ist einer der Ahnherren der sogenannten «Hamburger Schule». Als er in den späten Achtziger Jahren mit seiner damaligen Band «Die Antwort» die ersten Erfolge in Norddeutschland feierte, zog er auf seinem Kleinstlabel «Fast Weltweit» einige jüngere Musiker mit, aus denen später Bands wie Die Sterne, Blumfeld oder Die Braut Haut Ins Auge entstehen sollten. Und Mitte der Neunziger Jahren empfing er für den Norddeutschen Rundfunk junge Bands der Stadt bei sich zu Hause im Bademantel und liess sie ihre Lieder spielen. Die Sendung «Bernd im Bademantel» wurde nach drei Folgen abgesetzt, eine der Bands, die es dort hinein geschafft haben, waren Tocotronic.
Die haben vor kurzem ihr zehntes Album veröffentlicht, landeten zum wiederholten Mal auf den Spitzenplätzen der deutschen Charts, sind auf einer nahezu ausverkauften Tour unterwegs, unter anderem im weihevollen Burgtheater Wien. Von Begemanns Wohnung aus erklommen Tocotronic mit den Jahren den Nimbus der wichtigsten deutschsprachigen Rockband, während Begemann Platte um Platte veröffentlicht und seine Tourneen Kehren nehmen über den Bahnhof Lagendreer Bochum oder den Ringlokschuppen in Mülheim an der Ruhr.
Bissig, larmoyant und hochkomisch
«Wilde Brombeeren» heisst sein aktuelles Album, erschienen 2011, ein erneut hochkomisch-larmoyantes Liederkabinett aus Lo-Fi-Liebesfanfaren und bissigem Genöle. Subtil geht er dabei nicht wirklich zur Sache, nicht in seinen Liedern, noch weniger in der Performance. Auf der Bühne des «Sääli» benutzt er seinen reichen Fundus an Liedmaterial weniger als eigentliche Ressource denn als Steigbügel für seine gestählten Fähigkeiten als Entertainer. Gerne bricht er seine Lieder ab, um das Publikum neu aufzumischen, auf der Bühne rumzutigern oder um über die Liebe zu schnöden oder wenigstens über Frauen, die noch auf sie hereinfallen.
Nur manchmal, befreit von all dem Ballast der Lakonie, funkelt der nie verglühende Glaube an Glück und Romantik zart hervor. Einmal holt er die junge Sängerin Dorit Jakob auf die Bühne, singt mit ihr das Duett «Irgendwie klappt es mit uns». Ein Hohelied auf die mittelmässige Liebe ist das, und wenn man tiefer in diese Erklärung von Glück als Gewöhnung hineinhört, flüstert aus ihr das Karriereresümee des Bernd Begemann zurück, der zwar nie wirklich nach oben kam, aber auch nie endgültig strandete: «Es funktioniert wie es ist, also lass es wie es ist und geniess».