Der gute Feind

Der Schriftsteller Leon de Winter lässt in seinem neuen Buch «Ein gutes Herz» seinen ermordeten Intimfeind Theo van Gogh gegen den islamistischen Terrorismus in Holland antreten.

(Bild: Keystone)

Der Schriftsteller Leon de Winter lässt in seinem neuen Buch «Ein gutes Herz» seinen ermordeten Intimfeind Theo van Gogh gegen den islamistischen Terrorismus in Holland antreten. Am 26. November liest der Autor im Museum Kleines Klingental.

In den Romanen des holländischen Schriftstellers Leon de Winter geht es um Väter und Söhne und um ihre emotionalen Klüfte. In der Regel ganz wortwörtlich wie in «Zionoco», in dem ein New Yorker Reformrabbiner bei einem südamerikanischen, zum Judentum konvertierten indianischen Stamm seinen übermächtigen Vater wieder findet. Manchmal auch allegorisch wie in «Das Recht auf Rückkehr», wo Israel, das Land der Väter, von seinen zu Attentätern zwangserzogenen Söhnen dem  Ende entgegen sieht.

Auch de Winters neuer Roman «Ein gutes Herz» handelt, umschlungen von einem ausschweifenden Figurenpersonal, von zwei Vätern und ihren halbwegs reparierten bis vollends verwüsteten Beziehungen zu ihren Söhnen. Vom jüdischen Gangster Max Kohn, einem Drogenbaron aus Amsterdam, der dank einer Transplantation mit dem Herz eines Franziskanerpaters im Leib an menschlicher Empathie und schliesslich seinen Sohn gewinnt. Und von seinem besten Freund, Kichie Ouaziz, einem Auftragsmörder marokkanischer Herkunft, der seinen Sohn an gewaltbereite Islamisten verliert.

Um diesen Kern herum erbaut de Winter die atmosphärisch dichte, im Tempo stellenweise atemberaubende Fassade eines Thrillers: Im Amsterdamer Zentrum fliegt die Stopera, Heimat des Stadtrates sowie der Oper, in die Luft. Am Flughafen entführen die islamistischen Terroristen ein Passagierflugzeug samt Insassen. Geiselnehmer dringen in eine Eliteschule ein. Amsterdam erlebt seinen eigenen 11. September, und die beiden Söhne sind, als Geisel wie als Täter, mittendrin. Ein filmreifer Stoff, den de Winter mit einem erfahrenen Gespür für Rhythmus und Cliffhanger erzählt. Aber das ist nicht die Hauptattraktion des Romans.

«Van Gogh ist für mich ein widerlicher Mensch»

Denn Amsterdam hat sein islamistisches Fanal bereits erfahren: am 2. November 2004, kurz vor neun Uhr morgens, wurde der holländische Regisseur Theo van Gogh mitten auf der Strasse, auf dem Fahrrad, ermordet – zuerst angeschossen, danach wurde ihm der Kopf abgetrennt und mit zwei Messerstichen ein fünfseitiges Bekennerschreiben in den Körper geheftet. Sein Mörder Mohammed Bouyeri wurde kurz darauf verhaftet. Bouyeri, in Holland aufgewachsen und mit marokkanischer Herkunft, hatte sich in den Jahren zuvor verstärkt dem islamistischen Fundamentalismus zugewandt und den Mord als Racheakt für den islamkritischen Kurzfilm «Submission» erklärt, den van Gogh im selben Jahr nach einem Drehbuch von Ayaan Hirsi Ali realisierte. Van Gogh galt als ein enfant terrible unter Hollands Satirikern, der sich in den Jahren vor seinem Tod in kritischer bis diffamierender Weise gegen den Islam stellte, und Europa von einem Prozess der Islamisierung bedroht sah. Genau diesen van Gogh benutzt de Winter, der sich selbst als Kolumnist und Essayist regelmässig politisch äussert und kritisch bis abschätzig gegen den Islam vom Leder zieht, als Einstieg in seinen neuen Roman und schildert auf absurd-komische Weise seine Entrückung in ein furchtbar ödes, an einen Verwaltungsapparat erinnerndes Jenseits.

