Wer oben ist, gerät ins Wanken. Sophie Hunger behält an ihrem ersten von zwei Konzerten in der ausverkauften Kaserne Basel ihre zart gebauten Lieder in den entscheidenden Momenten am Boden.
Es gibt diese Sophie-Hunger-Momente auf der Bühne. Wenn die Strukturen wackeln, der Gesang verschliert und das Schlagzeug, das sonst entweder stumm blieb oder zurückhaltend mit einzelnen Schlägen den Takt markiert, zu stolpern beginnt. Wenn das Cello auf eine atonale Spur gerät und niemand irritiert den Kopf hebt. Wenn ein mit langer Voraussicht aufgebautes Crescendo plötzlich den Tritt verliert und in tausend Teile zerspringt. Und all die zarte, akribisch gebaute Ordnung ihrer Lieder zerstiebt, sodass man nicht mehr weiss, wem man folgen soll: Dem Pianisten, der einsame, scharf akzentuierte Akkorde heraushaut? Den leitenden Arrangements von Klarinette, Trompete und Cello, die sich in die Unschärfe verlieren? Oder doch Hunger selbst, deren Gesang sich kraftvoll aufbäumen kann aus ihrem Arsenal an Seufzern und Zischern, um zitternd erneut zu implodieren.
Häufig: Dekonstruktionen
Dabei haben die Hunger-Spiele so ordentlich angefangen. Eine fadengerade Pauke, ein solide verankertes Arpeggio am Piano, Zierfäden aus Trompete und Cello. «Rerevolution» heisst das Stück, und der Dynamik von Abbruch und Neuaufbau sind viele ihrer Lieder verfallen. Auch in «Rerevolution» gehört ein herausragender Moment der Einkehr des Liedes, in der nur ein filigraner Chorgesang übrig bleibt. Wattenweiche Chöre über einem schleppenden Downbeat verzücken auch im folgenden «Can You See Me». Beide stammen von «The Danger Of Light», dem neuen Album der Zürcherin. Aber auch ihr älteres Material unterliegt dem dekonstruktiven Duktus.
«Shape» von ihrem zweiten Album «Monday’s Ghost», das sie dank Charts-Spitzenplatzierung vom Szenennamen zu einer national applaudierten Musikgrösse emporhob, «Shape» also ist sowas wie ihr grösster Hit, eine eindringliche Zupfgitarrenballade mit emphatischen Ausreissern. In der Kaserne unterlegt sie ihn mit neuen Bassmelodien von Gitarre und Orgel. Das Schlagzeug rattert mit einem verzogenen Beat herein, nimmt dem Lied den zarten Groove. Der Ansatz, Hörgewohnheiten zu brechen und das Material ihrer erfolgreichen Platten für die Bühne neu zu skelettieren, ist nobel, aber «Shape» kappt er den Spannungsfaden.
Selten: Eruptionen
Sehr emotional gerät dafür «Heharun», bei dem Bass und Schlagzeug anfangs noch um präzise Abstimmung im Schlepptempo ringen. Da fängt sich die Band auf halbem Weg in den Refrain, angezäumt von einer nun sehr befreit, sehr ausdrucksstark singenden Sophie Hunger. «Heharun» funkelt so hell, weil der Song Zeit und Raum erhält, langsam aufzugehen und sein Endfurioso vorzubereiten. Da rockt die Band, ohne verzerrte Gitarren herankarren zu müssen. Eine ähnliche Opulenz erreicht einzig noch «LikeLikeLike» im Zugabenblock, das sie kraftvoll zu einer Soulhymne wuchtet.
Solche Momente der genüsslichen Eruption wünscht man sich mehr an einem Konzert, das sich zu streng diszipliniert und durch die seltenen, hingehauchten und akustisch wie inhaltlich kaum verständlichen Ansagen noch mehr an Präsenz verliert. Das Staunen, das in den Liedern Hungers steckt und das sie so gekonnt auf Hörer und Publikum zu übertragen vermag, versteckt sie an diesem Abend in den leisesten Tönen. In «A Protest Song», eine verwehte Ballade an der akustischen Gitarre, oder im «Lied vor Freiheitsstatue», dem Abschluss vor den Zugaben, für das sie die Band um sich schart. Nur ein weich gestreichelter Groove bleibt zurück, und Hunger summt, flüstert und haucht mit ihren Musikern Zeilen wie «chum und bring mi bald i z’wanke». Man gibt den Wunsch gerne zurück.
- Für das zweite Basler Konzert von Sophie Hunger heute Abend (18.12.) in der Kaserne sind noch Tickets an der Abendkasse erhältlich.