Der Filmemacher als schreibender Flaneur

Peter Liechti ist als Regisseur bekannt. Das Literaturhaus ehrt den im April Verstorbenen für sein Schreiben. Und das ist viel mehr als ein Nebenprodukt seiner Filme.

Mitschreibender Flanierer: Peter Liechti (1951-2014). (Bild: Thomas Krempke)

Peter Liechti ist als Regisseur bekannt. Das Literaturhaus ehrt den im April Verstorbenen für sein Schreiben. Und das ist viel mehr als ein Nebenprodukt seiner Filme.

Peter Liechtis Filme sind liebenswert, verspielt, poetisch, hart, unterschiedlich, tief, komisch. Sein letzter Film, er starb im April dieses Jahres, erschien im November 2013. Liechti traf seinen Vater zwei Jahre zuvor auf der Strasse und fragte sich, warum sie sich so fremd waren. Er beschloss, einen Film über die Eltern zu drehen.

Eine der Stimmen, mit der die Hasenpuppen im Film die Antworten der Eltern sprechen, ist von Nikola Weisse, Ensemblemitglied am Theater Basel. Sie liest am 12. September aus Texten von Peter Liechti: Das Stadtkino und das Literaturhaus spannen zusammen, um in einer Hommage sowohl den filmenden als auch den – weniger bekannten – schreibenden Peter Liechti zu zeigen.

Nur zwei Bücher sind von Peter Liechti erschienen. Der Text zum Film über seine Eltern, «Klartext», und ein Buch mit Aufzeichnungen aus 35 Jahren: «Lauftext», 2010 erschienen. Diese Sammlung von Texten ist ebenfalls parallel zu seinen Filmen entstanden. Im Vorwort nennt er sie das Nebenprodukt seiner Filme und das Labor dafür.

Lesen als Zustand

Ich nehme mir einen Vormittag Zeit und setze mich mit «Lauftext» ins Café. Es ist allerliebst. Lesen tue ich eigentlich nicht viel, mal hier, mal da, dazwischen schweife ich ab. So wie die Texte selber. Liechti ist ein mitschreibender Flanierer. Vom Hass aufs Tramfahren kommt er über die Liebe zu Zoos im Winter zur Klage über die verfallene Kaffeehauskultur. Es ist ein Lesen als Zustand, ohne Linie und Ziel, dafür mit Unwägbarkeiten. Plötzlich wird es tiefsinnig, wo es zuvor quasselig, bitter, wo es unverfänglich war. Im Übrigen liest es sich sehr unterhaltsam, zum Teil wie Kolumnen. Etwa so:

Die Ampel zeigt Rot, ich habe Bekannte getroffen. Man wartet zusammen auf Grün, Zeit für ein kurzes Gespräch. Sie haben eine Reise gemacht, nun sind sie wieder da. Die beiden sind ein Paar, von Heiraten ist die Rede. Ich schweige betreten und sage dann das Falsche, so wie ich immer das Falsche sage bei solchen Gelegenheiten. Meine Unliebenswürdigkeit mobilisiert erst recht die Liebenswürdigkeit der anderen. Tatsächlich nette Menschen; eigentlich finde ich fast alle nett, die auch mich nett finden. Wasser dringt in die Schuhe, die Füsse werden nass, Zeit für einen Wechsel, das Thema liegt mir nicht. Endlich Grün, ich liebe Grün! Der Moment ist gut gewählt, der Abschied gelingt, man scheidet leichten Herzens.

Der Text ist Arbeitsmaterial zum 10 Jahre später entstandenen Spielfim «Marthas Garten». Ein komischer, aber auch düsterer Film (Ausschnitt). Offensichtlich sind die Texte im Buch etwas ganz anderes als die Filme, die mit ihnen in Verbindung stehen. Und selbst wenn der gleiche Text zugrundeliegt: Man kann beim Lesen den Takt selber wählen, in dem man die Sätze zu sich nimmt. Die Texte werden luftig, bieten Platz, sich mit eigenem Schritt in ihnen zu bewegen.

«Ausflug ins Gebirg»: Dicht und experimentell

Auffällig ist das beim Text zum Film «Ausflug ins Gebirg» von 1985, den Liechti dort selber spricht (Ausschnitt). Das Literaturhaus wird den Film zeigen, im Buch steht der Text dazu an erster Stelle. Er wirkt beim Lesen leichter, verrückter, heiterer. Jeder Leser/Zuschauer wird seine eigene Präferenz haben. Klar ist, dass der Text als Literatur funktioniert und eine sehr besondere Poesie hat. Sie ist dicht und experimentell, aber ohne Lack, ohne Gel. Wahrscheinlich reicht es beim Textemachen nicht, diesen Lack wegzulassen, sondern es braucht Arbeit, damit sich der Belag nicht bildet, wie der Kalk im Wasserkocher.

Bei Liechti funktioniert das, und seine Texte sind deswegen leicht und bescheiden. Man kann sich ihnen anvertrauen.

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Um Freude am Buch zu haben, reicht es bereits, immer wieder hineinzugreifen und die grosszügigen Seiten durch die Hand laufen zu lassen. Es kostet 38 Franken. Vexer Verlag, 268 Seiten.

Ein Abend für Peter Liechti: Das Literaturhaus zeigt den Film «Ausflug ins Gebirg» (1985) und lässt Nikola Weisse aus Liechtis Texten lesen. 12. September, 19 Uhr.
Anschliessend (21 Uhr) zeigt das Stadtkino den Film «Das Summen der Insekten» (2009).

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