«Die Gewalt spielt sich im Kopf ab»

«Morning», die aktuelle Produktion des Jungen Theaters Basel, wirft kritische Fragen auf. Leiter Uwe Heinrich nimmt Stellung zur Gewaltdarstellung im Stück.

Gewalt im Kopf – und auf der Theaterbühne: Mörderin Stephanie (Tabea Buser, Mitte) in «Morning». (Bild: Uwe Heinrich)

«Morning», die aktuelle Produktion des Jungen Theaters Basel, wirft kritische Fragen auf. Leiter Uwe Heinrich nimmt Stellung zur Gewaltdarstellung im Stück.

Mit der Aussicht auf Sex zu dritt bringen Stephanie und Cat den gleichaltrigen Stephen, Stephanies Freund, dazu, sich von ihnen fesseln zu lassen. Doch statt des angekündigten flotten Dreiers verfolgen die zwei Freundinnen lachend die zunehmend verzweifelten Befreiungsversuche ihres Opfers – bis ihm Stephanie schliesslich den Schädel einschlägt.

Die Schlüsselszene aus «Morning», der neuen Produktion des Jungen Theaters Basel, sorgt seit der Premiere vom vorletzten Samstag für Diskussionen: Ist die Darstellung eines solchen ­Gewaltakts im Jungen Theater noch verhältnismässig, oder hat Regisseur Sebastian Nübling mit der Insze­nierung des Stücks aus der Feder des Briten Simon Stephens die Schmerz­grenze überschritten?

Kalkulierter Tabubruch?

«Wie viel inszenatorisches Kalkül steckt in derartigen Tabubrüchen? Zelebrieren und zementieren solche Inszenierungen nicht selbst gerade das Klischee einer verlorenen Generation und präsentieren damit implizit ein gefährliches Zerrbild der ‹heutigen Jugend›?», fragte die TagesWoche in ihrer Rezension – und: «Sind der theaterpädagogischen Jugendarbeit keinerlei Grenzen gesetzt?»

Uwe Heinrich zeigt sich als Leiter des Jungen Theaters von dieser Kritik überrascht: Zwar sei die Produktion unbestritten «schwere Kost», gehe aber weder im Plot noch in der Inszenierung über frühere Arbeiten – wie etwa «Reiher» und «Punk Rock», zwei ebenfalls von Sebastian Nübling am Jungen Theater inszenierte Stephens-Stücke – hinaus: «Für mich liegt der Fokus des Stücks nicht auf dem Akt selbst, sondern auf dem Leid und den inneren Konflikten der Protagonisten, also auf der psychologischen Ebene. Die gezeigte Gewalt ist ausserdem nicht speziell explizit, sie spielt sich vorwiegend im Kopf der Zuschauer ab.» Grenzen oder gar Tabus würden für ihn in der Aufführung nicht überschritten.

Ursache und Wirkung verdreht

Heinrich stösst sich insbesondere an zwei Aspekten der Kritik: Zunächst an der Vermischung der beiden Schwerpunkte des Jungen Theaters, profes­sionelle Inszenierungen und Theater­pädagogik. Bei Letzterem stünde die Vermittlung von Theater als Kulturform im Vordergrund, die Kurse würden Teilnehmern die Gelegenheit bieten, sich in einem «betreuten und geschützten Rahmen» schauspielerisch zu betätigen. Ob ein Jugendlicher später zur Mitarbeit in einer der Profi-Produktionen eingeladen werde, entscheide sich erst nach sorgfältiger Abklärung.

In diesem Fall würden die Jungdarsteller intensiv auf ihre Rolle vorbereitet und begleitet. Es seien ihm seit seinem Antritt keine Fälle bekannt, wo Mitwirkende mit dem Stück überfordert gewesen wären oder sich das Engagement negativ ausgewirkt habe – im Gegenteil: «Die Jugendlichen sammeln hier wichtige Erfahrungen, und zwar nicht für eine allfällige Theaterkarriere, die wir nicht aktiv fördern, sondern fürs Leben.»

Der zweite Aspekt betreffe die «Übersprungshandlung», das Theater für die Thematisierung gesellschaft­licher Probleme zu kriti­sieren, was Ursache und Wirkung verdrehe. «Theater, gerade junges Theater, muss solche Themen aufgreifen, sonst verliert es seine Relevanz – dazu gehört, an Grenzen zu gehen und im Zuschauer nicht nur positive Gefühle auszulösen.»

Keinesfalls könne man dem Jungen Theater Basel dabei aber Kalkül vorwerfen – denn der Betrieb profitiere nicht von einem kritischen öffentlichen Echo oder gar «Skandal»: «Ein Grossteil unserer Besucher sind Schulklassen. Deren Lehrer wiederum sind sehr vorsichtig, wie viel sie ­ihren Schülern zumuten können.» Habe eine Inszenierung den Ruf, Tabus zu brechen oder Grenzen zu verletzen, spüre man dies in der Auslastung, «und zwar negativ». Das Junge Theater zeige Stoffe, die Probleme wie Gewalt behandeln, dennoch immer wieder, «aus Überzeugung, dass es sinnvoll und notwendig ist, sich damit auseinanderzusetzen – nicht weil, sondern obwohl sie ein solches Echo auslösen könnten». 

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 08.02.13

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