Friedrich Dürrenmatt und Max Frisch haben beide die Schweizer Literaturszene geprägt. Doch nur einer schafft es im Club der toten Schweizer Dichter auf den Thron.
Wer Dürrenmatt sagt, sagt häufig auch Frisch. Kein Wunder, schliesslich gelten sie als die zwei grössten Schriftsteller, welche die Schweiz in den letzten 100 Jahren hervorgebracht hat. Massenweise Gedenktafeln und Ausstellungen zeugen davon. Die beiden klugen Köpfe waren jahrelang befreundet, lasen sich gegenseitig die Manuskripte, waren einander strengste Kritiker und glühendste Anhänger zugleich. Am Ende «entfreundeten» sie sich, wie es Dürrenmatt in einem späten Brief an Frisch ausdrückte, und begegneten einander mit Gleichmut.
Friedrich Dürrenmatt ist 25 Jahre nach seinem Tod wieder in aller Munde. Wir widmen dem grossen Schweizer Autor unser Wochenthema.
Bereits erschienen:
» «Dürrenmatt – eine Liebesgeschichte»: ein Film über das Leben und Leiden des «geduldeten Verrückten»
» Vom Triumph zum Skandal:
Dürrenmatts Basler Jahre
» Auf Dürrenmatts Spuren:
Eine Wanderung durch die Twannbachschlucht.
Das Bild des intellektuellen Gesellschaftskritikers haftete beiden in der Öffentlichkeit an: Dürrenmatt, der ländliche, behäbigere, grobere; Frisch der Bourgeois, der in der Kleinbürgerlichkeit, die er so verachtete, zu Hause war. Und zwar in einem Reihenhaus in der Agglomeration von Zürich. Bis er später den Kosmopoliten gab, in Rom, Berlin, New York. Dürrenmatt hingegen blieb ohne grosses Trara in der Schweiz hängen.
Zynische Kritik eines Querschlägers
Als Nestbeschmutzer galten trotz In- oder Auslandaufenthalt zeitweise beide. Dürrenmatt wurde zusätzlich noch das Prädikat «Narr» verliehen. Zu Unrecht: Durch Überspitzung bis hin zur Groteske hielt der Berner der Schweiz den Spiegel vor, er war ein Querschläger, ein Enfant terrible, zynisch in seiner Kritik.
Beispielhaft hierfür sind seine Kapitalismuskritik in «Der Besuch der alten Dame» oder das zeitlose, heute noch aktuelle Drama «Die Physiker». Letzteres spielt in einer Nervenheilanstalt am Neuenburgersee, in der drei Physiker sitzen, die sich als geisteskrank ausgeben, es aber gar nicht sind. Zwei möchten an die berühmte «Weltformel» des Wissenschaftlers Möbius gelangen. Der dritte ist Möbius selbst, welcher verhindern möchte, dass seine Formel in die falschen Hände gelangt, da man mit ihr die gesamte Menschheit auslöschen könnte.
Für Dürrenmatt war klar: Es gibt kein Utopia. Folglich wollte er im Leser auch nicht die Sehnsucht danach wecken.
Dürrenmatt schaffte es, im Gegensatz zu Frisch, seine Kritik an der Menschheit so zu formulieren, dass dem Publikum nach dem Lesen nicht der fahle Nachgeschmack von Moralin («Andorra») im Munde hängenblieb. Seine Dramen zeigen, dass er stark von Brechts Theatertheorie geprägt war, diese aber umgedeutet hatte. Seine Theaterstücke transportierten aber nie Botschaften einer Ideologie, wie man sie zum Beispiel bei Brechts kommunistischem Plädoyer «Dreigroschenoper» findet.
Für Dürrenmatt war klar: Es gibt kein Utopia. Folglich wollte er im Leser auch nicht die Sehnsucht danach wecken. Er zeigte die Welt, wie er sie sah, eine Welt, in der es keine ausgleichende Gerechtigkeit gibt und auch keine absoluten Wahrheiten. Auch in seinen clever konzipierten Krimis – Dürrenmatt war sich nie zu schade, auch für Geld zu schreiben – kann man diese Themen wiederfinden. Sein Hang zur Dystopie und die klare, geradlinige Sprache tragen ihren Teil dazu bei, dass Dürrenmatts Geschichten die Zeit besser überdauern und weniger Staub ansetzen als Frischs Werke.
