Der Morgen danach

Calixto Bieito hat die Zeit nach dem Treuebruch in Mozarts «Così fan tutte» inszeniert. Herausgekommen ist ein nachdenklicher Abend über Liebe, Enttäuschungen und Wunschträume.

Calixto Bieito hat die Zeit nach dem Treuebruch in Mozarts «Così fan tutte» inszeniert. Herausgekommen ist ein nachdenklicher Abend über Liebe, Enttäuschungen und Wunschträume.

«Nein, es war kein Teil der Inszenierung, kein PR-Gag, keine kuratierte Stadtinstallation», sprach Intendant Georges Delnon zum Basler Premierenpublikum, das trotz über einer Stunde Verspätung erwartungsfroh – und durch frei offerierten Wein milde gestimmt – in den roten Sesseln des Theater Basel sass.

Grund für die Verspätung war ein möglicherweise mit Sprengstoff gefüllter Koffer, der eine weiträumige Absperrung des Theaterplatzes nach sich zog. Und so sammelten sich an den orange gestreiften Absperrbändern Trauben von bestens gekleideten Menschen, die zunächst irritiert, dann immer geduldiger auf ihr Konzert oder auf ihre Opernaufführung warteten. Sie hatten es freilich angenehmer als die Kinozuschauer in der Theaterpassage, die über lange Zeit nicht einmal den Kinosaal verlassen durften.

«Immerhin haben wir schönes Wetter!», sagte eine Dame aufmunternd zum Pressechef des Theater Basel, der seinerseits das Publikum freundlich um Geduld bat. Schon eine Viertelstunde nach geplantem Premierenbeginn durfte das Publikum durch den Hintereingang ins Theater zum spontanen Apéro.

«Die Experten haben das Objekt nun wieder mit nach Zürich genommen», schloss Delnon seine Ansprache und hatte damit die Lacher auf seiner Seite.

Nichts zu lachen

Zu Lachen gab es indes in Calixto Bieitos neuestem Opernstreich herzlich wenig. Wolfgang Amadeus Mozarts «Così fan tutte» stand auf dem Spielplan, doch hatte der Spanier diese Oper bereits 1999 an der Welsh National Opera inszeniert – und wiederholen wolle er sich nicht, sagte er der Basellandschaftlichen Zeitung.

Deshalb kreierte er «Eine Geschichte über Liebe, Enttäuschung und Wunschträume» mit Musik aus Mozarts Oper und Texten von Michel Houellebecq. Bieito geht vom Ende der Oper aus und fragt sich: Was wird aus einer Beziehung, nachdem sich die Partner untreu geworden sind?

Und das sieht dann so aus: Die Kammerzofe Despina lehnt, sichtlich gezeichnet vom nächtlichen Ausgang, in einem dunkelblauen Abendkleid (Kostüme: Eva Butzkies) an einer blütenweissen Bühnenwand (Bühne: Calixto Bieito) und raucht. Im Hintergrund spielt ein Hammerklavier ihre Arie «Una donna a quindici anni», und was die verqualmte, müde Stimme in diesen frühen Morgenstunden eben so hergibt, das summt Despina mit (mit grossem schauspielerischem Talent und starker Stimme: Noëmi Nadelmann). Dann erst setzt die Ouvertüre ein, sanft und lieblich gespielt vom Sinfonieorchester Basel unter der Leitung von Ryusuke Numajiri, der auch die Partitureinrichtung gemeinsam mit Bieito vorgenommen hat.

Doppelter Treuebruch

Währenddessen quälen sich vier durchnächtigte, nur mit Unterwäsche bekleidete Körper aus dem Doppelbett, das im Zentrum der Bühne steht. Wir sehen Ferrando (mit geschmeidigem Tenor: Arthur Espiritu) und Guglielmo (mit fahl-enttäuschtem und blühend-verliebtem Bariton: Iurii Samoilov) sowie deren Verlobte Dorabella (wunderbar sanft: Solenn‘ Lavanant-Linke) und Fiordiligi (klar und makellos: Anna Princeva) nach dem doppelten Treuebruch.

Über anderthalb Stunden singen diese zitternden oder leblos am Boden liegenden Körper schönste Arien und Duette aus Mozarts Oper, doch sie agieren kaum miteinander. Es ist eine Höchstleistung, dass alle vier Interpreten so musikalisch miteinander harmonieren, obwohl sie oft weit voneinander entfernt platziert sind. Die Arien und Duette wirken mitunter kalt, wie Erinnerungen an eine längst vergangene Zeit, die durch den Raum weht.

Einzig Despina und Don Alonso (den frustrierten, schlagenden Ehemann gebend: Andrew Murphy) agieren miteinander, ringen umeinander, durchsetzen die süssen Arien mit knallharten, erotischen Versen von Michel Houellebecq. «Du widerst mich an!», werfen sie einander entgegen, oder auch: «God, I hate you!»

Was passiert hier mit der Liebe? Ist der Frust dieses älteren Paares die Zukunft für die beiden jüngeren, die mit dem Treuebruch schon in die Ehe gehen?

Beklatschte Aufführung

Diese Klangcollage aus Liebeslust und Liebesfrust kam beim Premierenpublikum gut an. Kaum ein eingefleischter Mozart-Fan echauffierte sich über das Puzzlespiel, es gab viel Applaus für Sänger, Musiker und Regie-Team. Vielleicht hat Bieito mit seiner melancholischen Inszenierung doch einen wahren Punkt getroffen und für einmal für die im Theater so wichtigen Identifikationsfiguren gesorgt?

Così fan tutte, Theater Basel.
Weitere Aufführungen bis 28.6.

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