Der Stoff, aus dem die Filme sind

Literaturverfilmungen gab es schon immer. Im Moment jedoch erleben sie einen neuen Höhenflug. Die Gründe dafür sind vielfältig und reichen von der Hollywoodkrise bis zum Marketing.

Abgründe einer Ehe: Rosamund Pike und Ben Affleck in der Verfilmung von «Gone Girl». (Bild: ©Twentieth Century Fox)

Literaturverfilmungen gab es schon immer. Im Moment jedoch erleben sie einen neuen Höhenflug. Die Gründe dafür sind vielfältig und reichen von der Hollywoodkrise bis zum Marketing.

Den Betrachter von Filmplakaten befällt manchmal ein Déjà-vu. Dieser Titel, «Gone Girl», kenne ich den nicht? Schnell auf YouTube den Trailer angeklickt, und dann steht da gross: «Nach dem Bestseller von Gillian Flynn». Genau, das wars, das Buch steht schon länger in den Regalen der Buchhandlungen. Und bildet keine Ausnahme: Ob «Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand», «Der Koch», «Der Hobbit»  oder «The Hunger Games», die Romane waren uns ein Begriff, bevor wir ins Kino gingen und uns die Verfilmungen ansahen.

Die Kinos sind gerade voll von Filmen, die es zuerst in Buchform gab. Bei manchen ist uns das bewusst, bei anderen weniger. «The Giver» zum Beispiel basiert auf dem Buch «Hüter der Erinnerung» von Lois Lowry, «This is where I leave you» auf dem Roman «Sieben verdammt lange Tage» von Jonathan Tropper. «The Hundred-Foot-Journey» beruht auf «Madame Mallory und der kleine indische Küchenchef» von Richard C. Morais.

Ende Oktober kommt mit «The Maze Runner» Teil eins der Serie um «Die Auserwählten» von James Dashner in die Kinos. Thomas Paul Anderson hat grade Thomas Pynchons «Inherent Vice» verfilmt. Und hinter dem Dreamworks-Animationsfilm «Drachenzähmen leicht gemacht» steht gleich eine ganze Kinderbuchreihe der britischen Autorin Cressida Cowell.

Masse an Literaturverfilmungen

Fängt man einmal an, darauf zu achten, so fällt die Masse an Literaturverfilmungen auf. Und man fragt sich, ob den Filmemachern die Stoffe ausgehen, was sie vermehrt dazu bringt, den Buchmarkt zu durchforsten. Nein, sagt der Literatur- und Kulturwissenschaftler Johannes Binotto, der seit Jahren über Filme publiziert: «Beziehungsweise: Das Phänomen ist zumindest nicht neu – diese Praktiken gab es schon seit Anfang der Filmgeschichte. Bereits die Pioniere adaptierten die Klassiker, Georges Méliès verfilmte mit Erfolg Jules Verne, Louis Feuillade basierte seine Fantômas-Filme auf den zeitgenössischen Fortsetzungsromanen von Marcel Allain und Pierre Souvestre.»


F. Scott Fitzgeralds «The Great Gatsby»: Mehrmals verfilmt, zuletzt 2013.

Auch im Hollywood der Vierziger- und Fünfzigerjahre sei der Trend noch stärker gewesen als heute: Zwischen dem Erscheinungstermin des Buches und des Films vergingen oft nur ein paar Monate. Filmstudios liessen sich bei Buchautoren inspirieren und schlossen direkt mit ihnen Verträge ab. Verträge, die manch einen Autor auch noch zu einer Fortsetzung verknurrten, die er möglicherweise gar nie zu schreiben beabsichtigt hatte.

So ging den Studios der Stoff nie aus. Manche Autoren wie etwa F. Scott Fitzgerald verdingten sich gar als Handlanger bei den Filmstudios, um Drehbücher aufzubessern – obwohl er es hasste, nur aus reiner Geldnot.

Streik der Drehbuchautoren

Diese Praxis begann sich im Zeichen von «New Hollywood» und seiner Exponenten wie Arthur Penn, Robert Altman oder Woody Allen ab den Sechzigerjahren unter dem Einfluss des europäischen Autorenkinos zu verändern. Mit dem zunehmenden Selbstverständnis des Films als eigenständige Kunstform wollte das Kino sich auch von den literarischen Vorbildern emanzipieren. Statt existierende Romane zu verfilmen, galten nun Originaldrehbücher als Mass der Dinge. Doch diese Blütezeit ist längst vorbei.

«Seit Jahren laufen Hollywood die Drehbuchautoren davon», sagt Binotto. Nach den Streiks 1988 und 2007 bis 2008, in denen die Drehbuchautoren gegen ihre schlechte Bezahlung protestierten, haben immer mehr von ihnen das Fernsehen als sehr viel kreativeres und auch lukrativeres Betätigungsfeld entdeckt. «Das US-Fernsehen macht unterdessen das lebendigere Kino als die trägen Filmstudios», bestätigt auch Binotto.

Die Filmregisseure sehen sich gezwungen, ihre Geschichten anderweitig zu suchen – und werden auf dem Literaturmarkt fündig.

