Der Theatergegenwart entrückt

Die junge Regisseurin Barbara-David Brüesch inszeniert Arthur Millers Klassiker «Tod eines Handlungsreisenden» auf der Kleinen Bühne vom Blatt und vermag damit dank herausragenden Schauspielern ganz schön zu berühren.

Der amerikanische Albtraum: Der zerbochene Handlungsreisende (Dirk Glodde) und das Schein-Vorbild (Florian Müller-Morungen) (Bild: Simon Hallström)

Die junge Regisseurin Barbara-David Brüesch inszeniert Arthur Millers Klassiker «Tod eines Handlungsreisenden» auf der Kleinen Bühne vom Blatt und vermag damit dank herausragenden Schauspielern ganz schön zu berühren.

Willy Loman steht im Regen. Ganz allein und auf einem Plätzchen auf der Bühne stehend, das für den Abfluss des Regenwassers extra mit einem Gitterrost ausgelegt ist. Es beschleicht einen sogleich der Gedanke, dass da eine Regisseurin ans Werk gegangen ist, die ganz gehörig in die Symbolkiste greift. Und dies gleich in der ersten Szene des Abends!

Willy Loman ist die Titelfigur von Arthur Millers 1949 uraufgeführten Klassikers «Tod eines Handlungsreisenden». Er ist, wie man wahrscheinlich weiss, weil man das Stück vielleicht schon gesehen hat  – ob nun im Theater oder im Kino – oder weil man es in der Schule lesen musste, die Verliererfigur schlechthin. Das Schicksal dieses Handlungsreisenden bildet die Kehrseite des amerikanischen Traums ab. Ein Mensch also, der wahrhaftig und auch im übertragenen Sinn im Regen steht.

Mit jeder Faser der Erscheinung

Dieser Willy Loman wird gespielt von Dirk Glodde. Wie man ihn nun so dastehen sieht, die Mundwinkel in einer Mischung von Verbissenheit und Verzweiflung nach unten gezogen und den Körper nur mit Anstrengung in der aufrechten Position haltend, schwindet die Skepsis vor einer Symbol-Überdosis. Und je länger der Abend dauert, umso mehr spielt sich dieser wunderbare Schauspieler in die Herzen der Zuschauerinnen und Zuschauer.

Und nicht nur er. Da gibt es noch die wichtigste der Nebenfiguren. Biff heisst sie im Stück, Willys Lieblingssohn und Gegenspieler, und gespielt wird sie vom jungen Schauspieler Manuel Bürgin. Eindrücklich gespielt, voller Energie und Kraft, als gäbe es kein Morgen mehr. Oder Chantal Le Moign als Ehefrau und Mutter Linda, welche die auf Selbstverleugnung fussende Scheinwelt Willys unbeirrt und stetig am Abgrund in die tiefe Depression miterleidet.

Die Geschichte erzählen

Die junge Schweizer Regisseurin Barbara-David Brüesch lässt diesen Schauspielern viel Raum. Sie zeigt zwar keine Scheu vor eben diesen symbolhaft aufgeladenen Bildern – ein weiteres ist der übergrosse stilisierte Diamant auf einem Gerüst im Bühnenhintergrund (Bühne: Damian Hitz), verzichtet aber weitgehend auf interpretatorische Wegweisungen und Aktualisierungen. Eigentlich tut sie nicht viel mehr, als die Geschichte so nachzuerzählen, wie sie der Autor Arthur Miller auf Papier gebracht hat.

Und diese Geschichte ist eine sehr amerikanische. Sie handelt von der Kehrseite des American Dream, davon dass eben nicht jeder seines eigenen Glückes Schmied sein kann – ein Traum also, der allzu oft nicht so traumhaft ist. Sie zeigt das Schicksal des alternden Handlungsreisenden, der in seinem Job nicht mehr reüssieren kann, sich dieses Scheitern aber so stur nicht eingesteht, dass er und seine Familie daran zugrunde gehen.

Die Welt der 1950er-Jahre

Millers Drama spielt in einer Zeit, als sich die amerikanische Wirtschaft nach dem Krieg wieder langsam zu erholen begann. Das bleibt auch auf der Kleinen Bühne in Basel so. Der Vorankündigung des Theater Basel, dass die Inszenierung die Geschichte «in das Zeitalter von Risikogesellschaft, Finanzkrise und Existenzgründungen» übertrage, kann man nicht wirklich zustimmen. Dieser «Tod eines Handlungsreisenden» ist und bleibt die Geschichte aus einer vergangenen Zeit.

