Im «Kunstbetrieb» in Münchenstein werden seit sechs Jahren kleine und grosse Kunstwerke produziert.
Von der Strasse her kommend muss man schon ein wenig suchen. Auf dem Walzwerkareal in Münchenstein herumirren, am Fitnessstudio vorbei, bei der «Fahrbar» in ihrem alten Eisenbahnwaggon rechts abbiegen. Nach ein paar Metern steht man rech-terhand vor einem blauen Rollladen, der eine alte Fabrikhalle verschliesst. Darüber ein Wort, gelb auf blauem Grund: Kunstbetrieb.
Seit sechs Jahren ist die Produktionsstätte für Gegenwartskunst hier eingenistet. Tritt man ein, steht man mittendrin im Schaffen. Rechts und links Stapel von Modellen aus Gips, Kunststoff und anderen Materialien. Fünf Leute sind in dieser Halle gerade bei der Arbeit, sie giessen unter anderem Beinformen aus Wachs. Das Wachs wird später in Keramik gepackt und im Trocknungsofen aus der feuerfesten Form wieder herausgeschmolzen. In die Keramikform wird dann die heisse Bronze für die finale Plastik gegossen.
Der Kunstguss macht nur einen Teil der Arbeit im «Kunstbetrieb» aus. Denn nur eine Kunstgiesserei zu sein, das war den Betreibern von Anfang an zu wenig – auch wenn der Betrieb 2006 von zwei Kunstgiessern, Michèle Elsener und Martin Hansen, zusammen mit der Kunsthistorikerin und Kuratorin Annina Zimmermann gegründet wurde. Die Produktion sollte vielfältiger sein, verschiedene Medien umfassen.
In der Regel sind es Künstler, die dem «Kunstbetrieb» Aufträge erteilen. Aufträge für Arbeiten, die ihre eigenen Möglichkeiten übersteigen. Weil das handwerkliche Können oder technische Wissen fehlt. Weil das Atelier zu klein ist. Oder weil die Anschaffung einer Ausrüstung keinen Sinn macht. Welcher Bildhauer kann sich schon einen Gussofen zur Anfertigung einer Bronzeplastik leisten? Oder einen 3D-Drucker?
Vielfältige Biografien
«Die Vielfalt der Aufträge hängt mit den heutigen Künstlerbiografien zusammen», meint Zimmermann. «Manchmal bringt uns ein Künstler ganz klassisch einen Gips, den wir in Bronze abgiessen. Beispielsweise Rudolf Blättler. Er schaut dann auch ganz genau hin, ist als Bildhauer in seinem Material richtig zu Hause, so dass wir auch von ihm lernen.» Viele Künstlerinnen und Künstler aber konzentrieren sich heute eher auf die historische oder soziale Recherche eines Kontextes, das Konzept und die Inszenierung ihrer Arbeiten, weiss Zimmermann: «Manche bringen uns nur eine Zeichnung oder ein Bild aus dem Internet. Für sie ist das Material sekundär und kann auch immer wieder wechseln.»
Regionale Aufträge machen knapp einen Fünftel des Betriebsumsatzes aus. Von Pedro Wirz sehen wir bei unserem Besuch gerade unfertige Skulpturen, auf dem Dach ist ein weisser Pilz von Monica Studer und Christoph van den Berg befestigt, in einem Regal sehen wir ein kleines Modell von Michael Grosserts bunter Plastik «Lieudit», die unter dem Heuwaageviadukt steht und voriges Jahr im «Kunstbetrieb» restauriert wurde. Produktionsrelikte, die noch sichtbar sind – im Gegensatz zu den fertigen Werken, von denen nach Abschluss der Arbeit kaum eines mehr seinen Weg ins Walzwerk findet.
