Das vermeintliche Highlight in der Courbet-Ausstellung in der Fondation Beyeler, sein Skandalbild «L’origine du monde», verblasst angesichts der restlichen dort präsentierten Werke: Seine Selbstporträts und Landschaften zeigen die revolutionäre Kraft, die seiner Kunst innewohnt, weit besser.
Manchmal, da kommt es anders, als man denkt. 1866 beispielsweise malte ein Franzose – auf der Höhe seiner Karriere – ein Bild im Auftrag eines Privatmannes. Das Gemälde war für dessen Gemächer bestimmt und nicht für die Augen der Öffentlichkeit. Wäre es nach dem Maler gegangen, so hätte das Bild niemals in einer Ausstellung hängen sollen. Doch der Mythos vom Bild machte die Runde, und so wurde es, obwohl von kaum jemandem je wirklich gesehen, zur Berühmtheit.
Knapp 150 Jahre später denkt jeder, wenn er den Namen jenes Malers hört, zuerst an genau dieses Bild: Gustave Courbet und sein «L’origine du monde» sind untrennbar geworden. Und eine Institution wie die Fondation Beyeler kann damit werben und sich damit rühmen, das Gemälde in ihre Ausstellung hängen zu dürfen.
Es ist zweifellos der Magnet dieser Schau, die schlicht «Gustave Courbet» betitelt wurde. Im Wissen darum wurde es denn auch an einen Ort gehängt, wo man es von Weitem sehen kann: Ans Ende eines Raumes, den man durch zwei Türen hindurch schon geraume Zeit vorher sieht. Die prominente Hängung wirkt offensiv. Denn sie ist die klare Antwort auf die schwierige kuratorische Frage, wie mit einem derartigen Bild umzugehen sei – mit einem Bild, das eigentlich nicht für einen Museumsraum intendiert war. Die Antwort der Fondation Beyeler lautet: Wir haben es, und wir zeigen es.
Damit ist ein anderes Problem jedoch nicht gelöst: dass es nämlich nicht so recht in den restlichen Kontext passen mag, dieses «L’origine du monde». Denn hat man es als Betrachter einmal erreicht auf seinem Rundgang, so hat man Selbstporträts hinter sich gelassen, einige Waldstücke, Landschaften und Meeresansichten, eine ansehnliche Menge an Bilder von Grotten und ein paar wenige nackte Badende. Und mindestens drei Dinge sind einem bis dahin aufgefallen, die die Malweise des französischen Künstlers ausmachen (und wir meinen hier nicht, dass ihm die naturgetreue Darstellung von Frauenbrüsten offensichtlich schwerer gefallen ist als das Malen einer Vagina).
Bonjour, Monsieur Courbet!
Der Start in die Ausstellung ist geprägt von Düsternis. Ein Raum, gehängt mit Selbstporträts. Das Gesicht des Künstlers auf mehreren Leinwänden, schwach ausgeleuchtet, dunkle Hintergründe fast überall. Ist es der Firnis, der über die Jahre nachgedunkelt hat? Wahrscheinlich auch das, wenn man sich etwa «Le Fou de peur» vor Augen hält: Der Künstler mit Panik in den Augen, wie er über eine Klippe in den Abgrund zu stürzen scheint – ein Bild, das man in Grün- und Türkistönen vor Augen hat, viel heller, als es hier nun vor einem hängt.
Le Fou de peur (portrait de l’artiste), ca. 1844/45. (Bild: Anne Hansteen /©Nasjonalmuseet for kunst, arkitektur og design, Oslo)
Das Düstere aber hat bei Courbet auch Prinzip. Schliesslich sei die Welt im Grunde dunkel, sagte der Maler einst. Nur das, was von der Sonne beschienen werde, sei hell. Folglich entwickle er seine Motive aus der Dunkelheit heraus.
Dieser Prozess geschieht manchmal auf eine Art, die sich nicht grossartig von der Malweise seiner Zeitgenossen unterscheidet. Dann wieder bricht er gewollt den gewohnten Stil und bringt das Skizzenhafte der Malerei zum Vorschein. Und wirkt plötzlich ungemein modern. Da sitzt er beispielsweise zusammen mit einem schwarzen Hund vor einer Landschaft, die in manchen Zügen nur angedeutet scheint. Ein anderes Mal lässt er zwei fast fotorealistisch gemalte Rehe über eine verschneite Wiese springen, die beinahe schon abstrakte Züge aufweist.
