Der immaterielle Reichtum der Schweiz

Wieso sagt man in Pratteln «ame» und im Walserort Pomatt «algu»? Die neue Ausstellung «Sapperlot! Mundarten der Schweiz» in der Schweizerischen Nationalbibliothek beschäftigt sich mit der dialektalen Vielfalt der Schweiz.

Wiener Phonograph. Aufnahmemedium: Wachsplatte. 1909, Sammlung Phonogrammarchiv Universität Zürich. (Bild: zVg)

Am Mittwoch lud die Nationalbibliothek zur Vernissage der Ausstellung «Sapperlot! Mundarten der Schweiz». Anhand ausgewählter Exponate erfährt man mehr über die dialektale Viefalt der Schweiz.

«Das isch e Kchabüsli!» – hört man es aus dem Tonstudio spitz reden. Ein was? Die Dame im eingerichteten Tonstudio der Ausstellung spricht in St. Galler-Dialekt ihre Bezeichnung für «Umkleidekabine» für eine Sprachstudie der Zürcher Universität ein.

In der von der Nationalbibliothek und dem Phonogrammarchiv Zürich gemeinsam organisierten Ausstellung «Sapperlot! Mundarten der Schweiz» kann man sich gleich selbst mit seinem Mundwerk betätigen: Als Besucher kann man dialektale Ausdrücke in einem der zwei kleinen Tonstudios aufnehmen und für die Sprachstudie zu Verfügung stellen.

Die Schweiz bildet mit vier offiziellen Landesprachen eine sehr komplexe Sprachlandschaft. Diese ist in Westeuropa einzigartig. Die französische Schweiz ausgenommen, dominieren im Alltag aber nicht die Standardsprachen, sondern die Dialekte.

Am Anfang war das Schweizerische Idiotikon

In den Vitrinen erzählt «Sapperlot! Mundarten der Schweiz» dann auch von den Anfängen der Mundartforschung. Darin werden nebst verschiedenen Aufnahmegeräten, Sprachkarten, Fotografien, handschriftlichen Verträgen und Zettelkatalogen die vier grossen Schweizerischen Wörterbücher vorgestellt. Sie versuchen den Wortschatz der Mundarten aller vier Landessprachen zu erfassen. Diese vier Werke wurden in der zweiten Hälfte des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts begonnen und sind teilweise bis heute nicht vollendet – beispielsweise das «Schweizerische Idiotikon».

Dieses beschäftigt sich – wie der Name den Laien nicht ahnen lässt – mit deutschweizerischen Alltagsausdrücken. Sein Name ist etymologisch mit dem heute gebräulichen Schimpfwort «Idiot» durchaus verwandt: wie dieses hat es seine Wurzeln im Griechischen, wobei das griechische Adjektiv «ídios» für «eigen, eigentümlich» steht und keine beleidigende Bedeutung in sich trägt.

Das Schweizerische Idiotikon ist unter den vier Nachschlagewerken das älteste: Vor 150 Jahren wurde es von Fritz Staub in Zürich initiiert. Bis zu seiner Beendigung in zehn Jahren soll es 17 Bände umfassen.

Stetige Vergewisserung

Tag für Tag kommt man mit Dialekten in Kontakt, die man selbst nicht spricht oder erst gar nicht versteht. Diese Varietät kommt in der Ausstellung im wahrsten Sinne des Wortes zur Sprache: Die Vielfältigkeit und Fülle an dialektgefärbten Ausdrücken, an Bezeichnungen für die gleiche Sache. Prosa, Lyrik, Kinderbücher, lokale Wörterbücher liegen aus – es ist faszinierend, wie die Schweiz sich ihres immateriellen Reichtums immer wieder vergewissern muss.

«Sbescht wos je hets gits»

An dreizehn Hörstationen kann man sich rund 40 historische und aktuelle Tondokumente aus der Sammlung des Phonogrammarchivs anhören. Aus den letzten hundert Jahren werden auch bereits ausgestorbene Dialekte wie das Surbtaler Jiddisch, kaum noch gesprochene Patois aus der Romandie oder Ethnolekte aus der multikulturellen Jugendsprache hörbar: So finden Redewendungen wie «Sbescht wos je hets gits» ihr Örtchen in der Schweizerischen Sprachlandschaft. Leider waren die Hörbeispiele an der Vernissage nicht zu hören – die vielen Besucher übertönten die Tondokumente, die doch zum Kern der Ausstellung gehören.

Für den Patrioten eine Schatzsammlung, für Dialektliebhaber bereichernd, für Neugierige hingegen etwas dürftig: Die Ausstellung bietet auf kleinem Raum zwar einen Einblick in die sprachliche Vergangenheit und Gegenwart der Schweiz. Wer dafür aber extra einen Ausflug nach Bern plant, sollte auch noch andere Punkte auf dem Kulturprogramm stehen haben – oder eine der zahlreichen Begleitveranstaltungen besuchen.

  • Die Ausstellung dauert vom 8. März bis 25. August
  • Mo-Fri 9-18 Uhr, Mi 9-20 Uhr, Sa 9-16 Uhr, Sonn-und Feiertage geschlossen

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