Die Schweiz hat in ihre Verfassung die Förderung der Jugendmusik aufgenommen. Die Bilanz der Umsetzung in Basel fällt bisher aber traurig aus: Obwohl Stiftungen und Subventionen den Unterricht auch für finanziell schwächere Familien erschwinglicher machen, erschweren lange Wartelisten, Harmos-Umsetzung und symbolische Hürden den Zugang.
Den Geigenkasten oder Gitarrenkoffer fest in der Hand schlendert so manches Kind durch die Stadt: Der ausserschulische Instrumentalunterricht ist für viele Familien nicht mehr aus der Erziehung wegzudenken. Für die einen ist er selbstverständlicher Teil einer humanistischen Bildung und Ausdruck von Lebensfreude. Für die anderen ist es ein eher schwer zugängliches Privileg oder gar etwas Fremdes. Einst war der Instrumentalunterricht eine Domäne des Bildungsbürgertums, doch längst gibt es Bemühungen, diese schöne Kunst breiter zu streuen. Wie tief müssen aber Eltern in die Tasche greifen, wenn ihr Kind Klavier oder Klarinette spielen möchte?
Ein wichtiges Zugangstor ist dabei die öffentliche Musikschule. Für diejenigen, die in Kanton Basel-Stadt wohnen, kostet ein Semester Einzelunterricht 786 Franken. Mit einer halben Lektion, sprich 25 Minuten pro Woche, sind es 464 Franken. Dabei sind aber Anträge auf Ermässigung möglich. Wie Anna Brugnoni, Leiterin der Musikschule Basel, festhält, sei dies vielen Leuten gar nicht bewusst. «Je nach finanzieller Situation können bis zu 45 Prozent vom schon hoch subventionierten Preis abgezogen werden», sagt Brugnoni. Da die Musikschule keine Steuer-Unterlagen verlangen darf, gelten die Krankenkassen-Prämienverbilligungen als Richtschnur. Generell sieht Brugnoni eine grosszügige Handhabung im Stadtkanton: «Die Schulgelder an der Musikschule Basel liegen im regionalen Vergleich im unteren Drittel», hält sie fest.
Anderthalb bis zwei Jahre lange Wartezeiten
Es sind jedoch weniger die Kosten als vielmehr die langen Wartelisten, die für manche Familien ein Ärgernis darstellen. Muss man also sein Kind schon nach der Geburt einschreiben, damit es später einmal die Klavierstunde besuchen kann? Anna Brugnoni beschwichtigt: «Man kann sich erst im Alter von vier Jahren einschreiben, und je nach Instrument sind die Kinder dann noch nicht reif dafür», hält sie fest. In den meisten Fächern müssen die Eltern in der Regel mit anderthalb bis zwei Jahren Wartezeit bis zum Eintritt rechnen. Bei den Blasinstrumenten geht es in der Regel schneller.
«Wir kommunizieren immer, dass man sich lieber frühzeitig anmelden sollte – wechseln kann man nämlich immer», sagt Brugnoni. Die Wartelisten sind darin begründet, dass das Lektionendach durch ein Globalbudget festgelegt ist. Der Bedarf in den beliebten Fächern wie Klavier, Gitarre, Schlagzeug, Violine und Cello ist aber höher. Mit Vorkursen und Gruppenangeboten versucht die Musikschule, die Anmeldezeiten abzumildern. «Eine Entspannung könnte aber nur eine Aufstockung des Lektionendachs bewirken», erklärt Brugnoni.
Riehen geht gegen die Wartelisten vor
In Riehen ist die Politik hingegen dabei, gegen die unbeliebten Wartelisten vorzugehen. Beat Forster, Gründer der Musikschule «Ton-in-Ton» kämpft seit mehreren Jahren dafür, dass die höheren Kosten für private Schulen ausgeglichen werden. Dies soll zu einer Entlastung der öffentlichen Musikschule Riehen führen. Forsters Engagement scheint nun Früchte zu tragen: Im März hat der Gemeinderat einen Lösungsvorschlag erarbeitet, der aber erst noch vom Einwohnerrat abgesegnet werden muss.
Das Angebot der Musikschule soll aufgestockt werden. Zudem wird als Pilotprojekt über zweieinhalb Jahre eine Leistungsvereinbarung mit «Ton-in-Ton» und der Schlagzeug- und Marimba-Schule Edith Habraken abgeschlossen, welche ihnen erlaubt, mehr Lektionen anzubieten. Mit diesem Vorhaben könnten alle Riehener Bürger somit zu gleichen Tarifen zwischen drei Schulen auswählen. Zudem wäre es auch möglich, für die privaten Anbieter Anträge an den Riehener Unterstützungsfonds zu stellen.
