Der Blumenkiste entwachsen

Meisterflorist Peter Hess hatte irgendwann genug von der immergleichen Arbeit mit Blumen. Seither sucht er sich sein Material in umliegenden Wäldern zusammen, baut organische Skulpturen und betreibt die nachhaltigste Kunstform der Welt: Land Art.

«Mit Mitte zwanzig hatte ich als Florist einfach keine Herausforderungen mehr»: Peter Hess entdeckte als einer der ersten Schweizer Land Art für sich – und hat es nie bereut. (Bild: Olivier Christe)

Meisterflorist Peter Hess hatte irgendwann genug von der immergleichen Arbeit mit Blumen. Seither sucht er sich sein Material in umliegenden Wäldern zusammen, baut organische Skulpturen und betreibt die nachhaltigste Kunstform der Welt: Land Art.

Auf der Busfahrt durch Allschwil fallen sie sofort auf: fremdartige Türme aus verwobenen Zweigen, sorgfältig geflochtene Nester und Zäune aus Stängeln und Geäst stehen im Dorfkern verteilt. Hinter den kunstvollen Gebilden steckt Land Art, eine Kunstform, die üblicherweise in der freien Natur anzutreffen ist, wo Kreationen aus gefundenem Material in die Landschaft gesetzt werden. 

Hier in Allschwil aber kommt die Land Art ins Dorf. Das ist vor allem einem zu verdanken: Peter Hess, ehemaliger Meisterflorist und Schweizer Land-Art-Pionier, lud im September vergangenen Jahres Künstler aus aller Welt ein, um das Dorfzentrum Allschwils mit Land-Art-Kreationen zu bespielen.

Die Bewohner waren begeistert, steuerten Sandwichs und Kaffee für die Künstler bei und setzten sich dafür ein, dass die organischen Skulpturen nach der Ausstellung nicht weggeräumt wurden. Und die Begeisterung der Allschwiler für «ihren» Künstler hielt sich: An der diesjährigen Fasnacht waren viele Wagen mit Land-Art-Interpretationen geschmückt und eine Clique machte gleich den Künstler selbst zum Sujet und zog im Peter-Hess-Kostüm umher.

Wer sehen will, wo der Allschwiler Fasnachtskönig lebt und arbeitet, muss etwas weiter hinauf ins Dorf, in eine ruhige Seitenstrasse, wo zunächst nur ein grosser Torbogen aus sorgfältig geflochtenen Zweigen auf die Arbeit des Künstlers hinweist. Gleich dahinter wohnt Peter Hess mit seiner Frau Marie: eine geräumige Wohnung mit angrenzender Werkstatt und einem ausgebauten Gewächshaus, wo prall gefüllte Beutel mit Ästen und Strünken stehen. Material für die Ausstellung «Blumen für die Kunst» im Aargauer Kunsthaus, wo das Ehepaar eine Arbeit zeigen wird. Besonders blumig wie bei den anderen Teilnehmern werde diese jedoch nicht ausfallen, meint Hess. «Wir machen ein bisschen was anderes.» Er schmunzelt geheimnisvoll.



Kunstvolle Wiederverwertung: Eingang zu Peter und Marie Hess' Zuhause.

Kunstvolle Wiederverwertung: Eingang zu Peter und Marie Hess‘ Zuhause. (Bild: Olivier Christe)

Der Reiz des Anderen war es auch, der den gelernten Floristen vor über 40 Jahren zur Land Art führte. Hess wurde «in der Blumenkiste geboren» und erlernte den Beruf des Blumenbinders, wie schon Generationen seiner Familie vor ihm. Doch mit Mitte zwanzig begann ihn seine Arbeit zu langweilen: Er hatte alles erreicht, war Schweizer Meister, hatte am Weltcup teilgenommen und zahlreiche Auszeichnungen und Preise gewonnen. «Ich hatte alles erlebt, was beruflich zu erleben war. Also suchte ich mir eine neue Herausforderung.»

Und fand sie bei der Land Art: «In der Land Art gibt man organischem Material einen neuen Sinn. Ein gefundenes Stück Holz wird Teil eines neuen Ganzen. Dieser Gedanke von Wiederverwertung hat mich von Anfang an fasziniert.» Leider hatte seine neue Leidenschaft einen Haken: Land Art war vor allem in Amerika ein Thema, in der Schweiz gab es kaum Möglichkeiten zur Aus- und Weiterbildung. Also machte Hess Nägel mit Köpfen, schloss seinen Blumenladen und gründete 1972 atelier5, die erste Schweizer Schule für gestalterische und experimentelle Floristik. 

«Genau wie im Leben»

Sein Konzept ging auf: Bis heute blüht das Geschäft, Interessierte aus aller Welt besuchen das kleine Haus in Allschwil und bilden sich in der Bearbeitung von Naturmaterialien wie Ton, Wachs, Holz oder Metall weiter. Hess reist für Aufträge um die Welt (als Nächstes steht ein Park-Projekt in Florenz an) und verbringt den Frühsommer immer wieder in Grindelwald, wo er seit 1999 jedes Jahr den Wald mit Land Art bespielt. 

Zusammen mit internationalen Teams aus Schweden bis Taiwan baut er fantastische Gebilde aus gefundenem Material, riesige Nester, Netze, die sich über Bäche spannen oder kunstvoll verflochtene Bögen. Nach einer Woche ziehen sich die Künstler zurück und überlassen ihr Werk wieder dem Wald, als kleine Überraschungseffekte in der Natur.

Schwingt da nach einer Woche Arbeit keine Melancholie mit? Hess schüttelt den Kopf und lächelt gelassen. Genau in dieser Art Kreislauf liegt für den Land-Art-Künstler die Essenz seines Schaffens: «Man geht in die Natur, baut, zieht sich zurück und überlässt das Werk sich selbst. Und weiss dabei nie, was passieren und wo man landen wird. Genau wie im Leben.»

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«Blumen für die Kunst», Florale Interpretationen von Werken aus der Sammlung des Aargauer Kunsthauses, 17.3.2015 bis 22.3.2015. Vernissage: 16.3.2015, 18 Uhr.

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