Dirk Glodde erinnert als Willy Loman, auch wenn sein Anzug auch von heute stammen könnte (Kostüme: Heidi Walter) schon rein äusserlich an die US-Schauspieler Lee J. Cobb und Fredric March, die diese Rolle in der Uraufführung am Broadway und in der ersten Hollywood-Verfilmung gespielt haben. Und Manuel Bürgin als Biff lässt, auch wenn seine äusserlicher Erscheinung eine andere ist, im Spiel Erinnerungen an James Dean wachwerden.

Wie in einem Hollywood-Klassiker

Überhaupt strömt dieser zweistündige, pausenlose Theaterabend den Charakter eines Hollywood-Dramas aus den 1950ern aus. Dies liegt vor allem in der naturalistisch-expressiven Darstellung der Figuren. Die in Mimik und Haltung des Hauptdarstellers so stark verinnerlichten Gefühlsschwankungen zwischen purer Verzweiflung und forciert optimistischer Selbsttäuschung füllt den Raum so sehr, dass man zuweilen glaubt, Wily Loman bzw. den Schauspieler Dirk Glodde in Grossaufnahme zu sehen.

Zu diesem an einen Film erinnernden Gesamteindruck trägt auch die Inszenierung bei. Barbara-David Brüesch erzählt die nicht ganz einfach konstruierte Geschichte, die viele Rückblenden und Sprünge in die Fantasiewelt der Hauptfigur einstreut, ausgesprochen temporeich mit zum Teil harten Schnitten, Parallelszenen und szenischen Überblendungen.

Ein Theaterabend, der berührt

Nicht alles gelingt an diesem Abend. So werden die Figuren von Biffs trotteligem Mitschüler (der später aber zum erfolgreichen Anwalt wird) und von Lomans herzlosen Chef (beide gespielt von Silverster von Hösslin) doch arg karikiert. Aber immer wieder schafft die Regisseurin schöne und ausgesprochen sorgfälig gezeichnete Stimmungsbilder.

Alles in allem wirkt Millers «Tod eines Handlungsreisenden» auf der Kleinen Bühne auf eine seltsame Art der Theatergegenwart entrückt. Nicht etwa in eine Zeitlosigkeit, dafür trägt das Geschehen eben zu sehr den Stempel der 1950er-Jahre. Aber dies tut dem Theatererlebnis letztlich keinen Abbruch. Die Tragödie des zerbrechenden kleinen Mannes, der so gerne gross sein möchte, berührt. Letztlich ganz einfach durch sich selbst und durch die Schauspielerinnen und Schauspieler, die die Verlierer des amerikanischen Traums auf so einnehmende Art verkörpern.

Ein kleiner Link (pdf-Dokument) noch zur Besucherbefragung des Theater Basel. Das Premierenpublikum war sicher jünger als der Altersschnitt des eruierten Theaterpublikums, der doch recht hoch ist (die meisten Theaterbesucher sind zwischen 50 und 80 Jahre alt), sich allerdings in der Sparte Schauspiel im Durchschnitt markant verjüngt. Woher die Zuschauerinnen und Zuschauer stammen, war ihnen nicht anzusehen (laut Umfrageergebnis kommen 45 Prozent aus Basel-Stadt, 35 Prozent aus Baselland, der Rest aus der übrigen Region oder der Restschweiz).

Und zum Schluss noch dies: 80 Prozent des Publikums mag innovatives, 64 Prozent provokatives und eigentlich nur 23 Prozent traditionelles Theater. Dem Applaus nach zu beurteilen kann das Attribut «traditionell» im Einzelfall aber auch durchaus mehrheitsfähig sein.

«Tod eines Handlungsreisenden»
von Arthur Miller
Regie: Barbara-David Brüesch, Bühne: Damian Hitz, Kostüme: Heidi Walther, Musik: Gaudenz Badrutt, Christian Müller
Mit: Dirk Glodde, Chantal Le Moign, Manuel Bürgin, Lorenz Nufer, Silvester von Hösslin, Joanna Kapsch, Heiko Pinkowski, Florian Müller-Morungen
Weitere Vorstellungen: 28.1., 3.2., 4.2., 27.2., 28.2.2014, Kleine Bühne

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