Sie machen sich die Stadt zum abenteuerlichen Spielplatz: Für Parkour-Sportler ist kein Dach zu hoch und kein Sprung zu gewagt. Maurice Zavatunga (23) ist seit den Anfängen in Basel dabei und wird am JKF den Münsterplatz unsicher machen.
Mit halsbrecherischen Saltos, Schrauben und Sprüngen hechten sie furchtlos durch die Häuserschluchten Basels: Menschen die Parkour machen, leben extrem. Oder? «Das Schlimmste, was je passiert ist, war ein gebrochener kleiner Finger. Und das geschah nicht mal draussen, sondern in der Halle.» Maurice Zavatunga lacht verschmitzt. Entspannt nimmt er einen Schluck heisse Schokolade, wirkt locker, gelassen und gar nicht wie jemand, der seine Freizeit damit verbringt, Basel mit tollkühnen Kunststücken unsicher zu machen.
Aber der Eindruck täuscht: Der 23-Jährige weiss genau, wovon er spricht. Seit vier Jahren macht er Parkour, eine Sportart, die seit einiger Zeit an Beliebtheit gewinnt. Parkour ist ein urbaner Auswuchs des Hindernisparcours, nur dass anstatt der absichtlich gelegten Hindernisse die natürlichen Hürden des Stadt-Dschungels genutzt werden. Wo der Normalo-Bürger eine gewöhnliche Stadtlandschaft sieht, öffnet sich für einen Parkour-Sportler eine Welt voller spannender Hindernisse, die überwunden werden müssen. In den späten 80er-Jahren vom Franzosen David Belle entwickelt, ist die kühne Sportart nun auch in der Werbung angekommen: Firmen wie Toyota oder BBC One haben das Potenzial von Parkour entdeckt und drehen mit Belle und Co. abenteuerliche Werbespots.
Kreativ durch den Stadt-Dschungel
Auch Maurice hat vor vier Jahren das Fieber gepackt. Nach Ausflügen in Capoeira, Taekwondo und Fechten suchte der Basler nach neuen sportlichen Herausforderungen und stiess eher zufällig auf die abenteuerliche Sportart. «In Basel war zu dieser Zeit Parkours-mässig so gut wie nichts los. Also beschlossen wir, das Ganze professionell aufzuziehen.» Geplant, getan: Anfang 2010 wurde die World’s Parkour Family ins Leben gerufen. Mit drei weiteren Leuten (unter anderem mit Kevin Fluri, der 2011 die Weltmeisterschaft in Kuwait gewann) wurden Trainings angeboten und ein Programm aufgebaut. Die World’s Parkour Family geht mit der Zeit: Auf dem Programm stehen nicht nur Sprünge und Klettern, sondern auch Saltos. Das gefällt nicht allen: « Es gibt Parkour-Puristen, die gegen Saltos und so Zeug sind. Ich seh das nicht so. Die Szene hat sich extrem entwickelt, wir gehen da mit und machen keine Unterschiede.» War früher das Wichtigste, möglichst schnell an ein Ziel zu kommen, ist heute Kreativität gefragt.
Und die beweisen die Trainierenden am häufgsten beim Theater, um die Richard-Serra-Plastik herum oder vorne beim Kino und der Unterführung. Reklamiert wird selten. «Ab und zu beklagen sich die vom Theater, wenn sie Vorstellung haben und wir bei der Elisabethenkirche rumspringen.» Bei Schulhäusern wird es teilweise auch brenzlig. Meistens stören die Sportler jedoch niemanden, an einem Ort dürfen sie sogar auf den Dächern des Schulhauses trainieren.
Austoben für den ungezähmten Teenager
Und da sind Leute von jung bis alt dabei? «Eher von jung bis jung. Die meisten Jugendlichen, die bei uns mitmachen, sind zwischen 14 und 18 Jahre alt. Der Jüngste ist neun, aber das ist eher die Ausnahme.» Kinder unter zehn Jahren vertröstet Maurice auf später: «Da ist das Verletzungsrisiko noch zu gross.»
Die meisten der World’s Parkour Family sind trotzdem unter 20. «Parkour ist ein Jugend-Sport», so Maurice, «ich denke, das liegt daran, dass man sich in diesem Alter austoben will, man hat Bewegungsdrang und muss irgendwohin damit.» Man kanalisiert seine Bewegungswut, kann sich beweisen. Dazu kommt ein gewisses Mass an Street-Credibility: «Natürlich sieht Parkour auch einfach gut aus. Sowas darf man nicht unterschätzen» schmunzelt Maurice.
Ihr Erfolg gibt der World’s Parkour Family recht: Die insgesamt 15 Trainer des Vereins trainieren während der Schulzeit drei Gruppen zweimal die Woche. Bis Ende Jahr soll aus der Kollektivgesellschaft eine GmbH werden. Die World’s Parkour Family hat zudem eine eigene Kleiderlinie und organisiert jedes Jahr ein Camp im August, wo der Hauptaustausch der Schweizer Szene stattfindet.
Eine ziemlich bemerkenswerte Leistung für jemanden Anfang 20. Maurice winkt ab. Trotz des Höhenflugs ist der Stadtakrobat auf dem Boden geblieben. Er wird im Herbst an der PH Mathematik, Französisch und Sport studieren. «Parkour ist ein wichtiger Teil meines Lebens und wird immer ein ernstes Hobby oder eine Zeit lang sogar mehr sein. Ich bleibe hoffentlich mein Leben lang bei World’s Parkour Family. Aber es zu meinem Lebensinhalt erklären?» Ein letztes Mal verziehen sich seine Mundwinkel zu einem sympathisch-verschmitzten Lächeln. «Ich habe noch andere Ziele im Leben.»