Doch auch nationale Grössen zählen auf das Know-how des «Kunstbetriebs». Gleich eines der ersten Werke, die hier hergestellt wurden, war eine Assemblage aus rund 70 Kunststoff-Figuren für das Künstlerduo Gerda Steiner und Jörg Lenzlinger, die 2003 die Schweiz an der Biennale in Venedig vertreten haben. Auch Urs Fischer, der in New York lebende Zürcher, der gegenwärtig zu den wichtigsten Kunstexporten der Schweiz zählt, lässt in diesen Hallen immer wieder Werke realisieren. Bei unserem Besuch werden gerade ein paar Leuchter und ein Aluminium-Bett nach seinem Entwurf zusammengeschweisst. Vier solcher Betten wird es insgesamt geben – das Erste steht bereits in der Ausstellung «Deftig barock», die noch bis zum 2. September im Kunsthaus Zürich zu sehen ist.
Am Beispiel von Fischers «Soft bed» kann der Produktionsablauf eines Werkes, das hier hergestellt wird, exemplarisch erklärt werden. Fischer lieferte die Grundidee und den Prototypen. Davon wurde im «Kunstbetrieb» aus weichem Kunststoff eine Kopie hergestellt und der Künstler reiste an, um es in die definitive Form zu bringen. Abgegossen in Aluminium, verschiffte man das originalgrosse Bett für den Anstrich nach New York zu einem spezialisierten Spritzlackierer, von wo es fixfertig wieder zurück in die Schweiz kam.
Stete Vergrösserung
Nicht immer aber haben die Werke, die im «Kunstbetrieb» hergestellt werden, derlei Dimensionen. «Wir stellen auch ganz kleine Werke her. Was wir machen können, hängt auch vom Budget des jeweiligen Künstlers ab», erzählt Annina Zimmermann, die hauptsächlich für die Administration des «Kunstbetriebs» zuständig ist. Als sie sich zusammen mit Elsener und Hansen 2006 auf dem Walzwerk einmietete, verfügte der «Kunstbetrieb» über nur eine Halle. Vor zwei Jahren konnte eine zweite, grössere Halle hinzugemietet werden.
1500 Quadratmeter Fläche standen schliesslich zur Verfügung, und endlich war genug Platz für die Gussöfen und die verschiedenen anderen Arbeitsbereiche. Vorher hatten die Arbeitsplätze ständig umgebaut werden müssen, und gekocht wurde auch noch an einer Küchenzeile, die die Wand der Arbeitshalle säumte. «Sehr unpraktisch war das», erinnert sich Zimmermann.
Parallel zum Wachstum der Arbeitsfläche stieg auch die Zahl der Mitarbeitenden stetig. 22 Angestellte zählt der «Kunstbetrieb» inzwischen, von den Kunstgiessern über Modellbauer, Steinbildhauer, Schreiner, Metallbauer bis hin zu einer Restauratorin und einer Tierpräparatorin – alles solide Handwerker mit viel Experimentierfreude. Ein Glasbläser teilt als Untermieter die Infrastruktur.
Elsener und Hansen kannten sich von der Kunstgiesserei St. Gallen her. Sie suchten eine berufliche Veränderung, wenn auch keinen Wechsel des Berufs. «Ich wollte weiter mit zeitgenössischer Kunst zu tun haben», sagt Hansen. «Und die Produktion ist der beste Teil der Kunst.» Sich selbstständig zu machen lag auf der Hand. Auch für Annina Zimmermann bestand das Interesse bei der Betriebsgründung vor allem darin, am Entwicklungsprozess von Kunstwerken beteiligt zu sein.
Weltweite Partner
Auf dem Walzwerkareal fand man den idealen Standort. «Die Leute von Kantensprung, die das Areal entwickeln, achteten von Anfang an auf eine gute Durchmischung der Mieterschaft», sagt Zimmermann. «Man findet hier kulturelle Projekte ebenso wie soziale und auch gute Handwerker.» So hat der «Kunstbetrieb» einen Metallbauer und einen Schreiner in unmittelbarer Nachbarschaft, eine ideale Kombination.
Partner sind für den «Kunstbetrieb» sehr wichtig. «Es gibt gerade im digitalen Bereich so viele nützliche Techniken, dass wir oft mit vielen anderen Firmen zusammenarbeiten: 3D-Drucken, Laserschneiden, Fräsen, Wasserstrahlen – heute muss man sehr vernetzt denken und nicht alles selber anbieten wollen. Und als Firma kann man mit solchen Partnern oft langfristigere Beziehungen aufbauen als ein einzelner Künstler.»
