Lokalkrimis sind ein Trend, auch in Basel. Was macht sie so erfolgreich? Eine Spurensuche.
Es ist auffällig: Wenn man in eine Buchhandlung geht, gibt es meist eine ganze Wand mit Krimis, die in Basel spielen. Manche tragen den Clou gleich im Titel und heissen «Basler Farben» (Hans Suter) oder «In Basel ist die Göttin los» (Michèle Sandrin). Andere bleiben im Titel erstmal ohne Ortsangabe, zum Beispiel «Die Tränen der Justitia» von Anne Gold. Von den Autoren hat man meist noch nicht gehört, wenn man nicht ein angefressener Krimileser ist.
Mit Hansjörg Schneider und seinen Geschichten von Kommissär Hunkeler ist das anders. Der gehört zum Gedächtnis der Stadt. Der lag auch in den Buchhandlungen auf, die sich ansonsten keinen Krimi ins Regal gestellt hätten. Und zum Teil bis heute nicht tun. Anne-Marie Pfister zum Beispiel hat damals eine Lesung mit Schneider veranstaltet, als er 1993 seinen ersten Krimi herausgab. Aber von den oben genannten Titeln will sie nichts wissen. Ähnliches kommt bei einem Anruf bei der Zürcher Buchhandlung Calligramme heraus, dem besten Buchläden der Stadt. Krimis verkaufe sie gundsätzlich nicht, sagt die Besitzerin Helene Lehmann, aber Hansjörg Schneider, doch doch, der sage ihr etwas.
Was ist der Unterschied? In allen genannten Büchern geht es um Mord, Totschlag und die Stadt Basel. Und auch wenn die Autoren nicht bekannt sind, die Verlage manchmal suspekt und die Titel in der Regel dick auftragen – warum nicht mal ein paar solche Bücher ausprobieren? Bei Suhrkamp ist man inzwischen schliesslich auch nicht mehr vor Reliefschrift auf der Frontseite gefeit, über die ein brennendes Flugzeug hinwegrast. Und niemand soll sagen, dass Unterhaltung und Kunst zwei verschiedene Dinge seien.
Luigi in Basel
Ich beige mir also einen Einkaufskorb aus der Krimiwand voll und richte mich ein. Was es braucht, sind ein Sofa, Chips, ein abgestelltes Handy und keinen Computer. Ich beginne mit den «Basler Farben» von Hans Suter. Direkt geht es in die Spelunken von Basel.
«Vogelnest» heisst bei Suter der Stammladen von Luigi Spadola, Italiener zweiter Generation. Holztäfelung, Stammgäste, Stange am Morgen, Männer. Ausser Susy, die allerdings nach all den Jahren im Vogelnest selber eine Art Mann geworden ist. «In diesem Männerverein war sie vollständig integriert und keiner käme mehr auf die Idee, sie irgendwie als Frau anzumachen. Vielleicht ähnlich wie bei gewissen Frauen, die sich bei schwindender Attraktivität einen grossen Hund zulegen, um in der Illusion leben zu können, sie würden von Männern aus Angst vor dem Tier nicht mehr angemacht.»
Der Erfolg muss also woanders wurzeln. Was kann das Ermittlerduo? Der Komissärr heisst wie ein Sportwagen, seine Assistentin fährt einen. Francesco
Ferrari ist der Chef, doch Nadine Kupfer, die porschefahrende Assistentin, hat die Hosen an. Das ist gut so, denn an anderer Stelle ist das Buch nicht zimperlich mit Genderklischees. Wenn es bei Ferrari zu Hause noch kein Essen gibt, dann weil seine Frau es nicht gekocht hat. Das ist bei Hans Suter übrigens genauso.
Ansonsten ist Ferrari allerdings ganz der Basler. Er fährt leidenschaftlich Tram (statt Sportwagen) und nervt sich trotzdem über das pingelige Parksystem. Das grosse FCB-Spiel gegen Chelsea gehört zu den zentralen Ereignissen im Jahr, während er die Umstände, unter denen das neue Messegebäude gebaut wird, nicht ernstnehmen kann. Er ist ein besonnener Typ, dem aber der Kragen platzt, wenn es drauf ankommt. Dem mutmasslichen Bösewicht wünscht er den Tod an den Hals, kein Verfahren.
