«Die Menschen werden es vorziehen, sich gegenseitig abzuschlachten, als in einer sicheren Welt zu leben»

Science-Fiction-Autor Bruce Sterling hat an der Roboter-Ausstellung des Vitra Design Museums mitgearbeitet. Die TagesWoche hat den Futuristen getroffen. Ein Interview mit einem, der seiner Zeit schon immer etwas voraus war.

Bruce Sterling vor Douglas Couplands «Slogans for the 21st Century» – auch sie sind an der Roboter-Ausstellung zu sehen.

(Bild: Nils Fisch)

Science-Fiction-Autor Bruce Sterling hat an der Roboter-Ausstellung des Vitra Design Museums mitgearbeitet. Die TagesWoche hat den Futuristen getroffen. Ein Interview mit einem, der seiner Zeit schon immer etwas voraus war.

«Hello, Robot – Design zwischen Mensch und Maschine» heisst die aktuelle Ausstellung im Vitra Design Museum in Weil am Rhein. Bruce Sterling (62) ist ebenfalls beteiligt: Einerseits mit einer Kunst-Installation, andererseits war er als Berater am Ausstellungskonzept beteiligt und hat eine neue Kurzgeschichte für den Katalog geschrieben.

Sterling ist der richtige Mann am richtigen Ort: Viele der Dinge, die für uns selbstverständlich sind, hat der Journalist, Science-Fiction-Autor, Futurist und Design-Kritiker aus Texas längst vorhergesehen. Sterling schrieb über die digitale Vernetzung der Welt, bevor es sie gab.

In «The Artificial Kid» etwa beschreibt er einen jungen Mann, der davon lebt, Filme über sich selbst zu verkaufen: Er filmt seine blutigen Strassenkämpfe mit ferngesteuerten Kameras. Das Buch erschien vor 37 Jahren (1980). In «Schismatrix» (1985) kämpfen die Shapers gegen die Mechanisten – Letztere setzen auf Computer und artifizielle Körperteile. Und für «The Hacker Crackdown» (1992) recherchierte er über die Welt der organisierten Internetkriminalität.

Heute unterrichtet Sterling an verschiedenen Unis und Institutionen, veröffentlicht regelmässig neue Kurzgeschichten. Er lebt und arbeitet meistens in Belgrad, Serbien.

Die TagesWoche hat Bruce Sterling vor der Eröffnung von «Hello, Robot» (Ausstellung bis 14. Mai 2017) im Vitra Design Museum zum Interview getroffen.



Die Video-Installation «My Elegant Robot Freedom» (2016) von Bruce Sterling, Sheldon Brown und anderen. Sterling stand den Machern der Ausstellung als Berater zur Seite.

Die Video-Installation «My Elegant Robot Freedom» (2016) von Bruce Sterling, Sheldon Brown und anderen. Sterling stand den Machern der Ausstellung als Berater zur Seite. (Bild: Nils Fisch)

Bruce Sterling, im Verlauf der Zeit sind viele Dinge und Ideen, die Sie schon vor Jahren beschrieben haben, eingetreten oder gar alltäglich geworden. Wie fühlt sich das an?

Richtig lustig wird es erst etwa 20 Jahre nach eingetroffener Vorhersage (lacht). Was habe ich den Leuten von der zukünftigen Wichtigkeit von Modems erzählt! Sie erinnern sich an Modems?

Ja.

Ich musste allen davon erzählen: «Es ist eine Box und ein Modulator-Demodulator!» – «Warum sollte ich so was wollen?» – «Du kannst deinen Computer mit dem Telefonnetzwerk verbinden!» – «Äh, also erst mal: Warum sollte ich einen Computer wollen? Und warum ans Telefon hängen? Ist das nicht kompliziert und teuer?» – «Nein, du verstehst nicht! Das ist eine potenziell revolutionäre Situation! Es wird das Leben der Menschen verändern!» (lacht). Nun, heute ist ein Modem eine seltsame Antiquität.

