Der Tod wird mit Pesca Frizz vollgespritzt

Die TagesWoche lanciert den «Sommer-Slam», die Serie für heisse Tage. Zum Auftakt hat die preisgekrönte Schweizer Autorin und Poetin Lara Stoll (25) in die Tasten gegriffen. Wie sie die fünf vorgegebenen Begriffe Schneeflocke, Totentanz, Pampelmuse, Vorderradaufhängung und Abferkelstation zusammenführte, das erfahren Sie hier.

Unsere Community lieferte fünf Begriffe, die Lara Stoll in ihre Geschichte einbauen musste: Schneeflocke, Totentanz, Pampelmuse, Vorderradaufhängung und Abferkelstation. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Die TagesWoche lanciert den «Sommer-Slam», die Serie für heisse Tage. Zum Auftakt hat die preisgekrönte Schweizer Autorin und Poetin Lara Stoll (25) in die Tasten gegriffen. Wie sie die fünf vorgegebenen Begriffe Schneeflocke, Totentanz, Pampelmuse, Vorderradaufhängung und Abferkelstation zusammenführte, das erfahren Sie hier.

Der Sommer war da, und darauf hatte der Tod nur gewartet. Dieses Mal würde er ihm nicht entkommen. Er würde den verdammten Sommer ­töten, jawohl. Seit anfangs der 1990er, wo Musik und Mode viel durchmachen mussten, schleicht der Tod im Sommer umher, auf der Suche nach seinem Kern, um diesen zu vernichten.

Der Tod mag es dunkel und modrig, und er hasst Wärme und Kinder in Planschbecken und kurze Hosen und Sonnenbrände, ja die Sonne im All­gemeinen und diese blöden Flipflops, diese blöden Flipflops, «diese blöden Flipflops!», fauchte er vor sich hin, als er mühsam mit schwerem Gange durch den Sand der Badeanstalt Sempach ­watete. «Und dieser blöde Sand!», maulte er.

Ja, der Tod hatte es wirklich nicht einfach, vor allem aufgrund seiner physischen Beschaffenheit, die da lediglich aus Knochen und einem mottenzerfressenen Umhang bestand. Denn eigentlich hatte der Tod ja gar nicht so ein grosses Problem mit dem Sommer, nein, eigentlich war er einfach nur neidisch. Schon oft hatte er heimlich in seinem Hobbykeller versucht, diese Flipflops anzuziehen oder auch mal eine Badehose, ja gar einen Bikini und ein trendiges Tanktop, aber jedes Mal, wenn er sich dann im Spiegel betrachtete, dachte er: «Das sieht bei mir einfach scheisse aus! Dabei ist das doch schon Size Zero!»

Bei der Frisur von Gilbert Gress

Und so zog er den geblümten Stoff­fetzen wieder aus und schwor bei der Frisur von Gilbert Gress, dass er den Sommer dieses Mal töten werde. Als Nächstes sei dann gleich ich an der Reihe, weil ich hier so einen Quatsch über ihn schreibe.

Der Tod war mittlerweile auf einem Open-Air-Gelände angekommen, dieses «Kriegsgebiet» hatte er bis anhin stets gemieden, aber nachdem er dieses ­Jahr nun alle Register ziehen wollte, um den Kern des Sommers zu finden, blieb ihm wohl oder übel nichts ­anderes übrig. Wäre er an einem ­Metal-Festival ge­landet, wäre die Sache wohl halb so schlimm herausgekommen, aber mit schwarzem Umhang am Frauenfelder Open-Air?! Dem bunten Gel-Frisuren-«Jo! Jo!»-Baggy-Pants-Mekka schlecht­hin?

Der Tod musste allerlei über sich ­ergehen lassen: Er wurde von lallenden Meuten herumgeschleudert, als Vorderradaufhängung für ein Bierfass missbraucht, von Meersäuli-fri­surigen Shippi-Prinzen mit Pesca Frizz vollgespritzt, von kreischenden Teenie­hühnern fast taub, von der neuzeitlichen Musik, die aus allen verdammten Bacardi-Domes und Alpenrockhütten dröhnte, fast wahnsinnig, geriet aus Versehen in ein Sangria-Wetttrinken, woraufhin er erst am Morgen wieder in einem Zelt neben einem sehr häss­lichen Weib aufwachte, um seinen Weg fortzusetzen.

