Fürs Cartoonmuseum Basel hat der Westschweizer Martial Leiter einen modernen Totentanz gezeichnet, der die weltlich geprägte Abkehr von der Religion hin zur Philosophie vollzieht.
Endlich, sagt Martial Leiter, endlich habe jemand seine Idee unterstützt. Schon seit ein paar Jahren habe er einen Totentanz zeichnen wollen. Bei mehreren Leuten in der Westschweiz sei er mit dem Vorhaben vorstellig geworden, doch alle hätten nur die Nase gerümpft und abgewunken. Bis er nach Basel kam. Und Anette Gehrig, die Leiterin des Cartoonmuseums, sofort dafür begeisterte.
Wahrscheinlich sei der Grund für die Absagen gewesen, dass Totentänze in der Westschweiz keine Tradition haben, vermutet der Lausanner Zeichner. Hier in Basel ist das anders, man denke an den grossen Totentanz im ehemaligen Dominikanerkloster (siehe Seite 44), nach dem heute, rund zwei Jahrhunderte nach seiner Zerstörung, noch eine Strasse benannt ist, oder die Totentanz-Holzstiche von Hans Holbein d. J. Diese und andere Werke faszinieren Martial Leiter seit über 20 Jahren. Unzählige Male schon hat er in einzelnen Zeichnungen den Tod dargestellt, und auch in seinen Karikaturen für verschiedene Zeitungen ist er allgegenwärtig, wie man in der aktuellen Ausstellung im Cartoonmuseum sehen kann. Meist ist ein Krieg der Aufhänger für die Bilder – der Golfkrieg etwa war eine reichhaltige Inspirationsquelle.
Als Personifikation des Todes fungiert bei Leiter immer ein Skelett, wie es schon in der Ikonografie des Mittelalters der Fall war. «Das Skelett ist das, was nach dem Tod noch lange von uns übrigbleibt, bis es irgendwann durch den natürlichen Verrottungsprozess auch noch verschwindet», erklärt Leiter. «Es bildet – zumindest für den Laien – einen neutralen Raum und bedeutet für mich innerhalb dieser Sichtweise eine Form von Frieden.»
Der Sinn des Lebens
Eigentlich entspringe aber sein Interesse für den Tod der Faszination für das Leben, sagt der 60-jährige Künstler. Seine Darstellung solle man deshalb auch nicht unbedingt politisch lesen, sondern eher philosophisch. Wenn von der Bedeutung eines Totentanzes noch etwas übriggeblieben sei, dann sei es der Impetus, aus dem Leben etwas zu machen, bevor der Tod einen holt. Während dieser Sinn des Lebens vor Jahrhunderten in der Religion verankert war, hat sich die Frage danach in der Jetztzeit zu einer persönlichen gewandelt – wie auch der Tod etwas Privates geworden ist. Der Tod und die Rituale um ihn herum wurden so weit als möglich aus dem Leben verdrängt, der Tod wird immer stärker negiert.
Gleichzeitig hat die Darstellung des Todes ihren Schrecken verloren. «Fernsehen und andere Medien haben zu dieser Banalisierung sehr viel beigetragen», sagt Leiter. Dabei denkt er nicht nur an Hollywood, sondern auch an die täglichen Nachrichten aus Kriegsgebieten. Nicht umsonst hat er seine ersten Todzeichnungen in einem Buch mit dem Titel «Guerre(s)» zusammengefasst. Und so verwundert es auch nicht, dass sein Totentanz uns eine Landschaft vor Augen führt, die an einen Kriegsschauplatz erinnert: menschenleer, kahl und schwarz, mit Geiern, die sich auf wenigen Ästen niedergelassen haben. Der Tod aber, er tanzt nicht in dieser Welt – nein, er spielt Golf!
«Der Tod hat seinen Job verloren», erläutert Leiter seine Überlegungen. «Der Mensch hat ihm die Arbeit abgenommen. Kriege, Umweltverschmutzung – da erledigt sich vieles von selber. Und in seiner Arbeitslosigkeit braucht auch der Tod ein Hobby, um sich nicht zu langweilen.»
Die verflachten Hierarchien
Er habe lange über die Frage sinniert, wie ein Totentanz heute auszusehen habe. Dass die einst so wichtige religiöse Komponente wegfallen müsse, sei klar gewesen. «Allerdings versuchte ich zuerst, mit der historischen Paarkonstellation zu arbeiten», erzählt Leiter. Er habe aber schnell gemerkt, dass dies heute weder funktioniere noch spannend zu zeichnen sei: «Durch die Verflachung der Hierarchien in der Gesellschaft sind die Menschen heute nicht erst im Tod gleich. Sie sehen schon im Leben gleich aus: Alle Männer trugen auf meinen Entwürfen einen Anzug.»
Der Tod musste auch deshalb alleine stehen. Sein Desinteresse am Menschen spiegelt sich in seiner Pose, meist kehrt er dem Betrachter den Rücken zu. Nur einmal rennt er, eine weisse Fahne in der Hand, einem sich entfernenden Panzer hinterher, der tiefe Spuren in der Erde hinterlässt. Diese kleine Todesfigur ist die einzige in Leiters Totentanz, die direkt in die Landschaftsszenerie integriert wurde.
Sie ist auch der direkteste Verweis auf die Vergangenheit: Denn das Skelett, dessen Knochen von einem im Wind flatternden Tuch umhüllt sind, ist ein Zitat aus Holbeins Totentanzszene «Der Ackermann». Nur hat sich die Funktion des Todes gewandelt: Während er bei Holbein mit einer Peitsche die Ochsen antreibt, befindet er sich bei Leiter auf einer Friedensmission. Er will seine angedachte Aufgabe zurück – denn ohne sie fehlt seinem Dasein der Sinn.
- Cartoonmuseum, Basel. Die Ausstellung läuft noch bis 17. Juni 2012.
Quellen
Vernissage im Cartoonmuseum am Freitag, 9. März, 18.30 Uhr. Ausstellung: 10. März bis 17. Juni 2012.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 09.03.12