Deutschlands letzte wahre Punkband

Die Goldenen Zitronen sind vor 30 Jahren in der Hamburger Hausbesetzerszene entstanden und eine politisch konsequente Band geblieben. Noch immer lautet ihr Fernziel: Freiheit. Am Samstag spielen sie im Hirscheneck Basel.

Unermüdlich: Die Goldenen Zitronen, seit 30 Jahren unterwegs.

Die Goldenen Zitronen sind vor 30 Jahren in der Hamburger Hausbesetzerszene entstanden und eine politisch konsequente Band geblieben. Noch immer lautet ihr Fernziel: Freiheit. Am Samstag spielen sie im Hirscheneck Basel.

In den 1980er-Jahren fand in Hamburg die erste grosse Auseinandersetzung zwischen Behörden und Hausbesetzern statt. Im Zentrum standen zwölf Häuser der Hafenstrasse und eine jahrelange Konfrontation, die von den Lokalmedien als «bürgerkriegsähnlich» beschrieben wurde. Das war vor fast dreissig Jahren. Die Häuser gibt es noch immer, doch ist deren wilde Geschichte heute ins Stadtmarketing eingebaut: die Stadt Hamburg bewirbt sie auf ihrer Tourismusseite als «farbenfrohe Wandbemalungen».

Aus derselben Zeit und derselben Szene stammen die Goldenen Zitronen. Vor dreissig Jahren im Punk-Milieu der Hafenstrasse gegründet, haben sie ebenfalls manchen Wandel verarbeitet. Im Unterschied zu den Häusern der Hafenstrasse, deren Besitzverhältnisse längst zwischen Bewohnern und Stadt vertraglich geregelt sind, haben die Kämpfe, die Kritik und manchmal auch die Nörgeleien der Zitronen nie aufgehört. Zu den grossen Linien der Politik und der Kultur, die regelmässig im Lokalen, in Hamburg, einen Resonanzraum fanden.

Man kann das nachhören auf ihrer aktuellen Platte «Who’s Bad?», ihrer elften, erschienen 2013. Dort findet sich im Song «Echohäuser» ein Echo auf die alten Kämpfe um Freiräume, alternative Wohnkultur und Selbstbestimmung.

 

«Echohäuser» spielt auf die sogenannten Esso-Häuser auf der Hamburger Reeperbahn an, eine legendäre Ecke der «geilen Meile». 2009 wurden die Häuser von einen Immobiliengruppe gekauft, 2013 geräumt, Ende Januar dieses Jahres kam die Abrissgenehmigung. An ihrer Stelle sollen neue Wohnungen gebaut werden. Dazwischen entzündete sich eine heftige Debatte um schützenswerte Bauten, aber auch um die Begleiterscheinungen der Gentrifizierung, die in Hamburgs bekanntesten Stadtteil St. Pauli längst eingezogen ist – weil der «Kultwert» der Marke hohe Bodenpreise verspricht. In einem anderen Song, «Der Investor», heisst es so treffend wie zynisch:

«Hier spricht der Investor
Ihr seid die kreativen Diven
Wir entziffern eure Hieroglyphen
Wir haben auch so unsere Visionen
In denen könnt ihr arbeiten und wohnen
Ihr habt den Stil, wir die Verwertung
Jetzt bitte keine unnötige Verhärtung
Ihr seid eine unschlagbare Marke».

Der Kampf um Freiräume, auch das ist keine Hamburger Exklusivität, wird in der Gegenwart nicht mehr gegen den Ordnungsstaat geführt, sondern gegen die Kapitalisierung kreativen Potentials. Einer der Aktivisten, die sich für den Erhalt der Esso-Häuser eingesetzt hat, war Ted Gaier, der musikalische Kopf der Goldenen Zitronen. 

Deutschlands letzte wahre Punkband im Geist engagiert sich also in Bürgerinitiativen. Allerdings war die Abgrenzung vom Konformismus bereits im Gründungsjahr 1984 Etikette der Band um Ted Gaier und Sänger Schorsch Kamerun. Damals durchbrachen sie den grimmigen Politernst der Punkbewegung mit Blödelpunk, die in der Trinkhymne «Für immer Punk» gipfelte.

 

Damals noch Underground im Underground – und damit Gesinnungsgenossen der ebenfalls noch unbekannten Toten Hosen und die Ärzte, mit denen die Zitronen früher die Bühnen teilten – entwickelte just dieser Funpunk später eine Hallenkompatibilität. Zeit für einen neuen Bruch: Während die Ärzte und die Toten Hosen sich in Richtung Teenagerpublikum verabschiedeten, wurden die Goldenen Zitronen politisch differenzierter. «80 Millionen Hooligans» verortete die Wurzeln des aufkommenden Rechtsradikalismus in Deutschland nach der Wende mitten in der Gesellschaft, anstatt in simpler Punk-Manier auf das antagonistische «Nazischwein» einzudreschen. In «Das bisschen Totschlag» hinterfragten sie bissig die Passivität der Gesellschaft gegenüber rechtsextremer wie staatsmonopoler Gewalt.

Ihr Meisterwerk: «Lenin» (2006)

In denselben Jahren haben sie mit den Platten «Fuck You» und «Punkrock» ihren Sound radikal neu ausgerichtet. Der Gitarrenrock verschwand zugunsten eines Krautrock, der mit analogen Synthesizern genauso viel anzufangen weiss wie mit Freejazz, Elektronik, Hip-Hop. Klimax dieser Entwicklung bildeten die Platten «Schafott zum Fahrstuhl» und vor allem ihr Meisterwerk «Lenin». Erschienen 2006, hielt die Platte schon durch ihren Titel die Idee eines alternativen, visionsreicheren Blicks auf die Welt aufrecht, als posthistorische Narrative sie zu vermitteln mögen. Gleichzeitig mäandert die Musik noch freier, umfliesst Strukturvorgaben noch zügiger, während der schneidende Sprechgesang von Schorsch Kamerun ungebremst auf soziale und politische Wunden drückt. 

Mit «Who’s Bad?» haben die Zitronen eine erneute Kehre vorgenommen. Der Sound ist, wie es der Albumtitel in Gedenken an Michael Jackson verheisst, nahezu funky geworden, gleichzeitig wird die Frage ernst genommen. Der Gegner, nach dem mit «Who’s Bad?» gefahndet wird, denkt nur in Kategorien von Profit, Kontrolle, Macht. Das ist ein weniger antikapitalistischer Gestus, als es klingen mag. «Gebt den Menschen viel mehr Zeit und schenkt ihnen viel mehr Raum», heisst es in «Kaufleute 2.0.1», ein weiteres Schmähstück gegen den Normierungszwang. Zeit zum Denken, Raum zum Leben. Dass die Goldenen Zitronen den Drang zur Autonomie als Ausdruck von Würde erkannt haben, macht sie zur wohl konsequentesten politischen Band Deutschlands. 

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Die Goldenen Zitronen: «Who’s Bad», Buback.
Live: Sa 12.4. Hirscheneck Basel.

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