Die Kunstmuseen begegnen der Messe-Konkurrenz mit Erhabenem und subversiver Antikunst

Tillmans, Freundlich, Cézanne und Delvoye: Die Fondation Beyeler zeigt einen Liebling des Kunstmarkts, das Kunstmuseum Basel präsentiert würdevolle Werkschauen der Moderne und das Museum Tinguely eröffnet eine subversive Antikunst-Schau.

Werk und Haut verkauft: «Tim» von Wim Delvoye.

Tillmans, Freundlich, Cézanne und Delvoye: Die Fondation Beyeler zeigt einen Liebling des Kunstmarkts, das Kunstmuseum Basel präsentiert würdevolle Werkschauen der Moderne und das Museum Tinguely eröffnet in der Art-Woche eine subversive Antikunst-Schau.

Da kommt wirklich Scheisse raus! «Cloaca» nennt der belgische Künstler Wim Delvoye seine Werkgruppe, deren Einzelstücke auf den ersten Blick so gar nicht nach Kunst aussehen. Auf den zweiten auch nicht, aber irgendwann begreift man, was diese Maschinen tun, die wie moderne Laborgeräte aussehen. Und das kann man denn als Kunst oder als Kunstaktion begreifen, wenn man will. Oder als subversive Antikunst.



Das, was auch der menschliche Verdauungsapparat ausstösst.

Ja, das ist das, was auch der menschliche Verdauungsapparat ausstösst. (Bild: Dominique Spirgi)

Die «Cloaca» sind Verdauungsmaschinen. Das heisst: Man füttert sie – beim konkreten Beispiel «Cloaca Quattro» mit Teigwaren, Gurken, Brot und Wasser – und dann beginnen sie, diese Speisen zu verdauen. Bis schliesslich das herauskommt, was auch bei der menschlichen Verdauung als Abfallprodukt entsteht. Etwas grau-gelblich liegt der Kot, durch einen Eisen-After hinausgepresst, auf einem Silbertablett. Und ja. Es stinkt ein bisschen.

Die «Cloaca» sind aber nur ein Teil des sehr vielfältigen Konvoluts des Künstlers, welches das Museum Tinguely zeigt. Eines aber gilt übergreifend: der schalkhafte Kommentar zum Mensch-Maschine-Prinzip, zu Kirche und Religion, zur Globalisierung und nicht zuletzt auch zum Kunstmarkt.



Wim Delvoye vor seiner verdauenden und sch... «Cloaca Quattro».

Wim Delvoye vor seiner verdauenden und sch… «Cloaca Quattro». (Bild: Dominique Spirgi)

Ein verkauftes Tattoo

Wim Delvoye ist ein schelmischer Künstler. Und ein ausgesprochen subversiver dazu. Im Museum hat er eine kleine Kathedrale aufgebaut, mit vielen Jesusfiguren am Kreuz, die zu einer langen Spirale zusammengedreht sind. In den Kirchenfenstern sind unter anderem Skelette beim Cunnilingus zu entdecken. In einem anderen Saal trifft man auf Baumaschinen und Werkzeug, aus edlem Holz nachgebildet und mit filigranen Ornamenten versehen.

Und der Gipfel der Subversion: In der Barca, also dem rheinseitig angehängten Aufgang zum ersten Stock, präsentiert ein junger Mann auf einem Sockel sitzend sein prächtiges Rücken-Tattoo, das Delvoye entworfen hat. Ein lebendiger Kunstrahmen also. So weit, so ungewöhnlich. Aber es kommt noch deftiger: Das Werk beziehungsweise die Haut ist verkauft. An einen deutschen Kunstsammler, der nun über mehrere Wochen im Jahr über den Kunstträger verfügen darf.

Kinderzeichnungen

Die Retrospektive zu Wim Delvoye amüsiert, verstört und macht letztlich auch nachdenklich. So muss gute Kunst oder Antikunst sein. Die Schau im Museum Tinguely sollte man keineswegs verpassen.

Werke von Delvoye werden an der Art von sechs Galerien angeboten.

Gehen wir nun ein paar Hundert Schritte weiter ins Kunstmuseum. Wie schafft man eine inhaltliche Brücke von der subversiven zur erhabenen Schau? Ganz leicht. Als «Early Works» der Jahre 1968 bis 1971 präsentiert Delvoye (Jahrgang 1965) mehrere Dutzend seiner eigenen Kinderzeichnungen. Und Kinderzeichnungen sind auch im Kunstmuseum Basel zu sehen. In einem Skizzenbuch des grossen Altmeisters der Moderne, Paul Cézanne, der einige Seiten aus einem seiner Büchlein von seinem Sohn Paul gestalten liess.



Cézannes' Sohn Paul als Harlekin.

