Der Klezmermusiker Daniel Kahn tritt am Lyrikfestival Basel auf

Am Samstag bringt Daniel Kahn seinen «Verfremdungsklezmer» ins Basler Literaturhaus. Was es mit diesem Begriff auf sich hat und welche Bedeutung er der jüdischen Tradition beimisst? Das haben wir ihn gleich selber gefragt.

Hahn und Kahn. Poesie wie diese passt zum Lyrikfestival.

Am Samstag bringt Daniel Kahn seinen «Verfremdungsklezmer» ins Basler Literaturhaus. Was es mit diesem Begriff auf sich hat und welche Bedeutung er der jüdischen Tradition beimisst? Das haben wir ihn gleich selber gefragt.

Von Daniel Kahn gibt es ein Lied namens «Parasites». Während Akkordeon und Klarinette fröhlich schmettern, singt Kahn darüber, mit welch brutaler Vernichtungslogik die Schöpfung ihre Parasiten ausstattet. Etwa den Leberegel, der Ameisen als Wirte benutzt und ihr Nervensystem angreift, so dass die Ameise wider ihre Natur auf die Spitze von Grashalmen klettert und von einer Kuh gefressen wird. So kommt der Saugwurm an sein Ziel – in den Organismus der Kuh.

So gehe das in der wilden Natur, singt Kahn zynisch im Refrain: «You can make a living of another’s life / when you are living as a parasite.»

Ein fieses Schunkellied auf das Dasein als Parasit – man möchte lachen zu Kahns unerbittlichen Sarkasmen, wenn der Kontext nicht so verstörend wäre. Kahn, Multiinstrumentalist aus Detroit, lebt seit zehn Jahren in Berlin und hat dort eine Band mit dem Namen The Painted Bird um sich geschart, benannt nach einem Roman des polnischen Autors Jerzy Kosínski. Dessen Geschichte handelt von einem Knaben, der durch das perverse, verrohte Nachkriegseuropa zieht und eine Gewaltorgie nach der anderen über sich ergehen lassen muss – weil er anders ist. 

Klezmer-Sessions in Neukölln

Konkreter wird der Autor nicht, aber die Parabel ist deutlich. Der Roman handelt von einem Juden, der im noch nachwehenden antisemitischen Furor der Kriegszeit als der Parasit und Paria unter den Völkern galt. Dass Daniel Kahn nach dieser Figur seine Band benennt und dazu Lieder singt wie das hinterhältige «Parasites» oder seine jiddische Version von «Lili Marleen» – ausgerechnet diesen ersten Welthit, der im Zweiten Weltkrieg zum quer über die Schützengräben gesungenen Soldatenlied wurde –, untergräbt jede ritualisierte Gedenkkultur, die der Klezmer besonders in Deutschland erfüllen soll.

Dazu muss man wissen: Der Schauspieler und Klezmermusiker Kahn ist Jude und kam aus den USA in ein Berlin, das sich gut zehn Jahre nach der Wende gerade als Scharnier zwischen West- und Osteuropa zu begreifen begonnen hatte, «Russendiskos» feierte und sich besoff am Gemisch aus Balkan Beats und Gypsy Sounds. In diesem Strom fand auch die alte chassidische Musik den Weg zurück nach Berlin – der Klezmer. 

«Es gibt ein weltweit wachsendes Interesse an jüdischer Kultur, die nicht mehr auf das traditionelle Umfeld von jüdischer Kultur angewiesen ist», sagt Kahn. Er erinnert sich an ein Festival in New York, wo er kürzlich eingeladen war und auf Musiker und Künstler allen Alters traf, «religiös und atheistisch, links und rechts, aus den verschiedensten Ländern. Und dasselbe findet man auch in Berlin vor. In Neukölln gibt es Klezmer-Sessions, bei denen Musiker aus den verschiedensten Szenen mitspielen.» 

Wie uns alte Lieder heute noch ansprechen

Kahn, gross geworden in einer jüdischen Reformgemeinde in Detroit, hat selbst den Klezmer erst ausserhalb seiner Stammgemeinde entdeckt. «Die europäischen Traditionen der jiddischen Literatur und der jiddischen Musik spielten bei uns in Detroit keine Rolle.»

Erst ausserhalb seiner Gemeinde auf diese Kulturgeschichte gestossen zu sein, war eine prägende Erfahrung: «Diese Musik birgt spezifische jiddische Inhalte, aber weist dennoch über das Judentum hinaus. Mich interessiert, was diese alten Lieder zur Gegenwart sagen und was wir aus ihnen lernen können.»

Es geht Kahn nicht um die museal rekonstruierte Form des Klezmer, die seit den Siebzigern zuerst in den USA und danach auch in Deutschland die Traditionen der osteuropäischen Stedtl bewahren sollte. Vielmehr propagiert er einen «Verfremdungsklezmer», in dem das Echo noch nachhallt aus der Zeit, als die alten ostjüdischen Klezmerspieler als Outsider betrachtet und nur an Hochzeiten geduldet wurden, wenn ihre Tanzmusik unentbehrlich war. «Die alten jiddischen Lieder, die ich singe, handeln von diesen relevant gebliebenen Erfahrungen. Und fragen danach, wie wir uns Zivilisation vorstellen. Ich freue mich, dass Lieder aus dem 19. Jahrhundert weiterhin ein Publikum finden, weil es bezeugt, dass sie uns noch heute anzusprechen vermögen.» 

