Die kanadische Schauspielerin Fay Wray konnte ihr Glück kaum fassen: Sie würde die Leinwand mit Hollywoods dunkelstem und grösstem Hauptdarsteller teilen, hiess es vor dem Start der Dreharbeiten zu einem Abenteuerfilm, der das Kino revolutionieren sollte.
Natürlich dachte Wray dabei an gestandene Mannsbilder wie Cary Grant oder Clark Gable und nicht an einen zehn Meter grossen haarigen Humanoiden, der sie konstant begrapschen und an ihrer Unterwäsche schnüffeln sollte: «King Kong», das achte Wunder der Welt und Urahn des modernen Blockbusters.
Die Geschichte vom gigantischen Gorilla, der sich unglücklich in ein blondes Menschenweibchen verliebt, kennt jedes Kind: Es ist eine Neuerzählung von «Die Schöne und das Biest», allerdings ohne das Happy End. Wenn Kong zuletzt vom Empire State Building in den Tod stürzt, hat er die Herzen der Zuschauer längst erobert. Mit Kong stirbt kein Monster, sondern ein leidenschaftlicher Verehrer, der sich aus Liebe zum Affen macht.
Dokumentarfilmer und Abenteurer
Im Cockpit des Kampfflugzeuges, das Kong den Gnadenschuss versetzt, sassen die Filmemacher selbst: Merian C. Cooper und Ernest B. Schoedsack. «Wir haben ihn erschaffen, also sollten wir den Hundesohn auch selbst erledigen», begründete Cooper das Cameo.
Kennengelernt hatten sich die beiden US-Amerikaner in Wien nach dem Ersten Weltkrieg. Cooper war Pilot und neun Monate in Kriegsgefangenschaft, Schoedsack hatte ebenfalls Kampfeinsätze geflogen und sich dabei die Augen ruiniert. Und beide begeisterten sich für das Kino, besonders für «natural dramas», wie sie ihre wilde Mischung aus Dokumentarfilm und Fiktion nannten.
Gemeinsam zogen sie los, um das Spektakel exotischer Schauplätze auf Zelluloid zu bannen: eine amoklaufende Elefantenherde, menschenfressende Tiger und Stammesfehden. Und wo die Wirklichkeit den Ambitionen der Filmemacher hinterherhinkte, halfen sie nach.
Merian C. Cooper träumte von einem riesigen Gorilla, der auf der Spitze eines Wolkenkratzers gegen Flugzeuge kämpfte.
In die Staaten zurückgekehrt, träumte Cooper von einem riesigen Gorilla, der auf der Spitze eines Wolkenkratzers gegen Flugzeuge kämpfte. Die fixe Idee zu «King Kong» war geboren. Allerdings sah Cooper keine Möglichkeit, seine Geschichte in Bilder umzusetzen. Die Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre verunmöglichte Originalaufnahmen im Dschungel, und wo sollte er seinen Hauptdarsteller auftreiben?
Der Zufall wollte es, dass Cooper in seiner Funktion als Produzent bei RKO Pictures auf den grössten Filmtricktechniker seiner Generation stiess: Willis O’Brien. Der Cartoonist hatte sich das Handwerk selbst beigebracht und den Abenteuerroman «The Lost World» von Arthur Conan Doyle im Stop-Motion-Verfahren gedreht: Jeder Urzeit-Saurier wurde Aufnahme für Aufnahme von Hand bewegt – eine furchteinflössend langwierige Arbeit, aber mit nachhaltiger Wirkung.
Noch grösser, noch lauter
In einer unfreundlichen Übernahme kaperte Cooper O’Briens laufendes Projekt, für das der Bastler bereits unzählige Dinosauriermodelle geschaffen hatte. Sogar ein provisorisches Drehbuch entlieh Cooper bei O’Brien und liess es zunächst von Edgar Wallace (genau, der!) und – nach einer Reihe weiterer Autoren – von Schoedsacks Ehefrau Rose umschreiben. Den grossspurigen Imperialisten Carl Denham lehnte Rose an Cooper an, Kongs romantischem Rivalen Jack Driscoll hingegen verlieh sie Züge ihres eigenen Gatten.
«King Kong» war eine Sensation, rettete das Filmstudio vor dem Bankrott und läutete das Zeitalter des Spezialeffektkinos ein, das bis heute andauert: «Fantastic Beasts and Where to Find Them» etwa wandelt in den Spuren desselben Überwältigungskinos, das «King Kong» begründete. Und nach zwei Remakes des Originals ist für das nächste Jahr mit «Skull Island» ein Reboot angesagt: noch grösser, noch lauter.
Im dampfenden Dschungel des Unbewussten, wo sich unsere Ängste und Begierden gegenseitig tief in die Augen blicken, bleibt Kong König.