Der Stunt mit dem Hellraumprojektor

«Dead or Alive» – wer ist besser? Die Klassiker der Literatur oder die Besten der Slampoetry? Am 5. April siegten im Theater Basel die Lebenden. Das Format hat noch viel Potenzial. Bis dahin gab es eine spannende Eskapade.

(Bild: Valentin Kimstedt)

«Dead or Alive» – wer ist besser? Die Klassiker der Literatur oder die Besten der Slampoetry? Am 5. April siegten im Theater Basel die Lebenden. Das Format hat noch viel Potenzial. Bis dahin gab es eine spannende Eskapade.

Wer sind diese Schauspieler?! Es ist Sonntag, zwei Tage nachdem am Freitag (5. April) im Theater Basel der Poetry Slam «Dead or Alive» stattfand. Tote gegen lebendige Dichter, Klassiker der Literatur gegen Slampoeten. Ein Anruf im Theater führt nicht weiter und auf dem Programm steht nur »Schauspielerinnen und Schauspieler des Theater Basel». Was nicht mal stimmt: Die einzige Frau des Abends war Hazel Brugger, Slammerin aus Zürich, die auch prompt den Wettbewerb gewonnen hat.

Die Schauspieler wollten und sollten also ganz hinter ihre Rolle zurücktreten. Sie sollten Robert Walser, Allen Ginsberg, Goethe und Charles Bukowski nicht spielen, sondern auferstehen lassen. Und so krochen sie denn auf der sehr hübsch gemachten Bühne aus einem Grab hervor, durch Nebelschwaden, und stellten sich der Herausforderung, Slampoetry zu machen. Das war nicht fair! Beziehungsweise: Die Schauspieler machten es sich selber unfair und liessen ihre Chance weitgehend ziehen, den Slammern Paroli zu bieten. (Und sie hätten alle Register ziehen müssen, denn neben Hazel Brugger erwartete sie mit Laurin Buser, Sebastian 23 und Etrit Hasler eine kapitale Herausforderung.)

Gesuchte Komik

Die Schauspieler verzichteten darauf, knallhart Kunst zu machen, vielleicht sogar ernst, pathetisch, vielleicht ohne Komik, ohne Coolness – na und? Das wäre ein Battle gewesen! Der Reiz der «klassischen» Poesie gegen den der Slampoetry. Auf dem Feld des Cabarets ist die erwähnte High Society des Poetry Slams mit ihren glasklaren Pointen natürlich überhaupt nicht zu schlagen.

Das heisst nicht, das «klassische» Literatur nicht komisch sein könnte. Im Gegenteil. Über Walsers Prosastück «Die Wurst» kann man sich schieflachen. Der unbekannte Schauspieler machte allerdings eine Show aus dem Text und wollte auf Teufel komm raus komisch sein – die Komik, die dem Text längst eignet, ging indessen flöten.

Man muss allerdings sagen: «Goethe» hat seine Rap- und Schlagerversion vom «Zauberlehrling» äusserst souverän durchgezogen und kam damit sehr verdient ins Finale. Insgesamt dritter Platz für ihn, immerhin. Wirklich spannend wurde es aber erst beim Auftritt von «Charles Bukowski». Er so: «Ich bin nicht Charles Bukowski. Ich bin eigentlich auch kein Schauspieler. Ich bin Tänzer.» Das war schon mal eine Ansage. Er liess sich dann den mitgebrachten Bukowskitext aus dem Publikum vorlesen und improvisierte dazu tanzend (so schien es jedenfalls). Das ergab super Momente, Mordskomik auf eigene Weise. Im Sinne von: Ich bin kein Slammer, aber ich bin was ich bin, friss oder stirb! 

Ein ärgerlicher Gabriel Vetter

Dann kam die Stelle, wo das lyrische Ich seine Beine aus dem Fenster hängt. «Bukowski» veranschaulichte das mit einem Kopfstand auf einem Hellraumprojektor – dem Hellraumprojektor, auf dem der Moderator Gabriel Vetter, selber Slampoet und neuerdings Hausdichter am Theater Basel, die Zwischenergebnisse notierte. Der Kopfstand klappte nur kurz, der Projektor und «Bukowski» fielen um und das Gerät ging kaputt. Hui, da war der Gabriel Vetter sauer! Gefühlte zehn Minuten stand ihm die Empörung ins Gesicht geschrieben, die er allerdings sehr nobel überspielte. 

Zugegeben, so ein kaputter Projektor ist ärgerlich. Doch den Moderator, der an diesem Abend ganz der Slammer war, hat «Bukowski» damit aus der Reserve gelockt. Es ist amüsant, wie heilig plötzlich so ein Bühnenrequisit ist. Ein missglücktes Wagnis (Vetter selbst nannte es in einem Gespräch «Klamauk» – «Einspruch!» meldete Vetter später via Twitter (vgl. Tweet unten)) reichte aus, um den Slamfrieden eine Weile aus der Balance zu bringen. Übrigens war dem «Bukowski» sein Malheur wohl selber nicht sehr angenehm. Jedenfalls liess er sich auf der Bühne nicht mehr blicken.

Ein spannender und äusserst unterhaltsamer Abend, dieser erste Dead-or-Alive-Slam in der Schweiz (aus anderen Ländern ist das Format bereits bekannt). Die Debatte, dass Slampoetry ja «nur» Cabaret sei und keine hohe Kunst, wird sich schon wieder legen. Viel interessanter wird es sein, was aus der Begegnung von Slampoetry und der «anderen» Dichtung noch hervorgeht.

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