Die frappierende Vielfalt der Moderne

Das Kunstmuseum Basel hat 70 Meisterwerke der Moderne vom geschlossenen Hauptbau ins Museum für Gegenwartskunst gezügelt. Die panoramaartige Überblicksschau zeigt auf verblüffende Weise, auf welch unterschiedlichen Wegen sich die Malerei in der Moderne entwickelt hat.

Die Entdeckung der Abstraktion mit Kandisky und die figürlichen Zeitgenossen (Chagall und Léger). (Bild: Dominique Spirgi)

Das Kunstmuseum Basel hat 70 Meisterwerke der Moderne vom geschlossenen Hauptbau ins Museum für Gegenwartskunst gezügelt. Die panoramaartige Überblicksschau zeigt auf verblüffende Weise, auf welch unterschiedlichen Wegen sich die Malerei in der Moderne entwickelt hat.

1914 vollzog Wassily Kandinsky unter anderem mit seiner «Improvisation 35» einen entscheidenden Schritt in die abstrakte Malerei. Im letzten Werk seiner «Improvisations»-Reihe sind die einzelnen figürlichen Elemente kaum mehr als solche erkennbar. Zur selben Zeit schuf Marc Chagall seinen poetisch-expressiven «Viehhändler», der noch ganz und gar der figürlichen Malerei verpflichtet war.

In der Ausstellung «Cézanne bis Richter – Meisterwerke aus dem Kunstmuseum Basel» hängen diese beiden hochkarätigen Werke nebeneinander, was einem, obschon beide Künstler aus dem russischen Zarenreich stammten, im ersten Moment mehr als eine Art Gegeneinander als ein Neben- oder Miteinander vorkommt.



Auffällige Konntraste: Kirchners «Amselfluh» zwischen Oskar Schlemmers «Frauentreppe» und Emil Noldes «Blaue Iris», alle zwischen 1915 und 1925 entstanden

Auffällige Konntraste: Kirchners «Amselfluh» zwischen Oskar Schlemmers «Frauentreppe» und Emil Noldes «Blaue Iris», alle zwischen 1915 und 1925 entstanden (Bild: Dominique Spirgi)

Im Hauptbau des Kunstmuseums mied man solche Kontraste, die im grossen Oberlichtsaal des Museums für Gegenwartskunst nun betont werden. So kämpft Ernst Ludwig Kirchners grell rosa- und lilafarbene «Amselfluh» geradezu mit Oskar Schlemmers in erdigen Farbtönen gemalten Bildskulpturen in «Frauentreppe» und Emil Noldes beinahe schon düsterem Blumenfeld mit dem Titel «Blaue Iris», alle zwischen 1915 und 1925 entstanden.

«Die Gleichzeitigkeit des Anderen»

Die Zusammenstellung der Werke ist auf geradezu radikale Weise undidaktisch, was gleichzeitig aber einen ausgesprochen aufschlussreichen Blick auf die heterogene Entwicklung der Moderne in der Malerei erlaubt. Sie fokussiert sich nicht auf einzelne Kunstströmungen, zeigt also zum Beispiel nicht das Miteinander des Kubismus von Picasso, Bracque und Juan Gris, wie man sich das in sonst in Sammlungspräsentationen gewohnt ist, sondern führt «die Gleichzeitigkeit des Anderen» vor, wie dies in der Begleitpublikation zur Ausstellung beschrieben ist.



Drei unterschiedliche Naturbilder: André Derains «Les vignes au printemps» zwischen Henri Matisses «La Berge» und Henri Rousseaus «Forêt vierge au soleil couchant», entstanden zwischen 1904 und 1910

Drei unterschiedliche Naturbilder: André Derains «Les vignes au printemps» zwischen Henri Matisses «La Berge» und Henri Rousseaus «Forêt vierge au soleil couchant», entstanden zwischen 1904 und 1910 (Bild: Dominique Spirgi)

Die Ausstellung präsentiert mit herausragenden Einzelwerken einen panoramaartigen Überblick über die wesentlichen künstlerischen Entwicklungen in der europäischen Malerei vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis in die 1970er-Jahre. Das Nebeneinander von abstrakter, konstruktiver, expressionistischer, impressionistischer, surrealistischer Kunst, von grossen und kleinen Bildern hat aber auch etwas Verwirrendes. So wild zusammengewürfelt wirken die Meisterwerke im voluminösen Oberlichtsaal entblösst.

«Die Hängung war eine echte Herausforderung», sagte Kunstmuseumsdirektor Bernhard Mendes Bürgi, der die Ausstellung kuratiert hat. Die Beschäftigung mit den Meisterwerken sei auch ein Genuss gewesen, insbesondere auch auf Grund der Tatsache, «dass sich das Gros der Werke unwiderruflich in unserem Besitz befindet», wie Bürgi mit einem Seitenblick auf die abgezogenen Leihgaben aus der Sammlung Staechelin sagte.

Mehr Ruhe bei den älteren Werken

Den älteren Werken der Sammlungspräsentation, die mit Cézanne beginnt und über die Impressionisten sowie van Gogh zu den Schweizer Künstlern des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert führt, ist mehr Ruhe gegönnt. Im Zentrum dieses Teils der Ausstellung im Altbau des Museums steht Cézannes meisterhaftes Frühwerk «Cinq baigneuses», das, anders als im grossen Oberlichtsaal, keinem grossen Kontrast ausgesetzt ist, sondern von zwei Landschaftsbildern desselben Malers flankiert wird.



Drei Selbtsporträts in unterschiedlichen Stilen: Vizent van Gogh, Arnold Böcklin und Ferdinand Hodler, gemalt zwischen 1887 und 1912

Drei Selbtsporträts in unterschiedlichen Stilen: Vizent van Gogh, Arnold Böcklin und Ferdinand Hodler, gemalt zwischen 1887 und 1912 (Bild: Dominique Spirgi)

Aber auch hier zeigt eine Dreiergruppe von Werken, wie unterschiedlich verschiedene Künstler um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert ihre Werke auf die Leinwand gebracht haben. Zu sehen sind drei Selbstporträts von van Gogh, Böcklin und Hodler. Während van Gogh sein Selbstporträt im Stil eines japanischen Drucks verfremdet, präsentiert sich Böcklin in der selbstbewussten Pose des Grosskünstlers und Hodler als mürrische Figur, die mit weit aufgerissenen Augen in einen Spiegel zu starren scheint.

Übergangsausstellung

Bürgi bezeichnete die Sammlungspräsentation als Übergangsausstellung für auswärtige Besucher, die so trotz der vorübergehenden Schliessung des Hauptbaus nicht auf eine Auswahl von repräsentativen Werken verzichten müssen. Aber auch als Chance für «Habitués», die im Museum für Gegenwartskunst nun neue Zusammenhänge in der Moderne entdecken können.

Vor dem Hintergrund des vieldiskutierten und -beschriebenen Abzugs der Leihgaben aus der Sammlung Staechelin kann das Kunstmuseum darüber hinaus den Beweis antreten, dass es auch in der eigenen Sammlung über viele hochkarätige Meisterwerke verfügt. Es sind Werke, die in Basel bleiben werden, und an die man sich deshalb nicht erst dann erinnern muss, wenn sie dem Museum entzogen werden.


«Cézanne bis Richter – Meisterwerke aus dem Kunstmuseum Basel», bis 21. Februar 2016 im Museum für Gegenwartskunst. Freier Eintritt bis Ende Jahr.

 

 

 

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