Auch Roboter haben Sie immer wieder beschäftigt. Vor über zehn Jahren sagten Sie: «Roboter sind nur unsere Schatten, unsere Reflexion im Zerrspiegel im Kuriositätenkabinett.» Warum?

Der Begriff Roboter stammt aus dem Theater, nicht der Industrie. Der tschechische Dramatiker Karel Čapek hat ihn erfunden. Er hat damit 1920 die industrielle Produktion und die Behandlung der Arbeiter thematisiert – Automation und ihre ent-menschlichenden und ent-fähigenden Aspekte. Also brachte er als Maschinen verkleidete Schauspieler auf die Bühne. Es braucht einen Menschen, der eine Maschine spielt. Ein Kostüm aus dem Kuriositätenkabinett. Es ist gar kein Roboter da. Sogar in R2-D2, dem berühmten «Star Wars»-Roboter, steckte ein kleinwüchsiger Mensch drin.

Bruce Sterling spricht im TagesWoche-Interview über die Bedeutung eines der ausgestellten «intelligenten» Objekte.

Die Roboter-Entwicklung ist längst auch vom Big Business dominiert. Bilde ich mir das nur ein, oder schwirrten früher mehr alternative Ideen herum – ich denke etwa an Ihr ökologisch geprägtes Viridian Design Movement?

Man sollte bei solchen Dingen wohl am ehesten an Wellen oder Zyklen der Veränderung denken. Diese Wellen sehe ich beim Thema Robotik jedenfalls am Werk. Der Charme besteht ja darin, dass das meiste unmöglich ist und im Märchenland bleibt – Design Fiction. Heute nähern wir uns einer Industrie von ferngesteuerten, sehr leistungsfähigen, drahtlosen, Sensoren betätigenden Breitband-Netzwerken. Die sehen nicht wie Menschen aus. Aber sie bewegen Gegenstände, liefern Dinge, spionieren Dinge aus, ermorden Menschen, schalten Schalter ein und aus, regeln Lautstärken, bestellen Sachen im Internet … Roboter mit der Cloud als Gehirn.

Dieses grosse, ferngesteuerte Netzwerk, das Sie beschreiben …

… das Internet der Dinge (Internet of Things, IoT). Allerdings denke ich, wir werden ein balkanisiertes Internet kriegen. Es werden Silos der Dinge sein.

Hat das IoT das Potenzial, die Nutzer total systemabhängig zu machen, sie zu versklaven?

Das Internet der Dinge wird sie nicht versklaven. Falls sie versklavt werden, dann von den Leuten, die bereits alles besitzen. Die Menschen könnten verschuldet sein. Und sie könnten überwacht werden. Aber wenn du auf Facebook bist, Freundchen, dann bist du das eh schon. Die wissen mehr über dich als der Geheimdienst je rauskriegen wird (lacht). Und das machst du freiwillig. Es ist übertrieben, das als Sklaverei zu bezeichnen. Es ist sehr schwer, wirklich frei zu sein. Das wäre wie Robinson Crusoe. Sehr isoliert. Nicht sehr lustig.

Eine alte Idee erlebt in den letzten Jahren Auftrieb: Die «Singularity», also die Behauptung, dass eines Tages eine künstliche Super-Intelligenz entsteht, und alles unvorhersehbar wird. Durch diese sogenannte technologische Singularität soll sich schlagartig alles bisher Dagewesene ändern.

Ich halte das für Quatsch.

Sie haben die Idee auch als Endzeit-Glauben bezeichnet. Apokalyptisches Denken.