Läckerli Hunkeler
Die Lektüre, so leicht sie gemeint ist, dehnt sich. Um Mitternacht bin ich fertig. Als Läckerli lege ich mir im Bett noch einen Hunkeler auf den Bauch. Nach zwei Seiten reinlesen bin ich verschluckt, bis halb zwei schaue ich nicht mehr vom Buch auf. Ich erwische die Passage im Fall Livius (Opfer ist ein Rentner, der in einem elsässischen Schrebergarten an einem Fleischerhaken in seiner Hütte hängt), in der Hunkeler durch den verschneiten Winter ins Emmental fährt, um dunkle Flächen in der Vergangenheit des Getöteten zu erhellen. Ganz normale Krimirecherche, nur unheimlich gut. Woran liegt das?
Vielleicht daran, dass sich Schneider nicht primär für seine Krimihandlung interessiert, sondern für die Gegenden und Menschen, die sein Kommissär dabei antrifft. Bei Schneider teilt sich die Spannung mit, dass es für einen Basler Polizisten, einen Schroter, an Gefahr grenzt, zur Recherche ins Emmental zu fahren. Die alten Strukturen und Geheimnisse der Dörfler sind so festgefahren, wie die Landschaft schön ist, in der sie leben. Ein Milchbauer spielt ihm dennoch Informationen zu, die ehemalige Geliebte des Toten taucht auf, während ein Grüppchen im Gasthof dem Kommissär fast an die Gurgel springt. Man hört das Tal, das ist Krimi.
Basel wird zwar oft bespielt, aber selten beleuchtet: Man erkennt viel, aber erfährt nichts.
In den anderen Büchern wird Basel zwar bespielt, aber nicht beleuchtet. Man erkennt sich wieder, wenn dort der Kommissär von der Heuwaage zum Barfi geht, aber man erfährt nichts, weder
kritisch noch unkritisch. Die Figuren, zumal bei Anne Gold, entspringen der Fantasie, bei Hansjörg Schneider entspringen sie der Stadt. Oder dem Leben. Oder sie wurden vom Leben ins Buch überführt. Man merkt, ob jemand von Beruf Schriftsteller ist, oder ob er neben oder nach seiner Haupttätigkeit noch ein Buch schreibt.
Qualitäten und Schwächen sind jeweils etwas anders gelagert, wirklich unterhaltsam ist nichts, ein Bild von Basel wird kaum entworfen. Bei Michèle Sandrin mit ihrem ersten Kriminalroman «In Basel ist die Göttin los» noch am ehesten. Ihr Mordopfer war Professor für Psychologie und liegt mit einem Schwert im Leib im psychologischen Institut. Als Mörder kommen die Kollegen in Frage. Die sind zwar Profis des Geistes, jedoch zwischenmenschlich völlig unfähig. Bei der Lektüre glaubt man den patriarchalischen und eitlen Seiten des Unibetriebs sogar etwas näherzukommen. Ausserdem wird eine Gruppe Frauen verdächtigt. Rache am Patriarchen. Die kochen dem Kommissär jedenfalls nicht das Nachtessen.
Der Krimi als Souvenir
Was macht die Lokalkrimis so interessant? Vielleicht sind sie ein neuer Heimatroman. Man spürt die Stadt, während der Kommissär dieselben Wege geht, wie man selber vor wenigen Stunden. Zugleich strapaziert einen der Text nicht mit einer neuen oder gar unangenehmen Sicht auf die Dinge. Die Verbrechen sind Fantasie. Easy.
Dass sich diese Krimis nicht mehr nur in Basel verkaufen, sondern auch in der restlichen Deutschschweiz, kann ich nachvollziehen. Von Commissario Brunetti lese ich nicht zuletzt deswegen gerne, weil ich mich dabei eine Weile in Venedig aufhalten kann. Da muss Donna Leon gar nicht viel tun. So ein bisschen Basel lässt sich vielleicht mancher Zürcher gern auf die Couch kommen.
In eine ähnliche Richtung berichtet Raymond Wyler, Geschäftsführer der Buchhandlung Bider und Tanner. Ein grosser Teil der Bücher über Basel werde von deutschsprachigen Touristen gekauft. Dass es in der deutschen Eifel einen eigenen Tourismus gibt, bei dem die Leute die Spielorte der Eifelkrimis von Jacques Berndorf besuchen, ist bekannt. Offensichtlich funktioniert es auch umgekehrt: Der Krimi als Souvenir.
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Sieben Krimis die in Basel spielen und worum es geht, haben wir in unserer Listomania vorgestellt: Was der Krimimarkt hergibt