Die deutsche Dramatikerin Theresia Walser entwirft mit ihrem Blick hinter die Kulissen der geheimnisumwobenen Bank für Internationalen Zahlungsausgleich ein höchst grotestkes Bild. Die TagesWoche hat die Uraufführung im Schauspielhaus des Theater Basel besucht und die Autorin befragt – fast so gut wie Zürcher Geschnetzeltes.
Frau Walser, mögen Sie Kalbsgeschnetzeltes nach Zürcher Art?
Ja, vor allem die Sauce. Die Sauce ist dabei das Beste.
In der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel wird alle zwei Monate Kalbsgeschnetzeltes nach Zürcher Art aufgetischt. Dann wenn die mächtigen Zentralbanker der Welt mit dem Finanzweltpapst zusammentreffen. Dies ist zumindest in der Vorstellung der deutschen Autorin Theresia Walser so.
Sie hat im Auftrag des Theater Basel ein Stück über eben diese Institution geschrieben, die zu den einflussreichsten Machtzentralen der Welt gehört und von der man eigentlich nicht mehr weiss, als dass es sie gibt. Seit 86 Jahren.
«Im Turm zu Basel» heisst das Stück. Zur Eröffnung der diesjährigen Saison wurde es im Schauspielhaus uraufgeführt.
Steckt hinter dem Zürcher Geschnetzelten für Sie mehr als ein Rezept?
Zum einen ist es einfach ein wunderbares Wort. Man hört dem Wort bereits die Sauce an. Ein Wort, das zwischen Lust und Ungeheuerlichkeit schillert. Ich könnte mir vorstellen, dass die Zentralbanker, die ja aus aller Welt hierherreisen, eben just dieses Kalbsgeschnetzelte mögen, weil man da gar nicht viel fusionieren kann, sonst gibt es Pfusch.
«Die Sauce ist das Beste»: Theresia Walser über das Kalbsgeschnetzelte in ihrem Stück. (Bild: Christian Kleiner)
Um es gleich vorauszuschicken: Einen auch nur einigermassen realistischen oder gar dokumentarischen Blick hinter die undurchdriglichen Kulissen des Turms zu Basel vermittelt Walsers Stück und die Inszenierung des jungen Regisseurs Sebastian Schug nicht.
Aufgetischt wird – neben dem Zürcher Geschnetzelten – vielmehr eine Groteske über die Mächtigen der Welt, eine Posse, die ausführlich mit den landläufigen Klischees des menschenverachtenden Zynismus der Finanzwelt spielt.
Zu erleben sind Figuren, die vom Turm aus voller Verachtung auf das Leben rings um sie herum hinunterblicken. «Demokratie ist Sandkasten für die Armen im Geiste», sagt der Finanzpapst Greeper (von Thomas Reisinger als charmanten Patriarchen mit einer Mischung aus Gönnerhaftigkeit und Arroganz gespielt). «Die dürfen ruhig mitreden, wo es um nichts geht.»
Könnten Sie sich vorstellen, dass es zum Teil wirklich so zugeht in der BIZ, wie Sie das in Ihrem Stück beschreiben?
Das würde ich denen nicht wünschen. Mein Stück besitzt ja auch nicht den Anspruch dokumentarisch zu sein. Wo öffentliches Redeverbot herrscht, kann ja auch so gut wie nichts dokumentiert werden. In meinem Stück bewirtschafte ich dieses Geheimnishafte. Man redet dort vor allem laut über das, worüber man nicht laut redet. Das macht diesen Ort einzigartig. Andrerseits gehts ja auch um ganz banale Dinge, wie Neid und Nachfolgergerangel.
Auf der Bühne sieht man erst einmal nur die beiden Saaltöchter (Liliane Amuat und Carina Braunschmidt), die zusammen mit der matronenhaften Turmherrin Tronje (Katja Jung) als alterslose Hausgeist-Zwillinge bereits seit Urzeiten durch den «Finanzvatikan» schweben. Sie sind Zeichen und Garantinnen, dass im Turm zu Basel alles immer so bleibt, wie es ist. «Was immer geschieht, wir bleiben», sagt Tronje.
Nun wirklich Bedeutsames und Nachhaltiges geschieht in Walsers Turm-Panoptikum nicht. Das Triumvirat der mächtigen Finanzmagnaten zelebriert in erster Linie den eigenen Zynismus, durchwirkt mit einer gepfefferten Portion an Selbsthass. Neben Finanzpapst Greeper sind dies die Zentralbanker Guston (Orlando Klaus) und Ferchl (Simon Zagermann), die sich im runden Turm, trunken vom Wein und «dorfbrunnenkaltem» Wasser, im Kreis drehen.
