Der Aufstieg der Corleones

Edward Falcos Gangsterroman «Die Corleones» ist eine schwelgerische, auf Mario Puzos Drehbuchentwürfen beruhende Vorgeschichte des Filmepos «Der Pate».

Oberhaupt einer schrecklich netten Familie: Don «Der Pate» Corleone, verkörpert von Marlon Brando. (Bild: Cinetext Bildarchiv)

Edward Falcos Gangsterroman «Die Corleones» ist eine schwelgerische, auf Mario Puzos Drehbuchentwürfen beruhende Vorgeschichte des Filmepos «Der Pate». 

New York, im Winter 1933. Vito Corleone, ein stattlicher Mann um die vierzig, hat alle Hände voll zu tun. Er ist noch nicht der grosse Pate Don Vito, der mächtigste Mann von New York. Die Zeiten sind hart und die bevor­stehende Aufhebung der Prohibition zwingt die herrschenden Familienclans, sich neu zu orientieren.

Vitos Geschäfte laufen gut. Durch Erträge im Glücksspiel und illegale Lotterien, Kreditwucher und gute Kontakte zu Kongressabgeordneten ist seine Zukunft gesichert. Sein Rivale Giu­seppe Mariposa hat die Gewerkschaften und Banken jedoch über. Die irischen Männer rund um die O’Rourke-Brüder wollen ihre Territorien zurückgewinnen, aus denen sie durch die organisierten «Makkaroni» immer mehr vertrieben werden. Daneben wollen auch noch die Rosatos und die Barzinis einen Teil des Kuchens abhaben – und vom entfernten Chicago beobachtet Al Capone das Treiben im Big Apple.

Und so kann es nicht anders kommen, als dass in dieser verstrickten ­Familiengeschichte voller Überläufer und Verräter Leichen den Weg nach oben säumen, Familienoberhäupter nackt aus Fenstern oder von Dachsimsen fallen, zerstückelt, zerhackt in Kofferräumen davongekarrt werden oder mit Bleischuhen im Hudson River versinken. Die Verbrecher sind natürlich gut gekleidet, mit einer Lucky Strike in der einen und der abgeschnittenen Schrotflinte in der anderen Hand.

Meilenstein der Filmgeschichte

Die Geschichte der Corleones ist die Vorgeschichte zum Paten, dem von Mario Puzo verfassten grössten Mafiaepos der Literaturgeschichte. 1972 verfilmte Francis Ford Coppola den ersten Teil der «Paten»-Trilogie, der die Verleihfirma Paramount aus einer tiefen Krise zog und millionenfach gesehen wurde. Durch seine Kameraführung und durch die Starbesetzung mit Marlon Brando und Al Pacino entstand ein Meilenstein der Filmgeschichte rund um die Familiensaga des berühmt-berüchtigten Mafiaclans der Corleones.

Der Film staubte zahlreiche Grammys und Oscars ab und rief unzählige Nachahmer auf den Plan. Die Kleidung, der Stil, selbst Dialoge werden bis heute kopiert und imitiert. Nicht minder erfolgreich war der zweite Teil, der 1974 erschien. Das organisierte Verbrechen, so scheint es, war für ­ethnische Minderheiten im Amerika des letzten Jahrhunderts fast die ein­zige Aufstiegsmöglichkeit und für das Publikum magnetisch anziehend. 1990, als der dritte Teil in die amerikanischen Kinos kam, flachte der Gangstermythos etwas ab.

Jetzt erscheint auf dem deutschen Markt ein von Puzo nie veröffentlichtes Drehbuch, das von Edward Falco in einen Roman umgeschrieben wurde. Die Leser treten 2012 noch mal eine Reise in die Vergangenheit an, setzen sich in die alten Nashs und kurven vorwiegend nachts durch die engen Gassen der Bronx und von Little Italy.
In den «Corleones» werden – mehr als in den anderen Teilen der Saga – die gesellschaftlichen und sozialen Umstände dargelegt und die Korruptionsbereitschaft der Institutionen verdeutlicht, die den Aufstieg der Mafia überhaupt erst begünstigten.
Vito Corleone ist ein strebsamer Unternehmer und ehrenwerter Mann, der sein Unternehmen keine Sekunde aus den Augen verliert. Die ausgedehnten Rückschauen und Flashbacks im Buch, das sich schnell und atemlos liest, zeigen nicht nur die epische Landschaft, sondern auch die Motivation, die zum Abrutschen in die Korruption führt.