Ein Revolutionär in Freiheit
Es lohnt sich auch oft, etwas näher zu treten. Dann sieht man, wie viel Wert Courbet auf den Farbauftrag legte, dann lässt sich auch die erwähnte Entwicklung heraus aus dem Dunkeln nachvollziehen. In «Le Ruisseau du Puits-Noir» etwa sitzen die äussersten Blätter der Bäume – jene, die dem Betrachter am nächsten sind – tatsächlich als Farbpunkte auf der Bildoberfläche drauf. Wie mit dem Schwamm aufgetupft sehen sie aus. Und im grossformatigen «Le Coup de vent, forêt de Fontainebleau» vermischt sich ein verwischt-distanzierter Wolkenhimmel mit einer rau gemalten, rohen und windgepeitschten Natur.
Le Change, épisode de chasse au chevreuil en Franche-Comté, 1866. (Bild: Pernille Klemp / ©Ordrupgaard, Kopenhagen)
Courbet komponiert seine Bilder. Er gaukelt uns manches Mal eine Gegebenheit als Wahrheit vor, welche die Natur exakt so nicht bietet. Er verzichtet darauf, einem Bild ein klares Zentrum zuzuweisen, wie es jahrhundertlang üblich gewesen war. Er kostet die Möglichkeiten des Genres aus. Die malerische Freiheit lässt ihn auch in «Les trois baigneuses» einen Frauenkörper, den er zuerst liegend intendierte, aufrecht hinstellen.
Anhand all dieser Bilder lässt sich das Revolutionäre, das man Courbets Kunst nachsagt, sehr schön nachzeichnen. Man sieht, weshalb dieser Maler es zu höchstem Lob bei Kritikern wie Kollegen brachte. Warum er heute noch zahlreiche Fans in der Kunstgemeinde hat. Warum er aber auch schockierte. Er wollte provozieren, das war seine erklärte Absicht. Umkrempeln, zum Nachdenken über die Kunst anregen, über Konventionen.
Dafür brauchte er kein «L’origine du monde». Seinem Ruhm hätte es keinen Abbruch getan, wäre dieses Bild für immer hinter einem Vorhang versteckt geblieben. Die Ausstellung in der Fondation Beyeler hätte ohne es vielleicht ein paar Besucher weniger gehabt. Und es bleibt zu hoffen, dass jene, die hauptsächlich deswegen anreisen, nicht vergessen, auch den Rest zu entdecken – es wäre schade drum.
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«Gustave Courbet», Fondation Beyeler, Riehen. 7. September 2014 bis 18. Januar 2015.
Gustave Courbet wurde am 10. Juni 1819 in Ornans im französischen Jura geboren und verstarb am 31. Dezember 1877 in La-Tour-de-Peilz am Genfersee. Sein Vater war ein wohlhabender Grundbesitzer, und Courbet malte zuerst vor allem die Landschaft, die er um sich herum fand. Ab 1841 versuchte er, als Maler in Paris Fuss zu fassen – was zwar einige Zeit dauerte, dafür aber Erfolg zeitigte. Courbet wurde im Laufe seiner Karriere zum begehrten Sammlungskünstler und hatte mehrere Ausstellungen. Nach der Ernennung der Dritten Republik im Jahr 1870 wurde er zum Präsidenten der Commission des Arts berufen. Auf den Höhepunkt seiner Karriere folgte der jähe Absturz: Nach der Kapitulation der Commune wurde Courbet die Zerstörung der Vendôme-Säule zur Last gelegt. Man verurteilte ihn zu einer exorbitant hohen Geldstrafe, die er niemals hätte zurückzahlen können. Nach einem Gefängnisaufenthalt ging Courbet ins Exil an den Genfersee, wo er nach wenigen Jahren 58-jährig starb – vergeblich auf seine Begnadiung wartend und in der Hoffnung, seine Geldschuld eines Tages tilgen zu können.