Im Kammerspiel «Im Bau» gewähren Regisseur Lorenz Nufer und ein fast zu konzentriert agierendes Schauspieler-Trio Einblicke hinter die brüchige Fassade einer bürgerlichen Kleinfamilien-Idylle. Eine Inszenierung in der Kaserne Basel, die dem Publikum einiges abverlangt.
Gegen Schluss sitzen Vater und Mutter entgeistert da. Die längst brüchige Kleinfamilien-Idylle ist endgültig in sich zusammengebrochen, die gute Esszimmer-Stube ein Trümmerhaufen. Es ist das, was übrig bleibt, wenn die Fassaden der Selbstbeherrschung zu bröckeln beginnen und schliesslich ganz einstürzen.
Dass es soweit kommen wird, ja muss, ist im Kammerspiel «Im Bau» von Beginn weg klar. Zu dritt sitzt sie am reich gedeckten Biedermeier-Tisch im engen Esszimmer im Bühnenhintergrund (Bühne: Chasper Bertschinger): die gutbürgerliche und – wie sich später herausstellt – akademische Kleinfamilie mit Vater, Mutter und erwachsener Tochter.
Brüchige Steifheit
Alle drei sind zurückhaltend festlich gekleidet (Kostüme: Eva Butzkies). Man hat sich zur Geburtstagsfeier des Vaters zusammengefunden, der sich zu diesem Anlass extra eine Krawatte umgebunden hat. Wie sich auch die beiden Frauen in der Familie extra Mühe geben, den feierlichen Rahmen aufrecht zu erhalten. Das beschwört eine unangenehm steife Atmosphäre herauf, die nicht lange währen kann.
So kommt es, wie es kommen muss: Schon bald beginnt die brüchige Fassade der Kleinfamilien-Idylle zu bröckeln. Und hinter dieser Fassade stimmt mehr oder weniger gar nichts, tun sich schreckliche Abgründe auf. Die Tochter ist in einen Raubmörder verliebt, der im Gefängnis sitzt (einer gar mit «einer hohen Ausprägung zur Tötungsbereitschaft»), der Vater hat wegen einer scheinbaren (tatsächlich aber erfundenen) Affäre mit einer Studentin seine Stelle als Unidozent verloren, was beides für sich alleine schon Grund genug wäre, die Mutter in schiere Verzweiflung stürzen zu lassen.
Vertracktes psychologisches Kammerspiel
Projektleiter und Regisseur Lorenz Nufer und seine Co-Autorin Renata Burckhardt bringen diesen Weg in die psychischen Abgründe nicht in einem linearen Erzählstrang auf die Bühne, sondern als vertracktes Labyrinth der oberflächlichen Daseins- und tiefliegenden Gefühlszustände – durchwirkt mit Zeitsprüngen und flashartig eingestreuten Gedankenmonologen der drei Familienmitglieder.
Dieses komplexe Arrangement verlangt dem Publikum einiges an Konzentration ab. Geschweige denn den drei Schauspielerinnen und Schauspielern (Rebekka Burckhardt als Mutter, Pascale Pfeuti als Tochter und Ernst C. Sigrist), die jedoch alle mit einem bemerkenswerten Mass an Präzision und Ernsthaftigkeit agieren.
Womöglich ist es letztlich aber gerade diese enorm konzentrierte Präzision, die dazu führt, dass dem nur wenig mehr als eine Stunde dauerndem Abend alles in allem etwas Bleiernes anhaftet. Die grosse Ernsthaftigkeit, wie diese psychologische Schauergeschichte auf der Rossstall-Bühne dargeboten wird, wirkt denn auch auf kurze Dauer etwas ermüdend.
Merkwürdige Distanz
Formale Eintönigkeit kann der Inszenierung zwar nicht vorgeworfen werden. Nufer lässt den Absturz oder Ausbruch aus dem Korsett der Konvention auch in der Aktion zu. Dies aber lediglich im sehr geordneten Rahmen und einem Gestus, dem stets viel Symbolhaftes anhaftet – etwa, wenn die Tochter beginnt, die verspiegelten Stäbe, welche die Umrisse des engen Esszimmers markieren, fein säuberlich einem nach dem anderen aus ihrer Verankerung zu heben.
Dabei ist es doch der nackte Wahnsinn, der sich da abspielt. Ein Wahnsinn, der doch eigentlich viel unberechenbarer, gefährlicher und letztlich auch abstruser ist oder hätte dargestellt werden können, als dies die Inszenierung zuliess.
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«Im Bau» von Lorenz Nufer und Renata Burckhardt, Rossstall Kaserne Basel. Weitere Vorstellungen: 9. bis 11. und 13. Januar.