Musikvereinen fehlt der Nachwuchs
Bei der Knaben- und Mädchenmusik Basel (KMB), welche Unterricht in Blasinstrumenten, Trommel und neu auch Gitarre anbietet, sieht die Situation wiederum anders aus: Hier kennt man keine Wartelisten. Eher ist es so, dass man sich – wie generell bei den Musikvereinen – um den Nachwuchs Gedanken machen muss, wie KMB-Kassier Josef Anderrüti erklärt: «Ein Musikinstrument zu lernen, ist nicht mehr so im Trend.»
Auch wenn Fussball bei einigen Jugendlichen beliebter zu sein scheint, werde versucht, die Kinder im Kleinbasel, darunter auch Secondos, für die Musik zu begeistern. «Das ist kein Prozess von heute auf morgen», betont Anderrüti. Für diejenigen, die es sich nicht leisten können, wird auf Einrichtungen wie «Göttibatze» von Pro Juventute verwiesen. Zudem verfügt die KMB auch über einen eigenen Fonds. «Es soll also niemand wegen des Geldes nicht musizieren können», versichert Anderrüti.
«Es soll niemand wegen des Geldes nicht musizieren können.»
Die Ermässigungen bei den subventionierten Schulen und die hohe Stiftungsdichte machen somit vieles möglich: Angebote wie zum Beispiel Göttibatze oder der Förderverein zugabe (die TagesWoche berichtete) schaffen bis zu einem gewissen Grad Abhilfe. Die Frage ist aber, inwieweit Familien, die knapp bei Kasse sind, darüber informiert sind, dass und wo man überall Anträge stellen kann.
Ferner beschränkt sich der Zugang zur Musik nicht bloss auf das Geld. Der Gitarrenlehrer und Soziologe Luca Preite beobachtet bei seinen Schülern auch eine andere Hürde: «Die Zugänglichkeit geht über die rein finanzielle Frage hinaus», meint er. Bei vielen Eltern, die weniger privilegiert sind, bedeutet Musik nicht nur Musse, sondern bedarf einer besonderen Rechtfertigung. Dabei sei folgende Haltung verbreitet: «Diese Eltern sagen sich: Wenn schon 600 Franken pro Semester, dann muss es sich auch lohnen», sagt Preite. Daher stellt er fest, dass sich solche Familien viel schneller wieder abmelden, wenn keine raschen Erfolge sichtbar sind.
Das Geld muss sich lohnen – wenn sich Erfolge nicht rasch einstellen, werden Kinder wieder abgemeldet.
Ein weiteres Problem ist die Möglichkeiten für «Spätzünder»: Manche Kinder, die nicht aus musikaffinen Familien stammen, kommen oft erst in der Schule in Kontakt mit Instrumenten und entdecken dann ihre Begeisterung dafür. Dann ist es aber meist zu spät, um sich auf die Warteliste der Musikschule setzen zu lassen. Wie die TagesWoche berichtete, versucht der Förderverein zugabe unter anderem, Leuten, denen das Musizieren nicht in Wiege gelegt wurde, unter die Arme zu greifen. Wenn also von Musik als Hobby die Rede ist, kann der Unterricht an der Schule nicht einfach ausgeblendet werden.
Der Verfassungsartikel für Musikförderung wird ignoriert
Genau in diesem Punkt ist vom neuen Verfassungsartikel zur Jugendmusikförderung, der 2012 von den Schweizer Stimmberechtigten deutlich angenommen wurde, nicht viel zu spüren. Die Zeichen stehen nämlich auf Abbau: Mit der Umsetzung von Harmos werden Musik und Bildnerisches Gestalten in der zweiten und dritten Sekundarschule je nach Zug abwählbar sein. Zudem bedeutet die Reform, dass mit der Orientierungsschule auch die Schulklassen mit erweitertem Musikunterricht (Emos) verschwinden.
Hier sieht Martin Metzger, Musiklehrer am Gymasium Bäumlihof, eine wichtige Chance, die verpasst wird: «Meiner Meinung nach sind die Emos-Klassen eine sehr kostengünstige und effektive Art, Musikstunden für finanziell schwächer gestellte Familien anzubieten, da dies innerhalb des normalen Schulunterrichts stattfindet.» Dabei ist Metzger bewusst, dass die Emos-Klassen den Ruf hatten, eine Hochburg von bildungsnahen und einheimischen Kindern zu sein.