Cézannes Sohn Paul als Harlekin. (Bild: Kunstmuseum Basel, Martin P. Bühler)

Wie Cézanne arbeitete

«Der verborgene Cézanne» heisst die Ausstellung im Kunstmuseum. Zu sehen sind in der schönen Schau über 200 Werke des Künstlers. Die allermeisten sind Skizzen und Zeichnungen, von denen das Basler Kupferstichkabinett die weltweit umfangreichste und bedeutendste Sammlung besitzt.

Gezeigt werden aber auch einige seiner berühmten Gemälde mit den Badenden oder Landschaften. Man bekommt als Besucher also die einmalige Gelegenheit, einen lehrreichen und faszinierenden Einblick in den Schaffensprozess des grossen Künstlers zu erhalten.

Einen Cézanne gibt es an der Art nicht zu kaufen – zumindest ist im Katalog keiner aufgeführt.

Das Ur-Feinbild der Nazis

Cézanne blieb als einer der Urväter der Moderne in seinem Werk stets figurativ. Anders der Deutsche Otto Freundlich, der sich viele Jahre später der Abstraktion hingab. Als deutscher Jude und Kommunist lebte er aber zu spät. Oder zu früh. Die Nazis machten erst seiner Kunst den Garaus, dann brachten sie ihn um, nachdem er in seinem Versteck in den Pyrenäen denunziert worden war.

Viele seiner Werke sind verschollen oder zerstört worden. So will es die Ironie des Schicksals, dass sein bekanntestes Werk nur noch als schreckliches Sinnbild existiert. Es handelt sich um einen grossen Steinkopf, den die Nazis als Beispiel für das Undeutsche und Jüdische auf das Titelblatt des «Ausstellungsführers» zur Schau «Entartete Kunst» hievten.



Otto Freundlich: «Sphärischer Körper».

Otto Freundlich: «Sphärischer Körper». (Bild: Rheinisches Bildarchiv Köln)

Der Ausstellung mit dem Titel «Otto Freundlich – Kosmischer Kommunismus» kommt nun der Verdienst zu, uns einen noch zu wenig bekannten Vertreter der Klassischen Moderne näherzubringen. Freundlichs Werk mündete nach den expressionistischen Anfängen bald mal in abstrakten und vielfarbige Kompositionen, die er mit Öl auf Leinwand, mit Pastellstiften, als Glasbilder oder als Mosaike verewigte.

Fördererin aus Basel

Das Kunstmuseum Basel besitzt selber zwei Werke von Otto Freundlich, die bis heute aber kaum je ausgestellt wurden. Dabei hatte Freundlich zu seinen Lebzeiten einen mehr oder weniger direkten, aber wichtigen Bezug zu Basel. Der alles andere als wohlhabende Künstler hatte hier nämlich eine Fördererin, die ihn immer wieder finanziell unterstützte. Es handelt sich um die Lehrerin Hedwig Muschg, eine Halbschwester des Literaten Adolf Muschg.

Dass es sich bei Freundlich um alles andere als einen zu übersehenden Künstler handelt, zeigt nicht nur das jetzt ausgestellte und im umfassenden Katalog wissenschaftlich aufgearbeitete Werk, sondern auch die Liste der Museen, von denen die Leihgaben stammen. Unter anderen sind das das Museum of Modern Art in New York und das Centre Pompidou in Paris.

Die Geschichte, wie eines von Freundlichs Werken in die nationale Kunstsammlung Frankreichs gelangte, zeigt auch, wie sehr sein Werk von seinen berühmten Zeitgenossen geschätzt wurde. Es wurde nämlich durch eine Sammlung von Künstlerkollegen (von Hans Arp bis Pablo Picasso) angekauft und dem Museum Jeu de Paume in Paris geschenkt.

Der Sammelaufruf und die Unterschriften der berühmten Geldgeber (samt den Beträgen ihrer Gaben) sind an der schönen Sonderausstellung ebenso zu sehen wie Dokumente des schrecklichen propagandistischen Missbrauchs durch die Nazis.

Ein Werk von Otto Freundlich wird an der Art von einer Galerie angeboten.

Der Liebling des Kunstmarkts

Bleibt noch die Fondation Beyeler. Sie präsentiert eine Werkschau eines der aktuellen Lieblinge des Kunstmarkts: Wolfgang Tillmans. Die Ausstellung zeigt 200 fotografische Arbeiten von 1986 bis 2017, darunter Beispiele seiner berühmten Porträts, aber auch spannende Arbeiten, welche die Grenzen zum Abstrakten überschreiten.



Wolfgang Tillmans: «Lutz & Alex on beach».

Wolfgang Tillmans: «Lutz & Alex on beach». (Bild: Courtesy Galerie Buchholz, Berlin/Cologne, Maureen Paley, London, David Zwirner, New York )

Tillmans Werke werden an der Art von sechs Galerien angeboten.

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