Der Bochumer Slam-Poet Sebastian 23 hat sich von Slam-Kollege Andy Strauss aus Münster gewünscht, dass er folgende fünf Begriffe in seinen Slam einbaut: «Nacktbadestrand, Entenmensch, Klavier, Himbeere, DJ Bobo» – Herausgekommen ist ein Text, in dem er beschreibt, «wie mich DJ Bobo zum Entenmenschen machte». Hier ist sein Sommertext für die TagesWoche: «Die Eht»
Als Redakteur des weltweit führenden Abenteuermagazins Gational Neografic habe ich mich während meiner Karriere schon vielen Gefahren stellen müssen. So bestieg ich beispielsweise nur im String Tanga den Mount Everest, fütterte weisse Löwen mit Pandabärwelpen und überquerte eine viel befahrene Strasse in Schanghai.
All diese schrecklichen Erlebnisse, bei denen ich dem Tod oft näher war als ein Wachkomapatient, waren jedoch ein Witz gemessen an den Strapazen, denen ich mich für die Recherche zu meinem letzten Artikel aussetzte. Zwei Tage lang sollte ich DJ Bobo in seinem normalen Alltag begleiten – und ich schwöre, weder die Einsamkeit der Kalahari noch die Stürme des Bermuda-Dreiecks haben mich jemals dem Wahnsinn und der Körperlosigkeit so nahe bringen können.
Ich traf den Überflieger der Neunziger in seinem Geburtsdorf, dem verschlafenen Kölliken, wo meine Anwesenheit die Besiedlungsdichte ad hoc um dreissig Prozent anhob. Es war um die Mittagszeit und die Sonne liess die Luft über dem Asphalt flirren, sodass die Landschaft vor hitzebedingten Trugbildern nur so vor sich hin halluzinierte. Und da die Klimaanlage meines Volkswagens nicht existierte, freute ich mich über den kühlen Wind, der mir aus der Kaschemme, die Bobo als Treffpunkt gewählt hatte, entgegenwehte.
Bobo selbst bemerkte mein Eintreten nicht. Er sass in einer kargen Ecke des Raumes auf dem Boden und war konzentrierten Blickes damit beschäftigt, eine riesige Himbeere auf einem Silbertablett zu sezieren.
Wie ein Aspirin im Atlantik
«Herr Bobo?», fragte ich sanft in seine Richtung, nachdem ich mich ihm auf einen halben Meter genähert hatte. Wie ein verschrecktes Reh blickte er zu mir auf, dann kniff er die Augen zusammen und sonorte: «Celebrate the Himbeere! Respect yourself! There’s a party in the middle of the Himbeere!»
Was er sagte, war sehr rhythmisch und wirkte auf mich umgehend wie ein perfekt komponierter Sommerhit. Unweigerlich begannen meine Beine zu wippen und ich musste ein paar vereinzelte Tanzschritte unternehmen. Mein Vorhaben, journalistische Distanz zu wahren und Objektivität walten zu lassen, zersprudelte wie ein Aspirin Complex im Atlantischen Ozean – das verdammte Genie hatte mich umgehend geknackt.
«Ah! Somebody to dance with me!», freute sich der junggebliebene Mann, stellte sich neben mich und machte einige Breakdance-Bewegungen, deren Ausführungen von einer solch filigranen Brillanz waren, dass es mich bis ins Mark erschütterte.
Dann reichte er mir seine Hand zur Begrüssung. «Sie sind Herr Strauss, oder?», fragte er. Ich nickte demütig. «Das geht so aber nicht, muss ich leider zu bedenken geben», sagte er dann.
