Die dunkle Seite der Seide

Hannes Nüsseler hat vor dem Hintergrund der frühen Basler Textilindustrie eine packende Graphic Novel geschaffen.

Basel vor 200 Jahren – aus der Sicht eines Comiczeichners. (Bild: © Hannes Nüsseler/Edition Moderne)

Hannes Nüsseler hat vor dem Hintergrund der frühen Basler Textilindustrie eine packende Graphic Novel geschaffen.

Er handelt mit Zucker, Tabak, Tee – und vor allem mit Seide, dieser Monsieur Blanc. Ein reicher Basler Bürger, ein gieriger auch: beteiligt er sich doch finanziell an dubiosen Korsarenschiffen und schlägt aus Schmuggel Profit. Insbesondere Stoffe für Texti­lien und Ornamente, mit denen sich die gut betuchten Europäer gerne schmücken, sind ein einträgliches Geschäft.

Dass Blanc damit einen Handelsboykott von Kaiser Napoleon Bonaparte umgeht, ist den Franzosen ein Dorn im Auge. Sie schicken einen Gesandten aus Paris nach Basel, der unter falschem Vorwand die Bücher prüfen und Beweise sammeln soll. Der Gesandte, ein namenloser (Anti-)Held, stösst dabei auf ein dunkles Geheimnis: Draus­sen vor der Stadt offenbart sich ihm die finstere Seite hinter dem Erfolg der Basler Textilindustrie. Denn Blanc versucht den Willen der Baselbieter Bauern, die für ihn an den Webstühlen schuften, mit dem Einsatz neuer elektrischer Technologie zu brechen.

Ob Unternehmer Blanc sein dunkles Geheimnis und damit auch sein Gesicht wahren kann? Antworten gibt «Das Seidenband», eine Graphic Novel, die soeben erschienen ist.

Spätes Debüt als Comiczeichner

Autor des 110-seitigen Comicbuchs ist Hannes Nüsseler. Man kennt seinen Namen aus Radio und Print. Seit Jahren verfasst er Filmkritiken für die BaZ und für Radio DRS. Dass er auch zeichnen kann – und das sehr gut –, wusste man bisher nicht. Konnte man gar nicht wissen. Denn Nüsseler wagt erst jetzt, mit 39 Jahren, den Schritt an die Öffentlichkeit.

Die Idee für sein Comic-Debüt reifte lange. Als Teenager verschlang er die Bände von Franquin und – vor allem – Hergé. Diese Leidenschaft führte Nüsseler zum Zeichenstift. Zugleich erkannte er in den Büchern von «Tim und Struppi», wie man einen Leser auf falsche Fährten führt und die Spannung aufrechterhält.

Nach der Matur in Muttenz studierte er an der Uni Basel Geschichte und englische Literatur. Dieses Wissen und diese Interessen kommen in «Das Seidenband» ebenso deutlich zum Tragen wie seine Liebe zum Film: Kein Zufall, dass er seine dramatische Geschichte in ein historisches Setting eingebaut und mit mehreren Rück­blenden und Nebenaspekten ausgeschmückt hat. Von der Erzählweise ist es eine Comic-Matrjoschka, die Nüsseler da geschaffen hat. Und ein Drama mit Sinn für Action, enthält das twistreiche Ende doch auch einen kleinen Kung-Fu-Showdown. «Einen Showdown mit einem Ausgang, wie ich ihn mir in manchen Hollywood-Filmen wünschte», sagt Nüsseler.

Kein Heimatroman

Den Entschluss, all seine Leidenschaften zu vereinen, fasste er vor vier Jahren. Er entwickelte ein Storyboard, zeichnete neun Monate lang Skizzen und Dialoge auf Zetteln, entwarf so Handlungsstränge und Bilder. «Ich wusste, dass ich akribisch vorgehen musste, damit die Idee jemals über den Projektstatus hinauskommen würde.»

Zu dieser Zeit fanden in China die Olympischen Spiele statt, und die Finanzkrise bahnte sich an. Beides Aspekte, die Nüsseler in der Rahmenhandlung aufgegriffen und elegant mit der Vergangenheit verwoben hat. Nicht die Seide dient ihm dabei als roter Faden, sondern die Finanzwirtschaft.

«Man vergisst gerne, dass Basel lange vor der Pharma im globalen Handelsmarkt mitmischte, mit Textilien reich wurde und mit Krediten und Geldgeschäften den Reichtum vermehrte», sagt Nüsseler. Diesen Wandel deutet er an, indem er seinen fiktiven Unternehmer Blanc (ein Hugenotte wie die Sarasins) ausführen lässt: «Kleider kommen und gehen wie die Jahreszeiten. Das Einzige, was nicht aus der Mode kommt, ist das Geld. Deshalb sollten wir uns künftig verstärkt als ­Financiers betätigen: Handelshäuser unterstützen, Fabriken …» Nüsseler erinnert auch daran, dass die städ­tischen Zünfte mechanische Webarbeiten nicht duldeten und diese ins ärmliche Baselbiet verlagerten. «Heute würde man von Outsourcing reden.»

Überregionales Interesse

Bei aller historischer Unterfütterung: Einen Heimatroman wollte Nüsseler vermeiden. Er hat zwar bei seinen Recherchen auch die Kupferstiche von Emanuel Büchel aus dem 18. Jahrhundert angeschaut, aber bewusst darauf verzichtet, Wahrzeichen wie das Münster plakativ in Szene zu setzen. «Die Geschichte habe ich in Basel angesiedelt, weil ich hier lebe, diese Region kenne – aber die Authentizität sollte nicht die Geschichte in den Hintergrund drängen», sagt er.

Dass der schwarz-weiss gezeichnete Roman ein überregionales Publikum ansprechen könnte, zeigt der erste Erfolg, den Nüsseler verbucht hat: Sein Manuskript überzeugte einen Zürcher – David Basler vom grössten Schweizer Comic-Verlag Edition Moderne. «Es war erst das zweite Mal in unserer dreissigjährigen Geschichte, dass wir ein fertiges Manuskript druckreif vorgelegt bekommen haben», sagt dieser.

Der Verleger hat «Das Seidenband» im Januar ans internationale Comic-Festival Angoulême, das wichtigste seiner Art, mitgenommen. «Zwei, drei französische Verlage haben sich interessiert gezeigt», erzählt er. Eine Übersetzung wäre Gold wert, ist Frankreich und Belgien doch auch Jahrzehnte nach Hergé noch immer der grösste Markt für Graphic Novels.
Wie Seide wäre das der Stoff, aus dem die Träume sind …

Hannes Nüsseler: «Das Seidenband», Edition Moderne, Zürich, 2012.
Vernissage: Sa, 10. März, 14–17 Uhr, Comix Shop, Basel.

 

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 02.03.12

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