Grenzenlose Macht und Freiheit

Vito ist bedächtig und klug, redet nur, wenn er unbedingt muss, und handelt taktisch, dabei auch erbarmungslos. Für seine Familie hat er jedoch andere Pläne. Michael, Fredo und Conny gehen noch zur Schule, Tom soll Rechtsanwalt werden und Sony ein Industrieller. Letzterer hingegen ist von der Unterwelt begeistert, die Möglichkeit des schnellen Geldes, der modernen Autos und schillernden Abendkleider zieht ihn an. Der Verdacht des ältesten der fünf Corleone-Kinder, dass sein Vater nicht der redliche Geschäftsmann ist, der sein Geld mit der «Genco Pura Olive Oil» verdient, hat sich schon lange verstärkt.

Der hitzköpfige Teenager pfeift auf die Arbeit im Schmutz von Automotoren und Werkhallen. Zusammen mit Freunden gründet er eine eigene Gangstercombo und überfällt Lieferautos mit illegalen Alkoholladungen, verdient so viel mehr, als wenn er «jeden Tag wie der letzte Idiot» schuften würde, und leistet sich einen schicken dreireihigen Anzug. Dass er aber Giu­seppe Mariposas Alkohol klaut und damit Papa mächtig in Schwierigkeiten bringt, daran denkt er nicht.

Tom Hagen, Jurastudent am College und Adoptivsohn der Familie, vermutet noch nichts von den düsteren Geschäften und lässt sich von einer irischen Schönheit verführen, die ausgerechnet die «Puppe» des blutrünstigen Einzelgängers Luca Brasi ist. Als der Gehörnte Rache schwört, springt Vito Corleone für seinen Schützling ein und unterbreitet Luca ein Angebot, das dieser nicht ausschlagen kann.

Wie in den bereits bekannten Teilen der Familiensaga entblättert Puzo seine Charaktere mit viel Mitgefühl, und Edward Falco spinnt akribisch die Fäden zwischen den Protagonisten der Filme und ihren Vorgeschichten.
Die Geschichte von Luca Brasi ist neben dem Generationskonflikt zwischen Vito und Sony einer der Dreh- und Angelpunkte im Buch. Luca erscheint hier nicht als einsilbiger Frankenstein, sondern als unabhängiger Gangster, der in einer viel zu brutalen Welt aufgewachsen ist und jedes Gefühl von Liebe mit roher Gewalt von sich stösst. Nachdem der Tod eines Babys aufgedeckt wird (der auch in den Filmen Anlass für Spekulationen ist), nimmt Vito Corleone sich dem Schicksal Lucas in väterlicher Manier an.
Das Buch endet da, wo der erste Teil des Films beginnt: mit einer Hochzeit und einem Korb Orangen. Don Vito hat es geschafft, zum mächtigsten Mafiaboss New Yorks aufzusteigen, hat dem grossen Boss von Chicago, Al Capone, die Stirn geboten und ist nun bereit, auch die Ostküste unter seine Herrschaft zu bringen.
Die Düsternis der Unterwelt wird von ihren schillernden Facetten durchdrungen, dem Stolz, der «omertà», und der Ehre, einer grossen Familie anzugehören. Es mischt sich auf faszinierende Weise Gut und Böse, Gangstertum und Familiensinn. Die Möglichkeit grenzenloser Freiheit und Macht, die über alle Hindernisse der Rechtsprechung und Politik erhaben ist und in ­einen Parallelstaat mündet, wird propagiert und macht das Buch so anziehend und zugleich leider auch aktuell.

 

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 29.06.12

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