Gerade als meine Gedanken darüber, was so leider nicht ginge, in Schwung geraten wollten, hob er wieder an: «Sie können nicht Strauss heissen, das sollte everybody klar sein. Ein Strauss, das ist ein grosser Vogel, ein Lauftier, ein Steppenwesen! Das ist doch ästhetisch gar nicht Ihre Liga! Los, put your Hands in the Air und akzeptiere diesen Namen, den ich für dich ersonnen habe: Fortan sollst du heissen: Entenmensch! Denn schau: Eine Ente lebt im Wasser, und ein Mensch lebt an Land! Jeder Name braucht einen Widerspruch, denn schau: Ein DJ lebt in der Disco und ein Bobo im Wald! Das ist ein Widerspruch! Das ist Ästhetik! Das ist Freedom, der Price von Love, Praise!»
Bobo griff nach dem grössten Stück der Himbeere, die er in sechs Teile zerlegt hatte, und schrieb mit Saft seinen Namen an die Raufasertapete, als wäre sie eine Tafel und er ein Lehrer. Dann buchstabierte er seinen Namen, ein Name «wie das Land, aus dem ich komme, ein hohes Dee, wie ein Berg so hoch, dann ein flaches Jott, flach, die Frauen am Nacktbadestrand des Rheins, dann wieder Beh, so hoch, ein Berg, dann Oh, ein Tal, ja tief, ein Tal, dann wieder Berg und wieder Tal!»
In blindem Eifer malte er saftige Berge und Täler an die Tapete, dass es ein Fest für Fruchtfliegen war. Da ich mit solchen Anfällen gerechnet hatte, griff ich nach dem Ätherfläschchen, schüttete etwas der Flüssigkeit in ein Tuch und hielt es dem Ausnahmekünstler unter die Nase. Anstatt aber umgehend einzuschlafen, schien das Betäubungsmittel eine aufputschende Wirkung auf ihn zu haben.
Er griff nach einer Wassermelone und fertigte daraus, unter Zuhilfenahme eines Löffels, eine Büste von Scooter-Sänger HP Baxxter, dann stellte er sie auf den Boden und trat mit voller Wucht dagegen. Umherfliegende rote Melonenstücke bedeckten alles wie auseinandergestobene Gehirnteile. «How much der Fish ist, willst du wissen?», brüllte Bobo und hüpfte auf den Melonenbrocken herum. «So much ist the Fish! Man bringe mir ein Klavier!»
Zwei Leibwächter, die sich versteckt hinter den Vorhängen aufgehalten hatten, kamen hervor, jeder von ihnen trug ein Klavier unter seinem Arm. Ein Klavier war weiss, das andere schwarz, die Leibwächter hatten die jeweils andere Farbe und keine Schuhe an.
Wie ein menschlicher Bleistift
Dann begann er zu komponieren. Nicht nur für sein DJ-Bobo-Soloprojekt, sondern auch für seine Metalband Children of Bobom und seine Reggaeband Bobo Marley. Mich benutzte er dabei als Stift. Wenn er einen guten Notenlauf gefunden hatte, fasste er mich am Oberkörper und schrieb mit meinen Schuhsohlen auf ausgerollte Tapeten am Boden.
Als meine Schuhsohlen aufgebraucht waren, schrieb er erst mit der Hornhaut meiner Füsse weiter und kurz darauf mit dem Blut, das aus meinen Füssen lief. Als er von mir abliess, war ich bis zur Hüfte als menschlicher Bleistift aufgebraucht. Natürlich finde ich es doof, keinen Unterleib und keine Beine mehr zu haben, aber immerhin habe ich so 34 Kilo in drei Stunden abgenommen.
Bis im September veröffentlichen wir jeden Freitag eine Sommergeschichte auf unserer Website. Bisher erschienen Beiträge von Lara Stoll (Winterthur) und Sebastian 23 (Bochum). Andy Strauss aus Münster, «Enfant terrible» der Poetry-Slam-Szene kam als Dritter an die Reihe. Für seinen Nachfolger hat Strauss die fünf Begriffe
– Futterkrippe
– Butterlippe
– Stottersippe
– Buddelschippe
– Busenwunder
festgelegt. Laurin Buser hat eine Woche Zeit, daraus einen Sommertext zu basteln. Wie der Basler Poet diese Aufgabe löst, das erfahren Sie ab dem 20. Juli 2012 online.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 13.07.12