Die Massen drängten am 9. April ins Stadtcasino: Lang Lang spielte Mozart und natürlich Chopin. Der chinesische Starpianist, King of Selbstinszenierung, entpuppte sich als Klangpoet sondergleichen. Nichts für Puristen. Aber der pure Zauber, wenn man sich darauf einliess.
Dienstagabend, Stadtcasino Basel: Die Suche nach letzten Tickets ist aussichtslos, in den Foyers fliessen dichte Menschenströme, undurchdringlich, am CD-Verkaufsstand hat sich schon vor dem Konzert eine Menschentraube gebildet – Lang Lang ist los!
Nicht nur in dieser Hinsicht muss man sich etwas vorarbeiten, bis man zum Musiker hinter der Fassade des Popstars auf Tasten gelangt. Lang Lang kann man nämlich seit einiger Zeit auch als Turnschuh kaufen. Und seine Aufnahmen laufen unter Titeln wie «Time for Dreams» (2008) oder «Liszt, My Piano Hero» (2011). Nun, Erfolg hat er damit, der «Weltbotschafter der Tasten», wie sein zweiseitiger Lebenslauf im Programmheft den «New Yorker» zitiert.
Auf der anderen Seite haben ihm Kritiker – vor allem in den frühen Nuller-Jahren, als Lang Lang in urbanen Dresses und ausgeklügelten Sturmfrisuren die Welt eroberte – immer wieder fehlende künstlerische Eigenständigkeit angekreidet und übertriebene Detailverliebtheit. Pompöse Fassade statt Gehalt. Ausserdem erinnert man sich an Fernsehauftritte, in denen Lang Lang eine Kette von Orgasmen zu erleben schien und dabei zufällig auch Klavier spielte. (Im Internet sind diese Sendungen nicht mehr leicht aufzufinden – vielleicht kein Zufall?)
Eine Erzählung in jedem Ton
Und nun, da man sich einmal durch den Andrang und den Dschungel aus dubiosem Vorwissen gekämpft hat – tritt ein 31-jähriger Mann auf, nicht schüchtern, aber bescheiden, grüssend wie ein Papst, aber total konzentriert, wach und dankbar für das Interesse an seiner Musik. Es ist recht unklar, was dieser «echte» Lang Lang eigentlich zu tun hat mit der Inszenierung seiner Person während der letzten Jahre.
Den ersten Teil des Abends machen drei frühe Sonaten von Mozart, Nr. 5 G-Dur, Nr. 4 Es-Dur und Nr.9 a-moll. Mozart war 20 und 23 als er sie komponierte. Natürlich ist Lang Langs Spiel alles andere als simpel. Puristen mit dem Finger im Notentext werden hier nicht glücklich. Lang Lang fächert die Musik auf und sucht nach einer Erzählung in jedem Thema und Akkord – in jedem. Auch Pianisten wie Daniel Barenboim oder Grigory Sokolov spielen alle Noten bewusst. Aber ihr Stil ist ein anderer. Lang Lang zeichnet jeden Ton, malt ihn, meisselt ihn.
Er liebt es etwa, eine Melodie pianissimo zu spielen und dann einen heftigen Akzent zu setzen, wie eine Fotografie mit vielfach erhöhtem Kontrast. Dennoch hat sein Mozart Feinheit (ohne die kein Mozart möglich ist). Obwohl so extrem gestaltet, spielt Lang Lang schlank und ohne Umwege.
Keine Widerrede
Das gilt auch für Chopins sämtliche vier Balladen nach der Pause. Hier ist Lang Lang, wen wundert’s, in seinem Element. Wie er da die lyrischen Themen hinzaubert kommt einfach saugut. Sie fallen ihm wie Flocken aus dem Ärmel. Und wenn es dramatisch wird, dann ist Macht im Raum, keine Widerrede, bis in die Knochen. Weniger Pedal hätte die Sache noch kristalliner gemacht, zu verbergen gab es nichts. Jänu.
Die Leute feierten Lang Lang lange und viele im Stehen. Etwas Intimes war zwischen dem Pianist und seinem Publikum entstanden. Nach zwei Zugaben verliess man mit weiter Brust den Saal, bereit, selber einen Klavierabend zu geben oder sich in irgendwelchen Heldenprüfungen zu bewähren. Lang Lang wird zurecht geliebt. Der Weg durch den Pomp ist es wert.