Serge der Grosse: Die Geschichte des Chansons wäre ärmer ohne seine Meisterwerke wie «Initials B. B.». 25 Jahre nach seinem Tod bleibt Gainsbourgs Einfluss auf Frankreichs Popkultur ungebrochen.
Chansons schreiben, die starke Frauen schmachten lassen. So meisselte der französische Comic-Zeichner Joann Sfar vor sechs Jahren sein märchenhaftes Filmdenkmal für den vielleicht grössten, bestimmt aber ikonischsten aller Chansonniers.
Vom Knaben Lucien Ginsburg, der schon als Kind ein ungewöhnliches Interesse an erwachsenen Frauen zeigte, bis zu seinen späten Gefährtinnen Jane Birkin und Bambou, die seine Töchter hätten sein können, zeigte Sfars Film Gainsbourg als Meister der aphrodisierendsten aller Künste. Ein anfänglich aufgrund seiner Physiognomie komplexbeladenes musikalisches Genie, das an den Klaviertasten zum Frauenheld wurde.
Das schönste Lied für «BB»
Wahrlich eine Geschichte aus schüchternen Bubenträumen, die aber in Gainsbourgs Leben seine Erfüllung fand. Noch bevor er selbst zum Star wurde, schneiten ihm seine Chansons Mitte der 1960er-Jahre Brigitte Bardot in die Laken, «BB», die aufregendste aller Männerfantasien jenes Jahrzehnts. «Mein Liebster, setz dich ans Piano und schreib mir das schönste aller Liebeslieder», sagt sie zu ihm in Sfars Film. Und Gainsbourg erhebt sich nackt aus dem Bett und tut wie ihm geheissen.
«Initials B. B.» heisst das Album, das aus der Bindung Bardot–Gainsbourg erwuchs, die sich ebenso wenig verfestigte wie viele andere seiner Frauengeschichten. Als die Platte 1968 erschien, war die Affäre bereits wieder vorbei, aber ihr Duft schwebte noch umher. Vor allem in «Bonnie and Clyde», ein Film, der die Geschichte des Gangsterpaares als amour fou par excellence modellierte.
Daneben schaffte es mit der Charleston-Nummer «Comic Strip» nur ein weiteres Duett der beiden auf das Album. Bardots Rolle in «Comic Strip», die kaum über Kiekslaute hinausgeht, zeigte schon, dass ihr Gesangstalent für kaum mehr als erotisiertes Hauchen ausreicht – was in Solonummern wie «Harley Davidson», die Gainsbourg für die blonde Schönheit schrieb, deutlich wurde.
Erster zensierter Nummer-eins-Hit
Meister Gainsbourg machte sich diesen Mangel zunutze – und rückte mit einem Chanson raus, das wie kein anderes mit ihm verwuchs: «Je t’aime… moi non plus». Bekannt und berüchtigt wurde das Lied mit der schunkeligen Gitarre und der vor Süsse schmelzenden Orgelmelodie erst 1969 mit Jane Birkin, die Bardot als Duettpartnerin sowohl im Bett wie am Gesang beerbte und die Ballade mit jenen Stöhnlauten verzierte, die das Lied zum Skandal und schliesslich zu Gainsbourgs grösstem internationalem Erfolg werden liess. «Je t’aime… moi non plus» war die erste zensierte Nummer eins der britischen Charts.
Geschrieben allerdings hatte Gainsbourg das Lied für sich und Bardot – und nur weil sich das Supermodel in jenen Jahren in einer Ehe mit dem Jet-Setter Gunter Sachs befand, die es zu retten galt, blieb die Originalversion der Ballade fast zwanzig Jahre unter Verschluss. Erst 1986 war Bardots Liebeszischen erstmals zu hören, als sich das ehemalige Model bereits seit Jahren aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hatte.
So kam das Album «Initials B. B.» ohne das spektakulärste Produkt der Affäre zweier französischer Ikonen aus. Die Platte bildete als wichtigstes Scharnier im Übergang von Gainsbourgs Jazz-Anfängen hin zum Pop dennoch ein Schlüsselwerk in der musikalischen Entwicklung des Chansonniers. «Bonnie and Clyde» fand sich 1994 im frankophonen Hip-Hop wieder, als MC Solaar es für seinen stilbildenden Hit «Nouveau Western» sampelte.
Mit «Bloody Jack» bewies Gainsbourg, wie offen er für die neuen Rhythmen des Rock war, das Titelstück mit der erhebenden Dvorak-Melodie ist noch heute eines seiner einflussreichsten Lieder, das zuletzt in der Person von Iggy Pop einen der unwahrscheinlichsten Anhänger fand. Ein Punkpate, der sich dem Grandseigneur des Chansons zuwendet – wenig könnte stärker verdeutlichen, wie anschlussfähig Gainsbourg auch 25 Jahre nach seinem Tod noch ist.