Ich bin ein Singularitäts-Skeptiker. Es funktioniert einigermassen als künstlerische Idee: Das Ende der Welt produziert grosse Lyrik. Denken Sie an Miltons «Paradise Lost» (Das verlorene Paradies). Es ist wie mit der Installation von Philipp Beesley hier im Museum: Er beschäftigt sich sehr mit dem Hylozoischen – er will Kunstwerke erschaffen, die lebendig aussehen, aber mechanisch sind, und die trotzdem eine Art Leben besitzen. Meines Erachtens ist die Singularität eine mythische Idee ohne praktischen Wert. Ich mag die Kunst, etwa die von Beesley – aber es ist eben nicht lebendig, nicht intelligent, sondern bleibt eine interaktive Installation. Es ist so fest wie etwas Lebendiges – wie wenn man ein Bild von seiner Frau sieht, das mehr sie ist, als sie es ist. «Okay, das ist nicht deine Frau, sie kocht dir kein Frühstück und sie wird keine Kinder haben, aber du bist trotzdem glücklich, dass sie da ist. Obwohl es eine Illusion ist.»



Bruce Sterling im TagesWoche-Interview.

«Ich habe ein kleines Haus in den Bergen des Balkan, wo das Leben sehr einfach ist. Ich mag es sehr da. Ich lese Gedichte, mache Spaziergänge.» (Bild: Nils Fisch)

Bedeutet das, Sie glauben, die Menschheit wird die Kontrolle über ihre Technologien behalten?

Nein … ich weiss nicht. Kürzlich hatten wir ein Treffen in Deutschland mit ein paar Typen von der Luxus-Kommunismus-Bewegung.

Luxus-Kommunismus?

Luxus-Kommunismus im Sinne von: «Okay, wenn wir eh alles automatisieren, warum richten wir die Sache nicht so ein, dass es alle schön haben.» Man hätte also diese kleine Gruppe von Leuten, die die Maschinen betreuen, und der Rest wird ein Grundeinkommen, ein Dach über dem Kopf und Nahrung haben.

Würde das Ihrer Ansicht nach funktionieren?

Wenn wir uns beschränken würden, dann könnten wir uns das leisten. Wenn wir zum Beispiel in Basel leben würden wie die Menschen um 1915 – nur wenige Kleider pro Person, kleine Wohnungen und Häuser, keine Klimaanlagen – dann müssten die Menschen nicht arbeiten, könnten tun und lassen, was sie wollten, lesen, Kinder haben. Man könnte sicher keine Bediensteten haben. Vieles wäre zurückgestutzt.

Fragt sich nur: Wollen die Menschen so leben?

Ich könnte glücklich so leben. Aber ich bin Schriftsteller. Und ich habe ein kleines Haus in den Bergen des Balkan, wo das Leben eh sehr einfach ist. Ich mag es sehr da. Ich lese Gedichte, mache Spaziergänge. Ich stamme aus Texas, das stört mich nicht. Ich mag Camping, es macht mir nichts aus, mein Wasser zu kochen. Aber das ist nicht für alle. Das ist in mancher Hinsicht einschränkend. Das grösste Problem ist allerdings wohl ein anderes.

Welches?

Kaum Ambitionen zu haben. Also habe ich nun all diese Sachen – und nun soll ich nichts tun? Worum geht es – für mich? Ich bin nicht sicher, ob das wirklich funktionieren würde. Die Menschheit hätte in dieser Situation zwar alles unter Kontrolle. Wenn man die Umweltverschmutzung reduzieren und eine nachhaltigere Wirtschaft einführen könnte, hätten wir alles mehr im Griff als jetzt. Aber es bleiben andere Probleme, die nicht gut genug durchdacht sind.

Zum Beispiel?

Wenn man in einem grünen, nachhaltigen Dorf lebt: Was macht man dann, wenn al-Qaida vorbeikommt? Mit Pick-up-Trucks und Maschinengewehren – und die töten dann die Hälfte und nehmen alle Frauen mit? Was nun? Ich denke, wir beerdigen die Toten! Die Hurensöhne vernichten? Nein, geht nicht. Keine Kapazität, keine Panzer, keine Raketen, keine Satelliten-Überwachung. Ein bisschen hilflos, nicht? Schlecht bewaffnet, und deine Gesellschaft hatte vorher keinen Grund zum Kämpfen, keine ambitionierten Generäle, die scharf auf Orden sind … Plötzlich bist du wie ein Bewohner der Fidschi-Inseln, der von den Europäern angegriffen wird.

