Das Buch erzählt eine Horrorgeschichte, ist ein historischer Roman und ein Ausbund einnehmender Fabulierkunst. Und vor allem ist «Das Parfum» von Patrick Süskind 30 Jahre nach seiner Erscheinung noch immer eine einzigartige Abenteuerreise durch das geheimnisvolle Reich der olfaktorischen Leidenschaften.
Patrick Süskind (*1949) stellt die Hauptfigur seines Romans in eine Reihe mit den ganz grossen Bösewichten der (Literatur-)Geschichte: «Und wenn sein Name (…) heute in Vergessenheit geraten ist, so sicher nicht deshalb, weil Grenouille diesen berühmteren Finstermännern an Selbstüberhebung, Menschenverachtung, Immoralität, kurz an Gottlosigkeit nachgestanden hätte, sondern weil sich sein Genie und sein einziger Ehrgeiz auf ein Gebiet beschränkte, welches in der Geschichte keine Spuren hinterlässt: auf das flüchtige Reich der Gerüche.»
«Das Parfum» heisst das Werk, das den Namen seines Autors in den Reigen der ganz Grossen der deutschen Literatur eingereiht hat. Vor allem, was die Verbreitung, aber auch was die einzigartige Originalität seines Romans angeht.
Patrick Süskind hat nur sehr wenige Werke geschrieben und er gebärdet sich bis heute ausgesprochen öffentlichkeitsscheu. «Das Parfum» jedoch wurde bislang weit über 20 Millionen Mal verkauft, in beinah 50 Sprachen übersetzt und 2006 mit Starbesetzung verfilmt – übrigens mit finanzieller Hilfe von Mitproduzentin Gigi Oeri.
Ein böses Genie
Die «Geschichte eines Mörders», wie es im Untertitel heisst, ist eigentlich schnell erzählt und vielen Leserinnen und Lesern ja eh in unauslöschlicher Erinnerung: Es ist die Lebensgeschichte von Jean-Baptiste Grenouille, der im 18. Jahrhundert in Paris – «am allerstinkendsten Ort des gesamten Königreichs» – auf unappetitliche Weise in die Welt geworfen wird und am Schluss brutal ums Leben kommt.
Es ist die Geschichte eines Menschen mit übermenschlichem Geruchssinn, aber ohne Eigengeruch. Eines Menschen, der als Kleinkind in der grauenvoll stinkenden Gosse den eigentlich sicheren Tod überwindet und sich auf dem olfaktorisch geprägten Lebensweg vom Gerbergehilfen über den genialen Parfümeur auf seiner wahnhaften Suche nach dem ultimativen Geruchserlebnis zum Massenmörder entwickelt – oder zwangsläufig entwickeln muss.
«Das Parfum» ist aber vor allem eine düstere Ode «auf das flüchtige Reich der Gerüche». Auf epische Art und Weise brachte Süskind damit zu Papier, was die Leserinnen und Leser normalerweise nur im unterschwelligen Bewusstsein wahrnehmen und was im hormonell geprägten Dasein doch eine ungemein wichtige Rolle zu spielen scheint.
Die Welt anders wahrnehmen
Wer «Das Parfum» gelesen hat, nimmt die Welt anders wahr. Sieht sie nicht nur, hört nicht nur hin, fühlt nicht allein, sondern riecht sie plötzlich ganz intensiv. Immer der Nase nach, auch wenn die Düfte der Gegenwart nicht mehr die Extreme haben mögen wie die des 18. Jahrhunderts in Paris.
Wie nachhaltig und intensiv olfaktorische Empfindungen sein können, lässt sich derzeit auch im Museum Tinguely nacherleben. In einer faszinierenden Ausstellung mit dem Titel «La belle Haleine – Der Duft der Kunst» führt das Haus ebenfalls in das Reich des olfaktorischen Sinnes. Es ist eine Ausstellung, die sich mit und über die Nase ergründen lässt.
Es ist eine Ausstellung, die man erlebt beziehungsweise erschnüffelt haben sollte. Wie auch Süskinds Roman ein Werk ist, das man eigentlich gelesen haben muss. Vielleicht jetzt gerade wieder oder zum ersten Mal, bevor oder nachdem man die Ausstellung im Museum Tinguely besucht. Die Reihenfolge ist egal. Einfach immer der Nase nach.