Es muss nicht immer Helvetica sein. Der letzte Woche verstorbene Typograf Adrian Frutiger entwarf in den 1950er-Jahren eine Schrift, die mindestens genauso viel kann, wenn nicht sogar noch mehr: die Frutiger.
«Schau mal, so tänzelt sie luftig übers Blatt, und so …» – zwei Mausklicks – «… steht sie selbstbewusst, aber etwas schwer in der Landschaft.» Ich schaute angestrengt auf den Bildschirm und schwieg ratlos. Meine Freundin atmete geräuschvoll aus. Wir sassen am Layout meiner Abschlussarbeit und sie, von Beruf Gestalterin, war entschlossen, mich in die wundervolle Welt der Serifen (bei uns Schriftdilettanten auch als «Füsschen» bekannt) und Flattersätze einzuführen. Die Arme. Für mich verhielt es sich mit Schriften nämlich wie mit Neugeborenen: sehen alle gleich aus.
«Ich weiss nicht, Schrift ist Schrift», murmelte ich. Meine Freundin schaute mich entgeistert an. «Schrift ist überhaupt nicht Schrift! Schrift verleiht einem Text Leben, sie macht einen wesentlichen Teil seines Charakters aus.» – «Wie du meinst», sagte ich und liess mich halbherzig auf einen Marathon an Diskussionen ein, bei denen es im Endeffekt immer um die Frage ging: Wie soll sich mein Text anfühlen?
Nein, das ist nicht Helvetica.
«Unaufdringlich, aber brillant, mit dem gewissen Etwas!», meinte ich schliesslich etwas ironisch und – zack – stand eine Schrift bereit: die Frutiger. In den 1950er-Jahren vom letzte Woche verstorbenen Schweizer Typografen Adrian Frutiger entworfen, stand sie stets etwas im Schatten der glorreichen Helvetica, die dieses Jahr 55 wird. Dabei ist die Frutiger genau das Richtige für edgy Minimalisten: neutral und zurückhaltend, aber mit kleinen pfiffigen Brüchen, die eine harmonische Balance zwischen Perfektion und Störfaktor herstellen. (Ich klinge wie ein Schriftromantiker der ersten Stunde. Aber auch hier passt die Baby-Analogie: Die Faszination kommt mit der Auseinandersetzung.)
«Typografie bringt Ordnung in die Welt», sagte der niederländische Grafiker Wim Crouwel einst und bringt damit meine Begeisterung für Frutiger auf den Punkt: Frutiger ist wertfrei, sie überlässt die Bedeutung dem Text, ist aber gleichzeitig einzigartig und aussagekräftig.
Es gibt kein Leben ohne Helvetica
Das sieht seit rund zehn Jahren auch der Rest der Schweiz so, im wahrsten Sinne des Wortes: Die Frutiger ist seit 2003 die Schrift der Schweizer Verkehrsschilder. Auch im Logo der Uni Zürich ist sie vertreten, bei flickr, auf den Euro-Banknoten und in diversen Flughäfen. Dass sie stets mit der grossen Helvetica mithalten konnte, die besonders in Amerika noch präsenter ist als McDonald’s (zu sehen am Versuch des Grafikers Cyrus Highsmith, der einen Tag lang ohne Helvetica auszukommen versuchte und kläglich scheiterte – die Schrift war auf den kleinen Waschanleitungen in seinen Hemden, auf seiner Fernsehbedienung, in der «New York Times», auf den Dollarscheinen, in der U-Bahn und auf seiner Kreditkarte), ist eine beachtliche Leistung.
Am Ende entschied ich mich dann doch nicht für die Frutiger, sondern für Akzidenz Grotesk. Die Gründe dafür waren weder Serifen noch Balance: Der Name gefiel mir einfach so gut. Schrift ist nicht Schrift. Aber Schriftdilettant bleibt Schriftdilettant.