«Ich halte mich selber für einen Typen, der eine dunkle Seite hat. Aber in Serbien gelte ich als bemerkenswerte Frohnatur.»

In Ihrem Werk spielt das Dystopische immer wieder eine Rolle – wie ist das bei Ihnen persönlich?

Das ist eine Frage des Naturells. Ich halte mich selber für einen Typen, der eine dunkle Seite hat. Aber die ist nicht wirklich dunkler als das ganz normale Leben in Belgrad. Dort lebe ich meistens. Ich bin mit einer Serbin verheiratet und habe viele Freunde dort. In Serbien gelte ich als bemerkenswerte Frohnatur: «Dein amerikanischer Mann, der ist so lustig, der lacht immer. Und so praktisch veranlagt! Während wir hier sitzen und trinken, möchte er Dinge reparieren oder macht uns Vorschläge!» Für die Leute bin ich eine Art Pollyanna-Figur: Die Leute halten mich für aufgestellt und optimistisch. In der amerikanischen Gesellschaft bin ich ein Typ mit einigen sehr merkwürdigen Interessen. Früher schrieb ich als Journalist über Verbrechen. Das hinterlässt Spuren. Wegen der Leute, mit denen du dich abgibst: Kriminellen und Polizisten.

Verbrechen geschehen heute zunehmend im Netz. Auch das haben Sie mit Ihrem Buch «The Hacker Crackdown» (1992) vorgezeichnet – vom Thema her früh und ebenfalls recht prophetisch.

Oh ja. Ich wünschte, das Buch wäre dunkler geraten, als es ist – es schien damals schon sehr übertrieben, vor allem die Geldmengen, um die es ging. Aber das war so, und es ist so viel schlimmer geworden!

Das Buch endet mit dieser bittersüssen Note, dass nun die Zeit der Profis gekommen sei, die den Wilden Westen im WWW aufräumen.

Die haben nicht den besten Job gemacht. Es ist schlimm. Ich habe immer noch Kontakte, bin nach wie vor vom Thema fasziniert. Mittlerweile hast du organisiertes Verbrechen bis zu riesigen, vom Staat unterstützten Mafias, die Hunderte von Millionen von Dollars erbeuten. Die versuchen sogar Staats-Coups zu landen. Es gibt derzeit einen riesigen Skandal, in den der russische Geheimdienst involviert ist.

Erzählen Sie mehr …

Da werden Typen abgeholt mit Säcken über den Köpfen. Was zur Hölle war denn da los? Meine Gerüchteküche sagt, dass die versucht haben, Medwedew zu erpressen – indem sie ihm Beweise zeigten, dass sie seine E-Mails gestohlen hatten. Was für ein vollkommen Durchgeknallter geht zu einem Staatsoberhaupt und sagt: «Erinnerst du dich noch daran, was wir Hillary angetan haben? Jetzt machen wir dich fertig, bis du uns was bezahlst!» Was haben die gedacht, wohin sie sich danach absetzen können? Fidschi? Tahiti? Ich bin total perplex.

Sie, perplex?

Was da wirklich passiert, ist dystopischer als das allermeiste, was ich in ein Science-Fiction-Buch schreiben würde.

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*Mit Design meint Sterling nicht nur die «formgerechte und funktionale Gestaltgebung und die daraus sich ergebende Form eines Gebrauchsgegenstandes» (Duden). Vielmehr geht es ihm um die kritische Betrachtung des Aufbaus und der Funktionsweise von Objekten, Apparaten oder Systemen.



Der erste Raum: Unsere wohlbekannte, von der (Pop-)Kultur geprägte Vorstellung von dem, was ein Roboter ist.

Der erste Raum der Roboter-Ausstellung im Vitra Design Museum: Unsere wohlbekannte, von der (Pop-)Kultur geprägte Vorstellung von dem, was ein Roboter ist. (Bild: Nils Fisch)

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