Neue Formen, neue Sounds

Neue Umgebungen will Kahn also schaffen für diese alte Musik, im Wissen darum, dass eine untergegangene Kultur nicht künstlich neu belebt werden kann. Neue Umgebungen – nicht nur in der Aufführungsform, sondern auch im Sound. Die Musik seiner Band The Painted Bird klingt so sehr nach Punkrock wie nach den Opern von Brecht und Weill, nach westgerecht aufbereitetem Ostfolk, wie man ihn von Shantels Bucovina Club bis zu Zach Condons Beirut kennt, wie nach einem hybriden, postnationalen Folklore-Entwurf, dessen Rahmung ein kosmopolitischer Inklusivismus darstellt. Ein Sound, an dem mitgebastelt werden soll: In seiner Stammband vertreten sind ein Deutscher, ein Amerikaner, ein Schwede und ein Russe. 

«Der Klezmer zeigt, wie flüssig Kultur ist.»

Es gebe nur gute und schlechte Musik, alles andere interessiere ihn nicht, sagt Kahn noch, und sperrt sich damit gegen einen kulturellen Essentialismus, als sei die Authentizität des Klezmer davon abhängig, welche Religion der Musiker habe. «Dos pintele yid», den jüdischen Funken, der selbst dem säkularsten Juden noch innewohne und der, negativ gewendet, in der Geschichte des Antisemitismus als Legitimation für die Ausgrenzung der Juden herbeizitiert wurde – Kahn will ihn austreiben aus dem Klezmer.

«Jüdischsein ist nicht nur etwas, das man ist – sondern auch etwas, das man erhalten hat. Und weitergeben kann. Der Klezmer zeigt, wie flüssig Kultur ist. Ich kenne so viele Künstler, die sich mit jüdischer Kultur auseinandersetzen. Natürlich muss man dafür die Tradition kennen, um mit ihr arbeiten zu können. Aber die besten Klezmermusiker sind nicht die, die ein Lied noch genau wie vor 100 Jahren spielen können. Sondern die es schaffen, sich damit auszudrücken. Auch wenn sie dafür einen Hochzeitstanz aus dem 17. Jahrhundert mit fünf E-Gitarren und einem Free-Jazz-Saxofon auf die Bühne bringen.» 

Von Leonard Cohen bis Heinrich Heine

Umgekehrt gilt das auch für den Klezmer, der Daniel Kahn & The Painted Bird vorschwebt – er nährt sich aus den verschiedensten Quellen. Auf ihrem bisher letzten Album «Bad Old Songs» haben sie Lieder versammelt, die fluchen, stöhnen und jammern können – Klassiker von Leonard Cohen oder Franz Josef Degenhardt neben bildstarken jüdischen Volksliedern, und Kahns Eigenkompositionen neben von Robert Schumanns vertontem Heine-Gedicht «Die alten bösen Lieder», das dem Album den Namen gab. «Die Träume bös‘ und arg / die lasst uns jetzt begraben / holt einen grossen Sarg», schrieb Heine, und schaufelt am Ende des Gedichts noch den ganzen Weltschmerz in den Sarg hinein, so dass er sich, gross und schwer, auf den Grund des Meers senke. 

So soll er wirken, der «Verfremdungsklezmer» eines Daniel Kahn. Er begräbt die weihevolle Erinnerungspflege der klagenden Klarinetten an «Jiddischland» und schafft einen Sound, der nicht einzig einer Vergangenheit gedenkt, die in russischen Pogromen und den Öfen der Nazis vernichtet wurde, sondern sich in der Gegenwart neu belebt. Einen engagierteren Ton will Kahn in das neue Album bringen, das wahrscheinlich dieses Jahr erscheinen wird, «mehr ökonomische Fragen, mehr Kampflieder, mehr Klassenkampf», und findet auch damit mühelos seine Stränge zur Tradition. Denn zum Klezmer gehörte immer auch die ökonomisch wie sozial prekäre Lage, in der die osteuropäischen Juden sich befanden und aus der sie ihre tieftraurige bis himmelhochjauchzende Musik schöpften. «Man muss das Spezifische befragen, um zum Universalen zu gelangen», sagt Kahn. 

Das ist Kahns Antrieb – dass diese Lieder und die Geschichte und Geschichten dahinter nicht in kulturspezifische Schubladen und Museen gesperrt werden. «Sie gehören überallhin, wo es was zu sagen gibt», fordert Kahn – in ein besetztes Haus, an eine Demonstration, ans Staatstheater, in eine Synagoge – oder an ein Lyrikfestival wie demnächst in Basel. «Vielleicht ist das sogar der beste Ort.»

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Daniel Kahn & The Painted Birds treten im Rahmen des Lyrikfestivals Basel auf.
Sa, 30. Januar, 20.45 Uhr. Literaturhaus Basel.
 

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