Das Netzwerk reicht bis nach China, wo der «Kunstbetrieb» Werke herstellen lässt, die in der Schweiz schlicht nicht zu bezahlen wären. Die Freiheitsstatue des dänisch-vietnamesischen Künstlers Danh Vo gehört dazu. In Originalgrösse lässt er die Statuen nachbilden. 31 Tonnen Kupfer sind dafür nötig, und auch unzählige Arbeitsstunden, da das Material von Hand in die richtige Form geschlagen wird. Ein beinahe wahnwitziges Unterfangen.
Durchschnittlich wird im «Kunstbetrieb» an rund 70 Produktionen gleichzeitig gearbeitet. Was daran liegt, dass die meisten Werke nicht in kurzer Zeit erledigt sind. Vom ersten Kontakt bis zum fertigen Produkt dauert es meist mehrere Monate, manchmal sogar Jahre, etwa im Fall von Vos Freiheitsstatue.
Eine dritte Halle
Bei den Kunstgüssen bietet es sich zudem an, gleich eine Edition von mehreren Stücken anzufertigen, damit sich die Abgussformen rentieren. Im «Kunstbetrieb» wird denn auch nichts weggeworfen, was wieder gebraucht werden könnte. Und so wächst das Lager täglich. Deshalb ist Annina Zimmermann auch sehr froh, dass man nun, als Geschenk zum 6. Geburtstag sozusagen, eine dritte Halle hinzumieten konnte. Die Fläche des «Kunstbetriebs» wächst so auf rund 2500 Quadratmeter an. «Wichtiger, als räumlich zu wachsen allerdings ist uns, immer besser zu werden», betont Zimmermann.
Wie die anderen beiden Hallen auch ist die dritte Halle durch einen Gang mit dem Rest verbunden. Die beiden grossen Hallen umschliessen einen kleinen Innenhof, in dem auch mal eine kleine Pause drinliegt. Vor zwei Jahren hat der «Kunstbetrieb» sich eine Küche angeschafft, eine Restaurantküche, «auf Ricardo ersteigert», wie Zimmermann erzählt. Diese Küche blickt nun ebenfalls auf den Innenhof. «Es ist schöner geworden, hier zu arbeiten.»
Die neue Halle wird nun vor allem im Bereich der Lagerung Verbesserungen bringen. «Fürs Arbeiten ist sie leider nur bedingt geeignet», erzählt Zimmermann, «weil sie nicht isoliert ist. Heizen kann man sie nicht, und im Sommer ist es zu heiss.» Trotzdem soll ein Teil der Fläche zeitweise Künstlern zur Verfügung gestellt werden, denen ihr Atelier für eine grossformatige Arbeit zu klein ist. Zudem wurde ein kleinerer, klimatisierter Raum in eine Ecke der Halle eingebaut, in der die fertigen Kunstwerke gelagert werden, bis sie abgeholt werden. Ein Stapel Holzboxen findet sich gerade darin, die meisten mit den Namen Andro Wekua und den Titeln der Kunstwerke versehen.
Wie andere Künstler auch lässt Wekua immer wieder Werke vom «Kunstbetrieb» anfertigen. «Eine Kontinuität in der Arbeit mit Kunstschaffenden ist uns wichtig», sagt Zimmermann. «Denn je besser man jemanden und sein Werk kennt, desto besser gelingt die Zusammenarbeit und damit das Werk.» Trotzdem kommen laufend neue Kunden dazu, es mangelt nicht an Aufträgen, und so gelingt es sogar, nebenbei ein paar Franken zu sparen, die sich dann investieren lassen. In die Infrastruktur, für eine Erdgasleitung beispielsweise, welche die Heizung der Gussöfen gewährleistet. Oder für lärmdämmende Türen. Nach und nach kommt so einiges hinzu. Für Verbesserungen gibt es in diesen alten Hallen immer wieder Bedarf.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 17.08.12