Die Fotografin, die für ihre Ausstellung auf den Grund des Rheins getaucht ist

Pharmaindustrie und ein verseuchter Fluss: Die russische Fotografin Marina Pinsky hat Basel eine Ausstellung auf den Leib geschneidert. Zu sehen ist diese in der Kunsthalle.

Finde den Fisch: Marina Pinskys Fotografie with a twist.

(Bild: Philipp Hänger)

Pharmaindustrie und ein verseuchter Fluss: Die russische Fotografin Marina Pinsky hat Basel eine Ausstellung auf den Leib geschneidert. Zu sehen ist diese in der Kunsthalle.

«Was erwarten wir heute von der Fotografie?» Der erste Satz im Artforum-Artikel über die russische Künstlerin Marina Pinsky klingt wie eine Kunststudentenaufgabe: Und jetzt bitte alle ihre Nan Goldin-Elogen auspacken und darüber sinnieren, wie Fotografie Schnittstellen zwischen Leben, leben lassen und Leben inszenieren beackert. 

Gott sei dank kommts ganz anders, denn Marina Pinsky bewegt sich über die bekannten Fotografie-Plattitüden hinaus – in die Skulptur hinein. Der Artikel redet von «homologen Formen sozialer Machtstrukturen» und einer Objekt-Bild-Spannung, die sich Pinsky in ihrem Werk zunutze macht, indem sie Fotografie verdreidimensionalisiert. Schon klar: Super angestrengt. Aber genau das ist die in Brüssel wohnhafte Russin eben nicht. Bester aktueller Beweis: Die Ausstellung in der Kunsthalle Basel.

Die Künstlerin als Entdeckungsreisende

Bereits bei ihrem Antritt vor rund einem Jahr hatte Kunsthalle-Direktorin Elena Filipovic Marina Pinsky auf dem Radar – «in einem Jahr machen wir eine Ausstellung mit dir», meinte sie damals zur Künstlerin. Filipovic bewies einen guten Riecher: 2015 waren von Marina Pinsky Werke in Los Angeles, Paris, an der Biennale in Lyon und im Museum of Modern Art zu sehen, die Galeristen horchten auf, die Presse zog nach. Und Pinsky? Die bereitete sich auf die Einzelausstellung in Basel vor. Immer wieder besuchte sie Basel, als Touristin, als Künstlerin, als Entdeckungsreisende. Die junge Russin (sie hat Jahrgang 1986) ist ein «explorer», anders lässt sich die Mischung von Erkundungsfreude, Erkenntnisdrang und Pioniergeist, mit der sie sich in Themen reinkniet, nicht beschreiben.

Da war sie nun also, the explorer, und verbrachte Tage in Basler Museen, im Staatsarchiv, auf dem Novartis-Campus (wo man nicht fotografieren darf), hinter dicken Büchern und auf dem Grund des Rheins, wo sie Fotos von der Unterwasserwelt knipste. Erst immerzu braune Aufnahmen mit undeutlichen Motiven, bis ihr jemand den Rat gab, es doch frühmorgens zu versuchen, wenn noch kaum jemand baden war. Die Resultate ihrer Forschungstage nahm sie zurück in ihr Wohnatelier im marokkanischen Viertel von Brüssel und verarbeitete sie weiter, zu objekthaften Werken: überdimensionale Pillenverpackungen, mehrschichtige Fotografien und abstrahierte Blumen-Bausätze.



Ja, auch das ist Fotografie.

Ja, auch das ist Fotografie. (Bild: Philipp Hänger )

Entstanden ist eine Ausstellung mit dem Titel «Dyed Channel», zu deutsch «Gefärbter Kanal» – sie erinnert an den Sandoz-Grossbrand, der 1986 dafür sorgte, dass 20 Tonnen hochgiftige Pestizide und 150 Kilogramm Quecksilber zusammen mit dem Löschwasser in den Rhein gerieten und ihn für kurze Zeit rot färbten. Aber auch an die zahlreichen Färbereien, die sich im 19. Jahrhundert um den Rhein niederliessen und aus denen die grossen Chemiekonzerne entstanden. 

Der Titel passt: Pinskys Werke setzen sich subtil mit der Stadt Basel auseinander. Die riesigen Tablettenpackungen sind mit handgefertigten Pillen aus Keramik gefüllt, auf denen Reliefs aus der Basler Pharma-Industrie zu sehen sind. Hinter den Packungen verbergen sich wie ein Schattenbild Aufnahmen einer verlassenen Pharma-Fabrik in Brüssel. Über die Fotografien aus dem Rhein legte sie eine separate Glasscheibe mit aufgedruckten Fisch-Illustrationen aus dem Naturhistorischen Museum.



Hinter den Pillenpackungen verstecken sich Aufnahmen der Kehrseite von Pharma-Industrien.

Hinter den Pillenpackungen verstecken sich Aufnahmen der Kehrseite von Pharma-Industrien. (Bild: Philipp Hänger)

Wie ihr Titel zieht sich auch die Ausstellung wie eine leichte Färbung über Basels Grundstruktur, eine unterschwellige Tönung dessen, wie wir diese Stadt wahrnehmen. Eine poetische Pinskysierung Basels, wenn man so will. Mit dabei immer die Fotografie, als prägender Bestandteil oder Ausgangslage der Arbeiten, manchmal mehr, manchmal weniger explizit, und im letzten Saal als Krönung: Die Unterseite einer fluguntauglichen Concorde, Stück für Stück abfotografiert und als Ganzes an der Decke in Originalgrösse wieder zusammengeführt. 

Die Künstlerin ist für die Arbeit auf einem Brett unter das Flugzeug gerollt und hat im Takt auf den Auslöser gedrückt. Sie beantwortet damit für uns die Artforum-Frage, ganz simpel, ohne das ganze Homologe-Formen-Bla: Wir erwarten, dass sich jemand an Orte begibt, wo wir nicht hin können und sich an eine Ausführung traut, die wir so noch nie gesehen haben. Wir erwarten Marina Pinsky.

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Marina Pinsky «Dyed Channel», Kunsthalle Basel, 22. Januar bis 10. April 2016.
Gespräch Marina Pinsky mit Kunsthistoriker Arthur MacGregor: 1. März 2016, weitere Infos in Kürze auf der Webseite der Kunsthalle Basel.

 

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