Die Empfindung einer Linie

Das Kunstmuseum Basel wagt sich in einer kleinen Kupferstichkabinett-Ausstellung an Kasimir Malewitsch. Keine einfache Ausstellung und gar nichts für Leute, die keine Kunsttheorien mögen.

Auch das berühmte Quadrat kommt darin vor, als Nullpunkt allen künstlerischen Seins. (Bild: Keystone / Georgios Kefalas)

Das Kunstmuseum Basel wagt sich in einer kleinen Kupferstichkabinett-Ausstellung an Kasimir Malewitsch. Keine einfache Ausstellung und gar nichts für Leute, die keine Kunsttheorien mögen.

Wer Kasimir Malewitsch hört, denkt an ein schwarzes Quadrat. Kaum ein Künstler wird derart auf ein einzelnes Werk reduziert wie der Russe.

Das Quadrat, das 1915 entstand und genau betrachtet eigentlich ein Viereck ist, bedeutete allerdings nur den Anfang für eine ganze Kunstrichtung – manche sagen gar eine Kunstphilosophie –, die Malewitsch Suprematismus taufte. Dieser sollte im radikalen Abschwören jeglicher Gegenständlichkeit die Kunstwelt revolutionieren. Man solle sich das Quadrat schwebend vorstellen, meinte der Künstler. Dann lässt es sich drehen, wodurch ein Kreis entsteht, oder man teilt es und erhält rechteckige Formen. So leitete Malewitsch unterschiedliche Elemente her, aus denen Bilder komponiert werden konnten.

Seine Theorie des Suprematismus publizierte Malewitsch 1927 im Bauhaus-Verlag unter dem Titel «Die Welt als Ungegenständlichkeit». Das Kupferstichkabinett des Basler Kunstmuseums besitzt Zeichnungen, die als Vorlagen für dieses Buch dienten, und die es nun erstmals seit langem wieder zeigt, in einer kleinen, feinen Ausstellung, die allerdings wenig Platz für Sinnlichkeit bietet.

Komplexe Empfindung

Das «Schwarze Quadrat auf weissem Grund» sei die reine «Empfindung der Gegenstandslosigkeit», beschrieb Malewitsch einst sein Werk. Tatsächlich ist dieses Empfinden für Malewitsch sehr wichtig – die Theorie dahinter aber sehr komplex, was im Kunstmuseum bald klar wird. Der Blick schweift über zahlreiche Bleistift-Studien, deren Inhalt sich selten leicht erschliesst. Sogar, wenn man die Theorie in ihren Ansätzen kennt.

Die Ausstellung versucht eingangs mit wenigen Werken, die vor 1915 entstanden, aufzuzeigen, wie Malewitsch durch das Ausprobieren unterschiedlicher Stilrichtungen vom Spätimpressionismus über den Futurismus zur Einsicht gelangte, dass er für sich selbst etwas völlig Neues erfinden müsste. Mit der Kunst, die es gab, konnte er nichts anfangen, sie funktionierte für ihn nicht. Kunst müsse frei von Zweck sein, beschloss er schliesslich, und aus diesem Grund wolle er künftig auf jegliche gegenständliche Form verzichten.

Als Konsequenz entwickelte er den suprematistischen Weltentwurf, in dem nichts als die Empfindung herrscht. Bald analysierte er die Werke anderer Künstler und Kunstrichtungen, um den aus dem Quadrat abgeleiteten Ur-Suprematismus mit künstlerischen Zusatzelementen anzureichern: Cézanne und der Kubismus taten es ihm besonders an. Diese Elemente – kleine Stäbchen, eine sichelartige Form, eine gebogene Linie – verglich er mit Bakterien: Faktoren, die dazu führen, dass die Wirklichkeit sich zum Kunstwerk verändert. Fast wie ein Naturwissenschaftler ging der Russe an die Materie ran und kreierte so seine ganz eigene Welt, in der man sich als Aussenstehender nicht auf Anhieb zurecht findet. Es gestaltet sich auch anhand der Ausstellung im Kunstmuseum nicht einfach, sie nachzuvollziehen.

Flug in die Unendlichkeit

Die Kunst in Malewitschs Welt entsteht – so sachlich sie in ihrer Darstellungsweise auch daherkommt – aus der reinen Empfindung heraus. Es handelt sich um eine Welt jenseits der sichtbaren Dinge. Vereinfacht gesagt: Es geht ihm beispielsweise nicht um die Darstellung eines Flugzeuges, sondern um die Darstellung der Empfindung des Fluges.

Das Beispiel ist indes nicht nur zufällig gewählt, denn der Flug war für Malewitsch ein zentrales Bildmotiv. Durch ihn offenbart sich im Herunterschauen der Blick auf die Gegenständlichkeit, auf die reale Welt. Die Kunst soll diesen Blick öffnen. «Schwebt! Die freie weisse Unergründlichkeit, die Unendlichkeit liegt vor Euch!», rief Malewitsch an der Eröffnung einer Ausstellung im Jahr 1919. Am besten gelingt dies aus dem Weltall, und so erstaunt es nicht, dass auch dieses Eingang in Malewitschs Motivkanon gefunden hat, ebenso wie magnetische Strömungen oder die Empfindung jeglicher Schwingungen.

Ein Gefühl darstellen zu wollen ist wohl das Schwierigste, was ein Künstler sich aufbürden kann. Es wie im Falle von Malewitsch mit abstrakten, geometrischen und kalt wirkenden Formen zu versuchen, das verlangt vom Betrachter einiges ab. Nicht jedem wird es gelingen, diese zwei Pole miteinander in Einklang zu bringen. Den Versuch aber ist es wert.

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Kasimir Malewitsch – Die Welt als Ungegenständlichkeit. Kunstmuseum Basel, bis 22. Juni 2014. Zur Ausstellung erschien ein Katalog, der eine Neuübersetzung der illustrierten Schrift Malewitschs beinhaltet.

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