Der erste Abend des Stimmenfestivals im Riehener Wenkenpark brachte Lizz Wright und Raul Midón auf die Bühne. Deren Stimmkraft und Charisma liessen das miserable Wetter bald vergessen. In Erinnerung bleibt ein magischer Konzertabend.
Blut ist bekanntlich dicker als Wasser, Papier aber nicht. Das musste feststellen, wer versuchte, seine Eindrücke zum ersten der Riehener «Stimmen»-Konzerte im Wenkenpark auf einem Schreibblock festzuhalten. Der anhaltend nasse Segen von oben hätte die Notizen buchstäblich hinweg fliessen lassen. Noch aufmerksamer hinhorchen also, durch die Kaskaden hindurch die Vokalmagie eines spannenden Abends spüren. Eine Gedächtnisrekonstruktion.
Nicht das erste Mal fand der Riehener Ableger des Dreiländerspektakels unter extremen Witterungsbedingungen statt. Doch «Stimmen»-Besucher sind unverwüstlich: Gib ihnen einen Pannen-Poncho und sie richten es sich gemütlich ein, auch wenn der Himmel unerbittlich seine Schleusen öffnet. Besonders von der Bühne muss das ein schönes Bild sein, etwa eine Art Wichtelkongress.
Seelenverwandte mit Charisma
Lizz Wright jedenfalls kann sich ein Lachen nicht verkneifen, als sie auf die Parkbühne kommt, und die weissen Wichtel im strömenden Regen unter sich erblickt. Die Pfarrerstochter aus Hahira, Georgia, hat seit zehn Jahren eine gospelhaft grundierte Note in den Jazz eingebracht und arbeitet nun mit dem blinden argentinischstämmigen Songwriter Raul Midón zusammen.
Diese beiden besitzen soviel Charisma, dass sich von Beginn an etwas ganz Grosses in dieser tropisch-feuchten Nacht im Wenkenpark entwickelt. Sie sind Seelenverwandte, haben zudem auch noch fast die gleiche Stimmlage – wobei die erdige, unter die Haut gehende Weiblichkeit von Wright gar nicht selten unter der ungeheuer wendigen, leichten Vokalvirtuosität von Midón liegt.
Zu gleichen Teilen schöpfen sie aus ihrem jeweiligen Repertoire, wechseln sich strophenweise ab: Da ist das treibende, spirituell unterfütterte «Imagination» von Wright, in dem sie erstmals aus der Tiefe der Seele schöpft und durch effektvolle, kurze Ausbrüche in höheren Tonlagen für sorgt, dass einem die Haare zu Berge stehen. Da ist Midóns spielerisches «Was It Ever Really Love?», in dem er sich katzenhaft ins Kastrathafte hineinwagt und eine frenetisch beklatschte Einlage auf seiner berühmten Mundtrompete gibt. Und für «Expressions Of Love» vereinigen sich die beiden zu einem solch bezwingenden, leicht melancholischen Duett, dass sich Erinnerungen an das Traumpaar des Soul, Roberta Flack und Donny Hathaway ins Gedächtnis schleichen.
Dominante Begleitband
Eigentlich wäre man kaum auf die Idee gekommen, dass hier noch eine Begleitband zu Werke gehen muss: Richard Hammond am singenden Bass und dem erfindungsreichen, leider oftmals etwas zu sehr zupackenden Brannen Temple sollen hier keine Kompetenzen abgesprochen werden, doch decken sie hier oftmals mehr die Talente der beiden Protagonisten zu, als dass sie sie ergänzen.
Midóns Gitarrenspiel mit komplexen Hammering- und Pulling-Techniken und einer denkbar unorthodoxen, hüpfenden Anschlagtechnik triebe jeden Gitarrenlehrer zur Verzweiflung – doch es ist so effektiv melodisch und perkussiv zugleich, dass der Mann jegliche Band inklusive Drums ersetzen kann. Deshalb: Midón und Wright ganz alleine, das wäre noch weitaus grandioser gewesen.
Die absoluten Highlights setzen schließlich das ruhig atmende «Hit The Ground» und das dunkel gefärbte, ein wenig mystische «Stop», in dem Wrights vielfach gepriesener, bernsteinfarbener Alt besonders nokturn funkelt. «Don’t tell me to stop, tell the rain not to drop», heisst es da in den Lyrics – und in der Tat, das Regenband hat sich zu diesem Zeitpunkt fast verabschiedet. Ausgelassen endet der Abend mit einem knackigen Roots Reggae aus Midóns Feder: «You Make Me Feel Alright». Glattes Understatement: Wer die drei Stunden im Regen ausgeharrt hatte, fühlte sich nicht nur «alright», sondern dem – mittlerweile teils sternenklaren – Himmel ein Stück näher.