«Musik muss Schulfach wie jedes andere sein»
Doch in solchen Projekten sieht er auch ein Potential, Jugendliche mit Migrationshintergrund und wenig Bezug zur Musik miteinzubinden. «Wenn man es pädagogisch und didaktisch gut macht, wird sich weder das Mädchen aus dem Bildungsbürgertum noch der von zu Hause aus nicht geförderte, angeblich Unbegabte im Musikunterricht langweilen», ist Metzger überzeugt. Auch wenn ein Angebot an Stiftungen besteht, ist für ihn die Musikförderung eher eine Grundsatzfrage.
Er findet es daher stossend, dass es überhaupt Wartelisten wie an der Musikschule gibt: «Für mich wäre es normal, wenn der Staat jedem Kind in der Volksschule Instrumentalunterricht genau so anbietet wie irgendein anderes Schulfach.» Leider sehe er aber keine Lobby dafür: «Die Reichen brauchen ihn nicht, und für die Armen ist er nicht wichtig» – diese Argumentation bekomme er oft zu hören, wie Metzger sagt.
Der Musikunterricht hat keine Lobby, sagt Musiklehrer Martin Metzger: «Die Reichen brauchen ihn nicht, und für die Armen ist er nicht wichtig.»
Dabei nennt er Finnland als mögliches Vorbild für eine andere Stossrichtung: Nebst dem Klassenunterricht, bei dem Musik schon einen hohen Stellenwert einnimmt, werden dort die Kosten für die Musikschulen vom Staat und den Gemeinden getragen, während die Schüler nur eine geringe Abgabe leisten müssen. Dies ist seit Jahrzehnten in der finnischen Verfassung festgelegt: Musikförderung soll als Staatsaufgabe und Grundrecht unabhängig vom Einkommen gelten.
Umsetzung des Verfassungsartikels steht in den Sternen
Das Beispiel Finnland kam auch bei den Befürwortern des Bundesbeschlusses zur Jugendmusikförderung ins Spiel. Der neue Verfassungsartikel 67a hält fest, dass Bund und Kantone die musikalische Bildung zu fördern haben. Falls die Kantone keine Harmonisierung dieser Ziele an den Schulen erreichen, muss der Bund die notwendigen Vorschriften erlassen. Wie der Artikel umgesetzt wird, steht aber noch in den Sternen: Im Sinne der Initianten soll er Grundlage für ein umfassendes, landesweites Gesetz zur Förderung der musikalischen Bildung sein. Was deren Stellung anbelangt, herrscht noch der Kantönligeist.
Wie Niklaus Rüegg in der Schweizer Musikzeitung vom 8. April 2013 schreibt, besteht eine äusserst heterogene Gesetzeslandschaft: In bloss drei Kantonen – Basel-Landschaft, Genf und Luzern – sind die Musikschulen als vollwertige Schulart mit einem Bildungsauftrag gesetzlich verankert. Einige Kantone, darunter auch Basel-Stadt, kennen keine gesetzliche Verankerung für die Musikschulen. Hier regeln Leistungsvereinbarungen mit den Gemeinden deren Betrieb.
Eine atomisierte Welt hat gemeinsame Interessen verschlafen
Mit der Umsetzung des neuen Verfassungsartikels wird es immer dann schwierig, wenn es ums Eingemachte, sprich um den finanziellen Aufwand geht. Daher ist Beat Forster vorsichtig mit allzu hohen Erwartungen: «Der Artikel kann auch zerfleddert und so interpretiert werden, dass diese Musikförderung heute schon Praxis sei.» Schliesslich werde jetzt bereits – wie für kaum ein anderes Fach – darin investiert. «Immer dann, wenn es ins Detail geht, wird darüber debattiert, ob es das wert ist», stellt er fest.
Zudem sieht Forster ein Problem in der fehlenden Koordination zwischen staatlichen und privaten Instruktoren: «Wir haben hier eine atomisierte Interessenlandschaft.» Dies habe auch dazu geführt, dass die Musik-Lehrkräfte die Möglichkeit verpasst hätten, sich bei der Harmos-Umsetzung einzubringen, sagt Forster mit Bedauern. Somit gibt es trotz guter musikalischer Versorgung auch einige Lücken, wenn es darum geht, dem Verfassungsartikel nachzukommen. Ob Basel darin die erste Geige spielen kann, ist zurzeit noch fraglich.