Der schmierige Schnösel Guston hängt seiner Passion nach, dass das mit Tausenden von Bakterien verseuchte schmutzige Geld durch bargeldlose und damit saubere Zahlen zu ersetzen ist. Der nervöse Ferchl wiederum leidet an seiner Rolle als unbeachteter Prophet – hat er doch den Bankencrash vorhergesehen – und an seinen Finanzweltuntergangsängsten. «À chacun sa merde!», sagt er immer und immer wieder.
Der Mittelpunkt des globalen Finanzsystems erscheint in Ihrem Stück ziemlich inaktiv. Entscheiden die Zentralbanker denn wirklich nichts?
Sie entscheiden nichts. Es gibt den schönen Satz, der tatsächlich aus dem Umfeld der BIZ stammt: In Basel wird nichts entschieden! Sie treffen sich dort, um zu reden. Es geht also in erster Linie um einen Austausch jenseits der Öffentlichkeit. Die Finanzwelt ist eine äusserst nervöse Welt mit paranoiden Zügen. Winzigste Gerüchte, kleinste Witterungsänderungen können enorm viel auslösen. Andrerseits müssen sie immer wieder beschliessen, ob sie neue Mitglieder aufnehmen, zumal die Aufnahme neuer Mitglieder zwangsläufig ihr Schweigegesetz gefährdet. In meinem Stück hat einer dieses Schweigegesetz gebrochen. Das hat Konsequenzen.
Wirklich erschüttert wird der «Finanzvatikan» aber erst dadurch, dass Finanzpast Greeper sich dazu entschlossen hat, das Schwellenland Argentinien in den erlauchten Kreis aufzunehmen. Ein Schwellenland, das sich zudem die Frechheit erlaubt, «über die Schwelle zu schwellen», wie sich der aufsässige Fremdkörper und Klischee-Latino Barbosa (Vincent Glander) ausdrückt.
Sebastian Schlug hat bereits eine Ihrer Komödien inszeniert. Ist er der richtige Mann für Ihre Groteske?
Bei Sebastian erfährt man, dass das Theater wirklich vom Theatralischen lebt, das tut der Groteske gut.
Schugs Inszenierung lebt tatsächlich vom Theatralischen. Mit einem guten Spürsinn für den dramatischen Spannungsbogen steigt er nicht gleich mit voller Kraft in die Groteske ein, sondern bringt sie nach und nach in Schwung. Bis sie zum Schluss nach Lust und Laune überborden kann, wenn die hohe Finanzwelt endlich zum geschnetzelten Mahl schreiten kann.
Wie auf da Vincis berühmten Abendmahl-Gemälde hat sich die skurrile Gesellschaft zum Zentralbankenmahl versammelt. Schön gruppiert um den Finanzpapst sitzen sie da – nur dass der weltliche Jesus-Ersatz zu diesem Zeitpunkt bereits das Zeitliche gesegnet hat. Was es aber vor der versammelten Gesellschaft zu verbergen gilt.
Die Saaltochter (Carina Braunschmid)t und der Zentralbanker (Vincent Glander) – samt BIZ-Turm-Hut. (Bild: Simon Hallström)
Das bietet natürlich viel Platz und Raum für irrwitzige Slapstickszenen, die der Regisseur denn auch genüsslich zelebriert. Der aufbegehrende Störenfried aus Argentinien («Jetzt wollen diese Amazonasaffen auch noch das Risiko abschaffen!») wird erschossen, während die beiden Saaltöchter mit BIZ-Turm-Hüten auf den Köpfen tanzend das Lied über «die goldenen Garben» anstimmen.
Schug begibt sich dabei gefährlich nahe an die Grenze zum tumben Klamauk. Er kann sich aber glücklicherweise auf ein Ensemble verlassen, das den Balanceakt an eben dieser Grenze auf vorzügliche Art beherrscht, das sich weit über den Abhang lehnen kann, ohne abzustürzen. So werden die Turm-Übungen zu Basel zum grossen Spass, der vom Premierenpublikum nach gut anderthalb Stunden auch mit einem entsprechend heftigen Applaus verdankt wurde.
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Theater Basel: «Im Turm zu Basel» von Theresia Walser. Uraufführung im Schauspielhaus. Die nächsten Vorstellungen: 17., 24. und 26. September sowie im Oktober.