Die Lady in Black betört live noch immer

In den 80er-Jahren war Suzanne Vega die Vorbotin des Akustik-Revivals. Auch 30 Jahre später berührt sie noch immer mit ihrer zarten, kühlen Stimme. Am «Stimmen»-Festival gab sie ein berührendes, intensives Duo-Konzert mit ihrem Gitarristen Gerry Leonard.

Ein lebendiger Dialog mit viel Gefühl: Suzanne Vega und ihr Gitarrist Gerry Leonard am «Stimmen»-Festival. 

(Bild: Juri Junkov)

In den 80er-Jahren war Suzanne Vega die Vorbotin des Akustik-Revivals. Auch 30 Jahre später berührt sie noch immer mit ihrer zarten, kühlen Stimme. Am «Stimmen»-Festival gab sie ein berührendes, intensives Duo-Konzert mit ihrem Gitarristen Gerry Leonard.

Wenn man wie ich zu jung war, um die glorreiche Popmusik der Siebziger bewusst mitzuerleben, hatte man in der Pubertät die frühen Achtziger auf den Ohren. Der Fluch der späten Geburt bescherte dem Aufwachsenden die ach so aufmüpfige Neue Deutsche Welle, die gar nicht romantischen New Romantics von der Insel, nervtötende Regentropfen-Effekte aus Keyboards und Peitschenschläge von Elektro-Drums.

Doch eines Tages im Jahre 1985 stand im Plattenladen ein Albumcover, von dem mit glasigem Blick eine Frau im schwarzen Blazer schaute.

Vorbotin des Akustik-Revivals

Und was aus den Rillen tönte, war eine kleine Offenbarung inmitten all der anderen überdrehten Sounds. In der feinen Poesie rebellierte ein kriegsmüder Soldat gegen die Königin, schaute Marlene Dietrich mit spöttischen Blick von der Wand und die Songwriterin selbst verwandelte sich in eine kleine blaue Murmel. Das alles zu einem akustischen Gewebe, in dem sich die Band dezent unterordnete. Suzanne Vega wurde mit ihrer zarten und kühlen Stimme zur Vorbotin des weiblichen Akustik-Revivals.

Die Pionierin von einst ist gerade 57 geworden und blickt auf eine wechselvolle Karriere zurück: Ausflüge in den Dance-Bereich, Kollaborationen mit dem Komponisten Philip Glass, mit Joe Jackson und Bill Frisell flankieren ihren Weg, parallel dazu veröffentlichte sie Gedichte, spielte als erste Popkünstlerin in der virtuellen Internetwelt Second Life und hat nun auch ein Theaterstück geschrieben. Vor ein paar Jahren nahm sie ausserdem ihren Songkatalog neu auf, wieder intim und akustisch. Wie hört sich die Neo-Folkerin der ersten Stunde nach all diesen Abzweigungen heute an?

Reliefstarke Werkschau

Bei ihrem Auftritt in Lörrach – wetterbedingt vom Rosenfelspark in den Burghof verlegt – braucht Vega gerade mal ihren langjährigen Gitarrenpartner Gerry Leonard für eine berührende, spannende und reliefstarke Werkschau aus vorwiegend frühen und neuen Songs.

Kaum verändert hat sie sich: immer noch die kurzen roten Haare, der leicht glasige Blick und der schwarze Blazer. «Ich trage nie Weiss», singt sie in einem von trotzigen Riffs getriebenen Song, weil sie immer wieder erklären muss, warum Schwarz ihre Farbe ist: «Schwarz ist für Geheimnisse, Outlaws, Tänzer und die Dichter der Dunkelheit.»

In der 90-minütigen Show hört man kaum Wandlungen zu einst heraus. Ihre Stimme ist mit dem so eigentümlich klaren, unaffektierten, fast starren Timbre eine grandiose Projektionsfläche für Bilder und Gefühle.

Diese sind immer am stärksten, wenn es um die Dinge zwischen Himmel und Erde geht: Etwa, wenn sie in «Crack In the Wall» die überraschenden Übergänge von der materiellen in die spirituelle Welt besingt, oder in «Jacob & The Angel» den nächtlichen Kampf mit Dämonen. Da zeigen sich auch die fast orchestralen Qualitäten von Leonard: Er baut ganze Klangkathedralen aus unauffällig geloopten Rhythmen, Flageolettkaskaden und zart verzerrten Melodien mit sphärisch nachschwingenden Tönen.

Die Jeanne d’Arc des Neofolk

Immer wieder lebt die Show vom Dialog der beiden: Kühl und klar in der Miniatur «Small Blue Thing», mit Sinnlichkeit aufgeladen in «Caramel», wenn die E-Gitarre Latino-Rhythmik zaubert. Und in «Tom‘s Diner» zeichnet Leonard sogar die Dancefloor-Textur der britischen Combo DNA nach, die Vegas A cappella-Reime zum Dancefloor-Hit machte. Tatsächlich nutzt die Protagonistin da in Tanzlaune auch die ganze Bühne.

Ihrem Nimbus als Jeanne d‘Arc des Neo-Folk wird Suzanne Vega aber auch ohne Strom-Mätzchen mehrmals gerecht: Plötzlich steht sie allein im Scheinwerferkegel und singt «Gipsy», ihr jugendliches Liebesständchen an den Engländer, der Leonard Cohen in jeder Gemütslage hören konnte. Ganz akustisch entrollt sie auch ihre epische Ballade von «The Queen And The Soldier», eine immer noch erschütternde Parabel über den Sieg der Macht über die Menschlichkeit: am Ende rollt der Kopf des Kriegsverweigerers.

Ein Walzer für eine Schweizer Geliebte

Letztlich lebt dieser intensive Zweiergipfel auf der Bühne auch von ganz dezenter Theaterpose. Als sie ihren ersten Hit «Marlene On The Wall» anstimmt, klappt sie einen Zylinder auf und schon steckt sie in der Haut der Dietrich. Und um die amerikanische Schriftstellerin Carson McCullers zu verkörpern, steckt sie sich schlicht und einfach eine Zigarette zwischen die Finger.

Der literarischen Vorkämpferin gegen Rassismus und Homophobie wird Vegas neues, im Herbst erscheinendes Album «Lover, Beloved» gewidmet sein – ein Soundtrack zu einem Theaterstück aus ihrer Feder, den sie live antestet: In «Harper Lee» legt sie McCullers ironische Kommentare über schreibende Kollegen in den Mund, Leonard unterstützt das mit Swing-Rhythmen und Vaudeville-Harmonien. «Annemarie» dagegen ist ein bittersüsser Walzer für eine Schweizer Geliebte der Autorin.

Dass Vega und Leonard in der Zielkurve «Luca» anstimmen, mag vorhersehbar sein. Doch in dieser grossartigen Folkpop-Hymne wird nochmals Suzanne Vegas grösste Qualität ohrenfällig: Selbst wenn sie über ein so erschütterndes Thema wie Kindesmissbrauch singt, tritt ihre Stimme nie aus der Rolle der neutralen Beobachterin heraus, ergreift nicht Partei, zeigt keine Leidenschaft. Sie ist wie ein unerbittlicher Spiegel – und dieses Alleinstellungsmerkmal bleibt ihr bis heute.

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