Mittlerweile sind auch die Stars den Autoren gefolgt. Preisgekrönte Schauspieler, die man von der grossen Leinwand kennt, übernehmen vermehrt Rollen in TV-Produktionen – seien es Kevin Spacey und Robin Wright in «House of Cards», Claire Danes in «Homeland»  oder Matthew McConaughey und Woody Harrelson in «True Detective». Dasselbe gilt für Regisseure: Steven Soderbergh, Martin Scorsese und Steven Spielberg – sie alle drehen im Moment TV-Serien.

Die Filmregisseure sehen sich gezwungen, ihre Geschichten wieder anderweitig zu suchen. Und sie werden auf dem Literaturmarkt fündig. Schon an Buchmessen kommen Vertreter der Filmstudios zum Einsatz: Möglichst früh sichern sie sich die Rechte an den Werken, manchmal nur aufgrund einer vielversprechenden Inhaltsangabe. Der Schnellere ist der Geschwindere. Und so sind schon manche Filmrechte verkauft und dann auf Eis gelegt worden – weil ein Buch schliesslich doch nicht den gewünschten Erfolg hatte.

Wenn der Film versucht, ein Buch zu sein

Für Alfred Hitchcock wäre dies kein Problem gewesen: Manchmal habe der «Master of Suspense» sich die Rechte an einem Buch gesichert, nur um eine einzige Idee daraus verwenden zu können, erzählt Binotto. Robert Blochs «Psycho» zum Beispiel hielt er für ein schlechtes Buch, was ihn freilich nicht daran hinderte, daraus ein Meisterwerk zu machen.

Entsprechend verärgert mögen manche Autoren über den freien Umgang mit ihrer Vorlage sein. Von Bret Easton Ellis etwa wurden vier Romane verfilmt, aus seiner Unzufriedenheit mit den Adaptionen hat er nie einen Hehl gemacht. Halbwegs zufrieden war er nur mit der Umsetzung von «American Psycho».

Manche Autoren versuchen dieses Risiko zu minimieren, indem sie am Film mitarbeiten. Joanne K. Rowling etwa griff stark in die Drehbücher zu den «Harry Potter»-Filmen ein. Und auch Gillian Flynn, die Autorin von «Gone Girl», setzte sich für David Fincher erneut an die Tastatur. Sie änderte gar den Schluss ihres Buches ab.

Auf den ersten Moment mag eine solche Einmischung vernünftig klingen und wünschenswert erscheinen. Stattdessen aber schadet sie in vielen Fällen. Denn ein Autor weiss nicht unbedingt, was das Beste für eine Verfilmung ist. «Adaptionen sind immer auch Interpretationen. Und je eigenständiger und eigenwilliger diese ist, umso besser. Wenn hingegen der Film versucht, ein Buch zu sein, kann er nur scheitern», sagt Binotto. Schliesslich haben die beiden Medien ganz unterschiedliche Mechanismen und Erzählweisen und müssen deshalb ihre je eigenen Vorteile ausspielen, anstatt zu versuchen, sich gegenseitig zu imitieren.

Wiedererkennung als Marketinginstrument

«Gone Girl» ist diesbezüglich ein misslungenes Beispiel: Wer Buch und Film kennt, weiss nach zweieinhalb Stunden Filmzeit, dass der Plot im Buch besser funktioniert, da vieles auf einer nicht-sichtbaren und nicht-darstellbaren Ebene passiert. Dem unwissenden Kinobesucher wird das wahrscheinlich nicht auffallen. Er wird aber, sollte er sich nachträglich dazu entscheiden, das Buch zu lesen, einiges klarer sehen.

Will man es nun böse formulieren, so könnte man Finchers Film als gut gemachten Trailer für Flynns Buch betrachten. Dieses liegt denn auch seit Kurzem in den Buchläden nicht nur in der altbekannten Fassung mit roten Titellettern auf schwarzem Grund auf, sondern mit dem Filmplakat als Cover – damit der Kinogänger es auch sicher findet. Wiedererkennung als Marketing-Instrument.

Denn natürlich profitieren in diesem Geschäft nicht nur die Filmstudios von den Ideen der Literaten, sondern auch die Autoren beziehungsweise die Verlage von den Verfilmungen: Die Filme pushen die Bücher. Was vorher kein Bestseller war, wird vielleicht so zu einem gemacht. Dazu wird von den Verlagen dann nicht nur das Cover angepasst, sondern manchmal auch gleich der Titel.

«Nach dem Bestseller von» ist eine Information, die man als Kinogänger nicht unbedingt braucht.

Die «Drachenzähmen leicht gemacht»-Bücher etwa wurden früher unter dem Obertitel «Hicks, der hartnäckige Wikinger» verlegt. Heute führt der Arena Verlag die beiden Serien parallel: Cover und Titel unterscheiden sich – der Inhalt hingegen ist Wort für Wort derselbe.

In den Vierziger- und Fünfzigerjahren des 20. Jahrhunderts, als die Literaturverfilmungen das letzte Mal einen Höhepunkt erlebten, wurden die Buchcover auf die Filmplakate gedruckt. Heute werden potenzielle Leser mittels Kinotrailer angeworben. «Nach dem Bestseller von» ist eine Information, die man als Kinogänger nicht unbedingt braucht.

Die Formulierung spricht ein bestimmtes, literaturaffines Publikum an, das im immer grösser werdenden Buchdschungel nach Orientierung heischt. Alle anderen werden einfach drüberweglesen – zum Vorteil der Filme. 

Nächster Artikel