Doch als er dann die hübschen Mädchen sah, die den gleichen Bikini ­trugen, wie er ihn im Keller probiert hatte, und das einfach unheimlich gut aussah, da gab es ihm den Rest. Ich habe jetzt ehrlich gesagt Mitleid mit dem Tod, deshalb habe ich als Autorin entschieden, dass der Tod jetzt alles niedermetzeln darf.

Und so metzelte der Tod alles nieder. Er riss das ganze elende Open-Air ­Frauenfeld in den Tod, woraufhin es viele traurige Eltern gab, aber das war dem Tod egal.

Der Tod dachte nach: Wo könnte der Kern des Sommers sich noch befinden? Vielleicht in wärmeren Breitengraden, dort, wo immer Sommer ist. Und so musste der Tod zum Flughafen, wo schon wieder jede Menge Probleme auf ihn warteten. Bei der Passkontrolle dauerte es ewig, dann war sein Handgepäck zu schwer und zu guter Letzt schmeckte auch das lausige Sandwich, das es bei Iberia lediglich gab, nach verfaulter Pampelmuse. «So ein verdammter Quatsch!», fluchte der Tod und ärgerte sich wieder sehr über die Dinge, die ich ihm hier gerade antue, aber das mit der Pampelmuse ist ja nicht auf meinem Mist gewachsen.

«Donde esta el baño Mojito?»

Der Tod landete also in Peru. Er stürmte aus dem Flieger und schrie: «Sommer! Wo bist du!» Ein kleiner eingeschüchterter Peruaner antwortete ihm: «Kinder-Bueno Muchachos, el Caribe donde esta el baño Mojito, hablam Paella singular con Carne.»

Nun, die Autorin, also ich, spricht leider kein Spanisch, deshalb ist das vermutlich ziemlicher Unsinn, was der Peruaner hier rauslässt, doch sinn­gemäss meinte er: «Wir haben hier ­Winter.»

«Aber es fühlt sich doch wie Sommer an, ich sehe keine einzige Schneeflocke!», entgegnete der Tod. «Me ­gusta pollo trabajo Rafael Nadal.» Ja, wir haben wieder dasselbe Sprachproblem. Wir imaginieren jetzt einfach, dass er gesagt hat: «Hier in Lima ist es nun mal immer warm, aber der Sommer kommt erst in einem halben Jahr wieder.» «Ich bin nicht umsonst gekommen!», antwortete der Tod. «Ich werde hier bleiben und auf ihn warten, haha!» – «Abferkelstation», stimmte ihm der Peruaner zu.

Doch nach ein paar Monaten passierte etwas sehr Unerwartetes: Der Tod starb an einem Herzinfarkt. Zu unserem Glück, denn stellen Sie sich nur vor, der Tod hätte sein Ziel erreicht, dann wären wir alle ohne Sommer dagestanden! Ausserdem wäre ich als Nächste dran gewesen, ich hab schon einen Totentanz gesehen, ich musste ihm einfach zuvorkommen!

Ja, und wie das jeweils so ist, wenn man seinen Protagonisten sterben lässt, dann ist die Geschichte meist auch abrupt zu …

Sommerloch? Nicht mit uns! Bis im September veröffentlichen wir jede Woche eine neue Sommergeschichte auf unserer Website. Freuen Sie sich auf ­Beiträge namhafter Poetinnen und Autoren, von Laurin Buser über Hazel Brugger und Matto Kämpf bis Linus Volkmann und Lars Ruppel. Nur eine Regel müssen sie alle einhalten: Fünf Wörter werden ihnen vorgegeben.
Den Auftakt macht Lara Stoll. Die Ostschweizerin wurde 2010 erste Poetry-Slam-Europameisterin. Unsere Leserschaft lieferte fünf Begriffe, die sie einbauen musste. Lara Stoll wiederum hat fünf Begriffe festgelegt, die ihr Nachfolger, Sebastian 23, verwenden muss. Was sich dieser ausgedacht hat, erfahren Sie ab 6. Juli 2012 hier auf unserer Website.

 

 

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 29.06.12

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