Wer einen Dürrenmatt-Text in den Händen hält, kann sicher sein, einen humorvollen und zynischen Kommentar zu Problemen in der Gesellschaft oder der Politik vor sich zu haben. Keine als Gesellschaftskritik getarnte Autobiografie, wie Frisch sie zu schreiben pflegte. Was uns zum nächsten Punkt bringt: Dürrenmatt missbrauchte sein Privat- und Eheleben nicht als Romanvorlage.
Einmal Seelenstriptease mit alles, bitte
Er sei eben ein Langweiler gewesen, mögen da böse Zungen behaupten. Verglichen mit seinem rastlosen, getriebenen Zeitgenossen Max Frisch ist das ein naheliegender Gedanke. Im Gegensatz zu Frisch hatte Dürrenmatt auf den ersten Blick bescheidenen Erfolg bei den Frauen und führte ein spiessbürgerliches Leben.
Nicht so Max Frisch: In seinem Werk, das zu einem grossen Teil auch aus (fiktionalisierten) Tagebüchern und Essays besteht, findet der Leser haufenweise Anekdoten aus dem Beziehungsleben des Schriftstellers. So zum Beispiel in der Erzählung «Montauk», in der er den Seitensprung mit seiner amerikanischen Verlagsassistentin zu einem Roman verwurstet – sehr zum Leidwesen seiner Frau Marianne Oellers und seiner ehemaligen Geliebten, Ingeborg Bachmann. Das kann man interessant, tiefgründig und selbstreflexiv finden, in Wahrheit ist es überhöhend und anmassend.
Frischs Hang zum Pathos und seine Unfähigkeit, sich weder in seinen Beziehungen zu Frauen noch im Leben sonst verstanden zu fühlen, zementieren das Bild eines Intellektuellen, der am Zeitgeist scheitert. So wird Max Frisch zur fleischgewordenen Pointe von jedem «How many male novelists does it take to screw in a lightbulb»-Witz. Ein Mann, für den die (Frauen-)Welt noch nicht bereit ist, ein Mann, dessen Hauptthema in seinem Schaffen er selber ist.
Verkörperter Weltschmerz
Bestes Beispiel für diese Krise ist «Homo Faber», in der Frisch feuchte Altmännerfantasien zu Papier bringt. Wer träumt schon nicht von einer inzestuösen Beziehung zur eigenen Tochter, die man nicht aufwachsen gesehen hat und zufällig auf einer Kreuzfahrt kennenlernt. Wie bescheiden ist es doch, dass das einzig liebenswerte Wesen, das einen vermeintlich glücklich machen kann, von einem selbst geschaffen beziehungsweise gezeugt wurde!
Fairerweise bleibt zu sagen: Emanzipierte Frauenfiguren sucht man bei beiden Autoren weitgehend vergebens – dabei muss jedoch berücksichtigt werden, dass die Rolle der Frau in den Schemata Heilige, Hure oder Opfer nicht notwendigerweise die persönliche Sicht der beiden Autoren widerspiegelte –, sie könnten auch so konzipiert worden sein, um die Probleme der damaligen Gesellschaft wiederzugeben.
Wer sich bis hierher immer noch nicht überzeugt sieht, dass Dürrenmatt der freshere Frisch ist, der mache den interstellaren Vergleich: Dürrenmatt, der selbst ein eigenes literarisches Universum erschaffen hatte, wurde im Jahr 2000 auch physisch Teil unseres Sonnensystems. Im Jahr 2000 wurde ihm ein Asteroid gewidmet: «(14041) Dürrenmatt», so der Name des Himmelskörpers, befindet sich im Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter und umkreist dort in einem Rhythmus von 3,5 Jahren die Sonne. Was sind schon Sonderbriefmarken und Münzen, wie Max Frisch sie bekommen hat, dagegen?
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Friedrich Dürrenmatt ist 25 Jahre nach seinem Tod wieder in aller Munde – auch aufgrund eines Films, der derzeit in den Schweizer Kinos läuft. Wir widmen dem grossen Schweizer Autor unser Wochenthema.
Bereits erschienen: «Dürrenmatt – eine Liebesgeschichte»: ein Film über das Leben und Leiden des «geduldeten Verrückten»
Kommende Texte: Dürrenmatts Basler Jahre (ab 29. Oktober)
Auf Dürrenmatts Spuren: Eine Wanderung durch die Twannbachschlucht, wo «Der Richter und sein Henker» angesiedelt war (ab 30. Oktober).