Das Oslo 10 zeigt die Revue OU, ein Editionsprojekt des französischen Künstlers Henri Chopin aus den 60ern und 70ern. In jeder Ausgabe: unterschiedlichste Kunst von verschiedenen Künstlern. Zudem gaben die Tonkünstler Marc Matter und Dylan Nyoukis ein Konzert.
Im Oslo 10 auf dem Dreispitz-Areal sind zur Zeit die Boxen der Revue OU zu sehen, die der französische Künstler Henri Chopin zwischen 1964 und 1974 herausgegeben hat. Man konnte sie damals wie eine Zeitschrift kaufen, nur eben als Box. Eine Ausgabe enthielt lose Blätter, Hefte, Plakate und eine Schallplatte. Darin führte Chopin verschiedenste Künstler verschiedenster Stile und Herkunft zusammen, darunter etwa Jean Dupuy, Raoul Hausmann und Man Ray. Parallel dazu laufen im New Jerseyy und im 1m3 in Lausanne Austellungen zu Henri Chopin, die mit der im Oslo 10 zusammenhängen.
Der erste Eindruck erinnert stark an Dada, auf einem Druck steht es sogar: «Cogito ergo sum Dada». Daneben Collagen: ein Papst mit den Brüsten einer Schaufensterpuppe, die Nippel rot eingefärbt, an seinen Hals schmiegt sich eine davidhafte Statue. Ein Plakat weiter findet sich die Frau mit den hunderttausend Vaginas, ebenfalls als Collage sehr greifbar ins Bild gesetzt. Um das Bild windet sich ein Text: Vor allem für das kommunistische China sei diese Fruchtbarkeitsbombe eine sinnvolle Vision.
Der Sinn des Unsinns
Sinn – ein grosses Thema der Revue. Bestehende Sprach- und Bildstrukturen werden zerpflückt und neu zusammengewürfelt zu einem Unsinngebilde. Ob das Ergebnis Unsinn bleibt oder ob die wilden Kompositionen erst recht sinnvolle Aussagen ergeben, darf der Betrachter entscheiden. Doch gerade Unsinn gehört zu den stärksten Postulaten jener Epoche, deren Kunst sich gegen die herrschenden Diskurse und deren Anspruch behauptet, das geltende Wertesystem zu verwalten. Die Aufnahmen auf den Schallplatten lassen sich so lesen: Kombinationen elektronischer Geräusche mit Sprachfetzen, die kontextfrei aufgesagt werden, wiederholt, variiert und sich damit der funktionierenden Sprache widersetzen.
Andere Arbeiten tragen ihre politische Aussage unübersehbar vor sich her, so wie das Vaginamonstrum. Für die meisten Stücke ist der Humor zentral, vielleicht sogar das Hauptmerkmal von Chopins Auswahl. Ein Druck, von Chopin selbst, formuliert es explizit: «Il faut rire un peu», es muss ein wenig gelacht werden. In jeder von Chopins Boxen sitzt der Narr.
Nicht in eine Schublade zu stecken
Doch das ist nur ein Teil der Revue. Viele Boxen enthalten bildende Kunst, Drucke, Graphiken. Ebenfalls dabei sind Prosa- und Lyriktexte theoretischen Inhalts, teils sehr nüchtern. Etwa ein Text, ebenfalls von Chopin selbst, der die kreative Kraft des Menschen behauptet: Sie kann von Maschinen reproduziert werden jedoch nicht aufgewogen. Oder ein Gedicht von Raoul Hasmann, das dem Dilettantismus ein Loblied singt. Einer weiteren Box liegt eine Kopfbedeckung bei, die mit kuriosen Gegenständen behangen ist: Man soll sie aufsetzen, sich in Bewegung setzen und die dadurch entstehenden Geräusche wirken lassen. Oben drauf steckt ein Räucherstäbchen, womit die Überzahl der Sinnesorgane bedient wäre: Reichlich verrückt sieht der Träger ebenfalls aus.
Boxen wie Spielplätze. Vielfältig, unvorhersehbar. Der Käufer der Revue OU bekam ein künstlerisches Überraschungsei und konnte damit alles denkbare anstellen: aufhängen, mitnehmen, drapieren, abspielen, wieder einpacken – das ist die schönste Vorstellung, während man sich über die Vitrinen beugt.
«This is a beat-free zone»
Doch nicht alles ist Vergangenheit. Auf dem Begleitprogramm stand am 1. Dezember ein Konzert mit Marc Matter, dem Konzepteur der Ausstellung, und Dylan Nyoukis. 15 Gäste verteilten sich auf neun Stühle und die Bar, Zigarettenduft wehte in der Luft, Nyoukis nahm das Mikrophon und Matter den Plattenspieler zur Hand. Matter benutzte ausschliesslich Platten aus Chopins Boxen, während es Nyoukis zur Meisterschaft gebracht hat, die abgründigsten Geräusche mit seiner Stimme zu produzieren. «This is a beat-free zone», sagte er, als sich ganz leise und versehentlich der Takt eines Metronoms einschlich.
Wahre Worte! Zu hören war ein minimalistischer Geräuschteppich, aus dem man Geräuschquellen assoziieren konnte wie den Sound eines Motorrads, ein Mikrophon, das sich jemand in die Innereien eingeführt hat, spastisches Schreien, Entengeschnatter, oder auch einen 90-jährigen Bluessänger, der gerade seinen letzten Whisky leert. Und irgendwann formulierte Nyoukis, wieder mit völlig debiler Stimme, die Worte: «Is it supposed to sound like that?»
Gute Frage. Abwechselnd denkt man: What the Fuck? Was jault ihr mich voll? Und dann, wenn die Empörung verraucht und sich die Ohren wieder öffnen können, macht sich Neugier breit. Was tönt da? Wie bewegt sich der Klang? Was erzählen sie? Die Sprache der beiden Tonkünstler, die man irgendwie nicht Musiker nennen mag, obwohl im Grunde nichts dagegen spricht, spielt mit einer Form, die mit allen Formen gebrochen hat. Das Hören braucht Zeit. Man muss runterfahren von seinen Hörgewohnheiten und sich langsam reinsenken in diese beat-freie Zone. Und plötzlich, für die Zeitspanne der Offenheit, ist man erfrischt. Bevor die Befremdung wieder einsetzt. Beides ist richtig, beides ist gut.
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OU: Henri Chopin und die Revue OU. Oslo 10, Oslostrasse 10, Münchenstein. Bis 26. Januar 2014.
Das weitere Begleitprogramm.