Die Nackten von der Casinomauer

Alfred Heinrich Pellegrinis «Apoll und die Musen» thront seit 1941 an der Mauer des Stadtcasinos. Das heute eher unscheinbare Wandbild war vor siebzig Jahren Grund für Empörung.

In den 40ern ein Skandal: Alfred Heinrich Pellegrinis «Apoll und die Musen».

(Bild: Anthony Bertschi)

Alfred Heinrich Pellegrinis eher unscheinbares «Apoll und die Musen» thront seit 1941 an der Mauer des Stadtcasinos. Unscheinbar? Nicht vor siebzig Jahren. Da sorgte das Wandbild für reichlich Empörung.

Es fing nicht gut an: Gerade erst waren Apollo und seine fünf Musen an die Fassade des Stadtcasinos gemalt worden und schon wurden sie aufs Ärgste beschimpft. Der Grund dafür lag bei ihrer Darstellung. Sie thronten in stolzen sechzehn mal sieben Metern vor dem Barfüsser Platz, wie Gott oder Leto oder in diesem Fall der Basler Künstler Alfred Heinrich Pellegrini sie erschuf: füdliblutt.

Da lag der Aufschrei unter den frommeren Baslern nicht weit: «Neuheidnisch!», «Unselig!» klang es auf der Strasse und in den Drohbriefen, die Pellegrini nach Vervollständigung seines Werks immer wieder erhielt. Besonders in katholischen Kreisen empörte man sich über den entblössten Schönling und seine fünf nicht minder nackten Anhängsel.  

Schon seit 2013 widmet die TagesWoche sich über die Monate Juli und August der «Kunst am Wegrand». Alle in dieser Serie erschienenen Artikel finden Sie auf der Themen-Seite Kunst am Wegrand.

Protest im Namen der unschuldigen Kinder

An vorderster Front wütete der katholische Dekan François-Xavier von Hornstein – 1941 soll er im katholischen Pfarrblatt geschrieben haben: «Die heutige neuheidnische Haltung ist ein Defekt, eine Schwäche des Charakters, ein Blindsein den Zeitereignissen gegenüber. (…) Ich spreche dem Künstler das Können nicht ab – ich protestiere als Seelsorger und Dekan von Basel-Stadt gegen diese Darstellungen des Nackten im Namen der unschuldigen Kinder; ich protestiere im Namen der hohen katholischen Auffassung von Frauenwürde, Ehe und Mutterschaft.»

Und es blieb nicht nur bei bösen Worten:  In der Nacht vom 29. auf den 30. November 1941 schlichen sich Unbekannte vor das Monumentalfresko und beschmissen es mit Gläsern, in die sie rote Rostschutzfarbe gefüllt hatten. Getroffen wurden zwei der schwebenden Musen und Apollos Gewand. Noch mehr als den Jüngling traf es aber den Maler: Pellegrini hatte sich nach gründlicher Überlegung für Apollo und die Musen entschieden, als Zeichen seiner Wertschätzung gegenüber dem Steinenberg mit Theater, Musiksaal und Kunsthalle.

Lockenpracht mit olympischem Antlitz

Dass diese gutgesinnte Geste für solchen Ärger sorgte, war ein harter Schlag für den Basler Künstler, der im Basler Kulturkuchen einen exzellenten Ruf genoss: 1925 wurde er in die Kommission des Basler Kunstmuseums gewählt, 1949 verlieh ihm die Stadt Basel den Kunstpreis und 1950 vertrat er die Schweiz an der Biennale in Venedig.

Aber es gab auch Liebhaber des stolzen Nackedeis an der Stadtcasinomauer. Wie etwa der Direktor der graphischen Sammlung des Kunstmuseums Basel, Walter Überwasser, der 1943 im Buch «A. H. Pellegrini» vom «mächtigen daseienden Gott mit olympischen (goethehaften) Antlitz, gekrönt mehr noch durch die Pracht der Locken als durch den Lorbeer, vom roten Mantel vor weisser Wolkenwand hervorgehoben, mit weltumfassenden Armen, alle übrigen Gestalten an Grösse um Haupteslänge überragend» schwärmte. 

Unglückliche Kombination

Der prachtvolle Lockenkopf setzte sich durch: Bis heute schweben Apollo und seine Musen über dem Barfüsserplatz, ohne dass bekannterweise je ein Kind oder Jugendlicher daran Schaden genommen hätte. Und das soll so bleiben: Herzog und de Meuron haben das Wandbild bei den Plänen zum Neubau des Stadtcasinos berücksichtigt – es wird nicht weichen müssen. Schön, dass dieses einst so verhasste Fresko bestehen bleibt, als Zeitzeugnis eines kulturell visionären Basels der Jahrhundertmitte, das sich den Spass an der Kunst nicht von ein paar katholischen Fundis verderben liess.

Und doch: ein kleiner Wermutstropfen bleibt. Der Standort des Fassadenbilds wird seinem noblen Motiv nämlich nicht mehr gerecht. So hängt die stolze Gottheit heute etwas verloren über den Marquisen zweier Restaurantketten. Monumentalfresko und All-You-Can-Eat-Spareribs sind weiss Gott (oder Leto oder Pellegrini) keine besonders günstige Verbindung.

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