Ausgerechnet Theo van Gogh, staunt man. Denn bevor van Gogh sich auf den Islam einzuschiessen begann, hatte er sich jahrelang Leon de Winter als Zielscheibe seiner Provokationen ausgewählt – de Winter, Sohn von Holocaust-Überlebenden, dem van Gogh einmal nachsagte, seine Familiengeschichte schamlos literarisch auszubeuten und, noch tiefer unter der Gürtellinie, Stacheldraht von NS-Konzentrationslagern zu sammeln, sich beim Sex mit seiner Frau den Draht um den Penis zu wickeln und während dem Akt die Namen der Vernichtungslager zu stöhnen. «Für mich war er von jeher ein widerlicher Mensch», schrieb de Winter nach seinem Tod in einem Nachruf.

Der versöhnliche Literat

Ausgerechnet diesen verbalen Querschläger van Gogh begleitet de Winter nun über seinen brutalen Tod hinaus, jedoch ohne mit ihm nachträglich abzurechnen. Im kasernenartigen Totenreich angekommen, drückt de Winter beinahe eine ferne Bewunderung für den Wüterich aus («Sein Widerwille gegen alles Mittelmässige war so gross, dass er es als seine Pflicht verstand, die Beleidigung zur Kunstform zu erheben»), und erlaubt ihm, als Schutzengel in die Geiselnahme im Schulhaus einzugreifen, um seine Sünden reinzuwaschen. Eine fast zärtliche, zumindest erstaunlich einfühlsame Erinnerung, die de Winter für den früheren Gegner leistet. Erst nach einigen hundert Seiten erlaubt er sich einen späten, jedoch zierlichen Hieb, indem er sich van Gogh mit der Welt versöhnen lässt, für die er zu Lebzeiten vor allem Spott übrig hatte: «Und er sah diesen lieblichen, verletzbaren Globus, den er mit seinen Flügeln umfassen und hätscheln konnte, und er empfand die tiefste Liebe, die ihm je zuteil geworden war.»

Wie de Winter die ganze europäische Zuwanderungsdebatte in die scharfen Stücke eines Thrillers schneidet und den Suspense metaphysisch-polemisch verrührt, zeugt von spektakulärem erzählerischem Witz. Dass hier, im Unterschied zu seinen essayistischen Arbeiten, nicht doch noch Thesenliteratur als politischer Kommentar zwischen der Action nach vorne drängt, liegt an seinem ironischsten Kniff: neben einem Romanpersonal, zu dem neben van Gogh auch andere holländische Persönlichkeiten wie der rechtspopulistische Parteiführer Geert Wilders gehören, und ob deren Beschreibung sich deren Anwälte eigentlich die Hände reiben müssten, führt der Autor auch einen übergewichtigen, polternden, doch innerlich opportunistischen Schriftsteller ein, dem gerade seine Frau mit einem kalifornischen Architekten davongerannt ist: Leon de Winter.

Man darf hinter dem zur Selbstironie stilisierten Einfall, sich selbst romanesk zur Karikatur zurechtzustutzen, durchaus Koketterie vermuten. Der Dynamik von de Winters flunkernder Fabulierkunst tut dieser schräge Surrealismus jedoch keinen Abbruch. Denn trivial ist «Das gute Herz» keineswegs. Dass de Winter ausgerechnet seinen alten Zeterer van Gogh aus dem Jenseits kapert und ihn, theologisch verkleidet, als himmlische Gewalt den Terrorismus unterbinden lässt, erscheint als zivilisatorisches Argument: Der Barbarei der Gewalt kommt man nur bei, wenn man die eigenen Werte nicht unterkriegen lässt. So obsiegt am Ende die Kunst in der Gestalt van Goghs über den Terror, vor allem aber der versöhnende Literat de Winter über den schmähenden Künstler. De mortuis nil nise bene, auch wenn man sie etwas zum Guten drängen muss.

 

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