Piet Mondrian, Barnett Newman und Dan Flavin hatten alle ihre ganz eigene Idee von abstrakter Kunst. Eine Ausstellung im Kunstmuseum Basel schafft ungeahnte Verbindungen.
«Day Before One» heisst ein Gemälde von Barnett Newman aus der Sammlung des Kunstmuseums Basel. Eine hochformatige Leinwand, zum grössten Teil in einem dunklen Blauton bemalt, am oberen Bildrand ein etwas hellerer blauer Streifen, am unteren Rand ein fast weisser Streifen – eine abstrakte Visualisierung des Tages vor dem ersten Tag der Schöpfungsgeschichte. Newman schuf dieses nicht gänzlich monochrome Werk im Jahr 1951, nur wenige Jahre darauf wollte das Kunstmuseum Basel es ankaufen. Doch diese heute so vertraute Kunst vermochte damals nicht alle zu überzeugen, die das Geld für den Kauf hätten sprechen sollen. So bot beispielsweise der Grossrat Leo Lachenmeier, Inhaber eines Malergeschäfts, dem Regierungsrat an, das Gemälde zu einem viel günstigeren Preis nachzumalen.
«Piet Mondrian – Barnett Newman – Dan Flavin», Kunstmuseum Basel, 8. September 2013 bis 19. Januar 2014.
Lachenmeier aber malte das Bild nicht nach. Und der Kanton kaufte das Bild nicht an. Hätte die Schweizerische National-Versicherungs-Gesellschaft nicht 1959 das Gemälde dem Kunstmuseum zum Geschenk gemacht, befände sich dieser Newman heute wohl woanders auf der Welt.
Nun mag man heute über diese Episode schmunzeln, oder die Absicht Leo Lachenmeiers als Ignoranz abtun – tatsächlich aber tut sich die Kunst eines Barnett Newman in ihrer Radikalität auch heute noch schwer. Denn noch immer gibt es genügend Menschen, die Farbpigmente lieber zu Figuren gruppiert sehen oder zu pittoresken Landschaften.
Metaphysische Erfahrung
Newman aber ging es um die Farbe an und für sich. Der Amerikaner (1905–1970) wollte sie von ihrer kompositionellen Unterordnung befreien und zum massgeblichen Ausdrucksträger machen. Die Wahrnehmung sollte unmittelbar sein. Newman zielte damit auf eine metaphysische Erfahrung des Erhabenen, die er 1948 in seinem Manifest «The Sublime Is Now» beschrieb. Darin forderte er von den Malern neue Bilder: «Wir befreien uns selbst von dem Hindernis des Gedächtnisses, der Assoziation, Nostalgie, Legende, des Mythos oder was auch immer die Entwürfe der westeuropäischen Malerei waren. […] Das Bild, das wir hervorbringen, ist das Selbstverständnis einer Offenbarung, real und konkret, ein Bild, das von allen, die es nicht durch die nostalgischen Brillengläser der Geschichte anschauen, verstanden werden kann.» Vom Betrachter wiederum forderte Newman optische Neutralität.
Gänzlich monochrome Werke schuf Newman trotz seiner radikalen Auffassung nie. Stattdessen durchzog er seine Werke mit horizontalen oder meist vertikalen Streifen, die er «zips» nannte. In der Ausstellung im Kunstmuseum Basel nimmt Newman räumlich gesehen die zentrale Position ein: Die drei Räume, in denen seine Arbeiten präsentiert sind, werden flankiert von den Werken von Piet Mondrian (1872–1944) und Dan Flavin (1933–1996). Auch zeitlich gesehen steht Newman in der Mitte zwischen den beiden Künstlerkollegen. Hat man sich Mondrians Bilder angesehen, bevor man sich Newmans Werken nähert, so wird man überrascht feststellen, dass die Streifen, die man auf den ersten Blick als Verbindung zwischen den beiden Künstlern sehen könnte, eine komplett andere Funktion einnehmen.
Bei Mondrian fungieren die schwarzen Linien als strukturgebende Elemente, bei Newman hingegen wirken sie in unterschiedlichen Farbtönen rhythmisierend. Auch verzichtet Newman auf ihre exakte Ausführung: Nicht selten franst die Farbe zur benachbarten Fläche hin aus oder sie ist absichtlich ausufernd aufgetragen.
Makellos sinnlich
Über Mondrians Kunst urteilte Newman einst programmatisch, sie versetze einen mittels einer repräsentativen Darstellung der mathematischen Äquivalente der Natur in eine makellos sinnliche Welt. Ein grösseres Kompliment konnte man von Newman wohl nicht erhalten. Mondrians Gemälde erscheinen heute noch asketischer als die Gemälde des Amerikaners. Mit ihnen beginnt die Ausstellung im Kunstmuseum, und im Gegensatz zu Newmans grossformatigen Bildern, die man gerne eins nach dem anderen ausführlich betrachtet, ist man geneigt, die kleinformatigeren Bilder des Niederländers im Vorbeigehen mitzunehmen – nur weil so viele davon an einer einzigen Wand hängen.
Kurator Bernhard Mendes Bürgi hat sich in der Auswahl auf jene Werke Mondrians beschränkt, die sich durch die Verwendung der drei Primärfarben Rot, Gelb und Blau sowie der Nicht-Farben Schwarz und Weiss auszeichnen. Nur wenige Arbeiten zeigen in der chronologischen Abfolge Mondrians Weg zu dieser radikalen Abstraktion auf.
Verzicht auf Farbe als Material
Den Schluss dieser Ausstellung, die in Einzelpräsentationen das Werk von Künstlern dreier Generationen zeigt, die sich auf ganz unterschiedliche Weise der Abstraktion verschrieben haben, macht Dan Flavin. Der Amerikaner verzichtete in den frühern 1960er-Jahren gänzlich auf Malerei und Skulptur. Das Kunstmuseum zeigt fünf charakteristische Werke aus Leuchtstoffröhren – beziehungsweise sechs, wenn man die dauerhafte Installation im Kunstmuseums-Innenhof dazu zählt.
In einer Epoche, die gar den Tod der Malerei erklärte, spielte Flavin trotzdem auf die alten Heroen der abstrakten Malerei an. Barnett Newman darf da nicht fehlen, und tut es auch in dieser Präsentation nicht: «Untitled (to Barnett Newman) four» aus dem Jahr 1971, ein Werk aus horizontal und vertikal angebrachten Röhren in den Primärfarben Rot, Gelb und Blau, eröffnet die auf zwei Räume beschränkte Flavin-Schau.
Doch auch wenn die drei hier vorgestellten Künstler selbst aufeinander Bezug nahmen und auch das Konzept des Kurators, deren Radikalität als verbindendes Element zu sehen, verständlich ist: Man hat hier doch eindeutig drei Einzelausstellungen vor Augen – und das auf relativ kleinem Raum. Um den einzelnen Künstlern gerecht zu werden, wünschte man sich eine noch etwas grössere Werkauswahl.